Eindrücke aus dem Umland der Stadt Salzburg
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Stadtplanung

Das Haus im Grünen als Verkehrsfalle

Wohnen auf dem Land und arbeiten in der Stadt – der Trend zur Suburbanisierung ist auch in Salzburg ungebrochen. Dabei entstehen zahlreiche Probleme, von der Zersiedelung der Landschaft bis hin zum Verkehrsaufkommen. Der ständig steigende Verkehr dominiert seit Jahren auch die Politik.

Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, 365-Euro-Ticket bzw. niedrigere Preise für die „Öffis“, mehr Radwege und E-Mobilität – das sind nur einige der Schlagworte im Wahlkampf für die Landtagswahl in Salzburg am Sonntag. Vor allem die Stadt Salzburg leidet unter dem Verkehr: Erst zu Ostern legte der Reiseverkehr die Stadt und die Autobahn im Umfeld lahm, nichts ging mehr.

Pendlerverkehr aus dem Speckgürtel

Viel Verkehr in und um die Stadt Salzburg erzeugen neben Wirtschaft und Tourismus allerdings die Salzburger selbst. Die Landeshauptstadt hat einen dicken Speckgürtel: Alleine von 1971 bis 2014 ist die Bevölkerung in Salzburg-Umgebung um 70,8 Prozent gewachsen. Einzelne Gemeinden, vor allem zwischen Westbahnstrecke und Westautobahn (A1), haben sich mehr als verdoppelt – und viele davon pendeln in die Stadt und die angrenzenden Gemeinden Wals, Anif und Bergheim, wo es die meisten Arbeitsplätze gibt.

Eindrücke aus dem Umland der Stadt Salzburg
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Aus dem Speckgürtel pendeln täglich Zehntausende in die Stadt Salzburg

Entsprechend ist die Pendlerbewegung: Wals und Bergheim haben die meisten Einpendler, gefolgt von der Stadt Salzburg. Rund 60.000 Menschen pendeln täglich alleine in die Stadt. Seit Beginn der 1990er Jahre stieg das Pendelvolumen bzw. die Pendlermobilität um knapp 50 Prozent, im letzten Jahrzehnt alleine um 15,8 Prozent. In den 20 Jahren bis 2011 legte der Bezirk Salzburg-Umgebung am stärksten zu, von 2001 bis 2011 die Stadt Salzburg.

Anteil der aktiv Erwerbstätigen einer Gemeinde, die diese verlassen, um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen

Der Traum vom Eigenheim im Grünen

Der Grund für den Zug ins Umland liegt auf den ersten Blick in den hohen Wohnungspreisen in der Stadt Salzburg. Um den Kaufpreis für eine Zweizimmerwohung, wird oft argumentiert, lässt sich ein deutlich größeres Haus mit ausreichend Grund im Salzburger Umland bauen – und so gleich der oft gehegte Traum vom möglichst ungestörten Eigenheim realisieren.

Rohbau im Salzburger Umland
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Einzelhäuser auf großen Grundstücken fördern die Zersiedlung der Landschaft – und den Pendlerverkehr

„Es gibt nach wie vor eine Präferenz für bestimmte Wohnformen wie ein frei stehendes Einfamilienhaus oder zumindest eine Doppelhaushälfte oder wenigstens ein Reihenhaus – und das lässt sich in der Stadt naturgemäß schwerer realisieren“, sagt Andreas Koch, Sozialgeograf an der Uni Salzburg.

Salzburg ist ein Autoland

Wenn der Arbeitsplatz, die Schule und soziale Aktivitäten in der Stadt bleiben oder sind, muss gependelt werden – und das geschieht in Salzburg vor allem mit dem Auto. Für fast die Hälfte der täglichen Wege nutzen die Salzburgerinnen und Salzburger ein Auto, zwölf Prozent „Öffis“, elf Prozent ein Fahrrad.

Aufschlüsselung Verkehrsmittel Salzburg
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Mehr als ein Drittel aller Wege sind beruflich bedingt, 13 Prozent dienen Ausbildungszwecken, 18 Prozent dem Einkaufen. Auch in der Stadt selbst ist das Auto das bei Weitem bevorzugte Verkehrsmittel: 36,9 Prozent fahren mit dem Auto in der Stadt, weitere sieben Prozent sind Beifahrer, sagt eine Mobilitätsstudie im Auftrag des Salzburger Verkehrsverbundes. Knapp 20 Prozent fahren mit dem Rad, und 14,6 nutzen Bus oder Bahn.

„Öffis“ oftmals zu wenig attraktiv

Trotz des steigenden Leidensdrucks im täglichen Verkehr seien die öffentlichen Verkehrsmittel vielerorts für einen Umstieg zu wenig attraktiv, sagt Peter Haibach vom Forum Mobil, das sich für mehr öffentlichen Verkehr in Salzburg einsetzt. Eine bessere Taktung wie auf der Strecke Wien – Salzburg helfe, dass die Menschen das Auto eher stehen lassen und mit dem Zug fahren.

Eindrücke aus der Stadt Salzburg
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Im dichten Verkehr bleiben nicht nur die Autos stecken, sondern auch die Busse

Genau diese hohe Intervalldichte der Fernzüge auf der Westbahnstrecke behindert jedoch den Ausbau der für Pendler wichtigen, weil dicht besiedelten Strecke nordöstlich der Stadt Salzburg. Die hohe Taktung der schnellen Züge lässt für die langsamere Schnellbahnlinie S2 und die Regionalbahn nur eine geringere Verbindungsfrequenz zu. Schon seit Jahren ist ein viergleisiger Ausbau der Westbahnstrecke geplant, doch vor 2026 wird es keinen Startschuss geben – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Infrastrukturprojekte bei Politik unbeliebt

Die Verdichtung der S2 würde sicher mehr Menschen Richtung „Öffis“ ziehen, meint auch der Sprecher des Salzburger Verkehrsverbunds, Johannes Gfrerer. Doch derartige Infrastrukturprojekte seien teuer – die Kosten für die Westbahnstrecke werden derzeit auf 2,5 Mrd. Euro geschätzt – und langwierig und daher bei politischen Entscheidungsträgern eher unbeliebt. Ein Erfolg zeige sich meist erst, wenn die Politiker nicht mehr im Amt sind.

Ein Zug passiert einen Bahnhof im Salzburger Umland
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Die S2 lässt sich aufgrund des deutlich schnelleren Fernverkehrs nicht weiter verdichten

„Irgendwer blockiert immer“, so Gfrerer über unterschiedliche Interessenlagen, die Entscheidungen zusätzlich erschweren würden. Es brauchte wesentlich mehr Kooperation zwischen Bund, Land und Stadt Salzburg – und das auf allen Ebenen. Auch von den Bürgern gibt es immer wieder Widerstand gegen einen Ausbau bzw. Umbau. So wurde etwa gerade der Ausbau der Weststrecke von Anrainern in Seekirchen direkt an der Bahnstrecke verhindert.

Altlasten der Planungspolitik

Der Verkehr wird auch durch die starke Zersiedlung gefördert – eine Folge „gravierender Fehler“ in der Raumplanung, die bis heute nachwirken würden, sagt Franz Dollinger, Raumplaner des Landes Salzburg. In den 1960er und 1970er Jahren hätten die Gemeinden sehr viel Bauland gewidmet, teilweise bis zu 95 Prozent. Dadurch sei manche Gemeinde zwar enorm gewachsen, aber ohne jegliche Steuerungsmöglichkeit. Entsprechend seien viele Häuser und Siedlungen in Randlagen entstanden, mit Nachteilen für die Gemeinden wie höheren Kosten für die Infrastruktur.

Autolichter auf einer Straße
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Salzburg ist rund um die Landeshauptstadt stark zersiedelt

Die Möglichkeit von Einzelgenehmigungen im Grünland habe die Entwicklung zusätzlich verschärft. So eine Einzelbewilligung habe den Ausbau der S2 verhindert, erzählt Dollinger – und zwar genau in Seekirchen. Nachdem die von der Gemeinde ausgestellte Einzelbewilligung vom Land abgelehnt worden war, widmete die Gemeinde in Richtung des gewünschten Bauplatzes eine Baulandzunge um. Auf der entstandenen Fläche sei schließlich eine Siedlung entstanden, die sich dann gegen die Bahntrasse zu Wehr gesetzt habe – aus ihrer Sicht „völlig verständlich“, so Dollinger, doch das habe den Ausbau der Westbahnstrecke um Jahrzehnte verzögert.

Gemeinden sehen Land oft als Gegner

Grundsätzlich seien die Gemeinden autonom für Raumordnung und Flächenwidmung zuständig, und das sei auch „völlig in Ordnung“, denn dort sitze das Detailwissen, sagt Dollinger. Das Land habe kaum Eingriffsrechte, müsse aber seinerseits bestimmte Gebiete, etwa für den Ausbau der Westbahn, freihalten. Das sei oft schwierig: „Die Gemeinden sehen das Land als Gegner.“

Kika-Filiale in Salzburg
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Einkaufszentren auf der grünen Wiese bringen neben Arbeitsplätzen auch Probleme wie zusätzlichen Verkehr mit sich

Oft würden Gemeinden auch gegeneinander arbeiten und einander überbieten, etwa bei Wirtschaftsprojekten, die ihrerseits neue Probleme nach sich ziehen würden – etwa zusätzlichen Verkehr durch Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Manche Grenzen müssten die Gemeinden allerdings akzeptieren. Würden geltende Regeln befolgt, wäre zudem schon viel gewonnen. Wichtig sei auch die Abstimmung zwischen Förderung und Raumplanung, sonst würden neue Standorte entstehen, die für sich genommen gut sind, aber ohne Vernetzung und Anbindung an das Umland, meint Dollinger.

Franz Dollinger (Raumplanung Land Salzburg)
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Dollinger beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Raumplanung in Salzburg

Einige Gemeinden steuern gegen und versuchen das Wachstum zu bremsen und sich zu konsolidieren, darunter auch Wals-Siezenheim. Die Gemeinde direkt an der deutschen Grenze hat sich durch die gute Verkehrslage direkt neben der Autobahn und mit Anbindungen in fast alle Richtungen mehr als verdoppelt und auch fast so viele Arbeitsplätze wie Einwohner, sagt Bürgermeister Joachim Maislinger, doch inzwischen werde der Bauplatz gezielt eingedämmt.

Wals-Siezenheim leidet unter sehr starkem Verkehr, auch aufgrund der Grenzkontrollen auf der deutschen Seite, die den Ausweichverkehr direkt ins Gemeindegebiet verschiebt. Dagegen sind die Lokalpolitiker machtlos, nun wird versucht, zumindest in öffentlichen Verkehr zu investieren, etwa lokalen Busverkehr.

Mehr Wohnungen in den Städten

Eine nachhaltige Lösung für ein Verkehrsproblem liegt in kurzen Wegen, wie sie in einer Stadt möglich sind, sind sich Dollinger, Koch und Haibach einig. Neue Wohnungen sollten vor allem dort entstehen, wo es bereits entsprechende Infrastruktur gibt, also in Städten wie Salzburg, aber auch in Hallein und St. Johann. „Dort ist die Belastung für die Umwelt geringer, als wenn der Wohnort nur mit dem Auto erreichbar ist – da hilft auch kein Ökohaus“, sagt Dollinger. Auch über den Ausbau von Regionalzentren könnte man umliegende Gemeinden fördern.

Eindrücke aus der Stadt Salzburg
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Mehr Platz für Menschen statt für Autos fordern Experten

Dass sich derzeit kaum jemand eine Wohnung in Salzburg leisten kann, mache ihm Sorgen – dabei wurden laut Dollinger mit 20.000 Wohnungen deutlich mehr (plus acht Prozent) gebaut, als die Bevölkerung wuchs (4,3 Prozent) – dennoch seien die Preise nicht merkbar gesunken. Offiziell gibt es seit 1993 ein Verbot für neue Zweitwohnsitze, gerne auch Festspielwohnung genannt, doch der Trend zu kleinen Wohnungen könnte nicht nur auf die steigende Zahl von Single-Wohnungen zurückzuführen sein, heißt es in Salzburg.

„Wem gehört die Stadt?“

Die Politik habe einige Probleme erkannt, sagt Gfrerer, doch die gewünschten schnellen Lösungen gebe es einfach nicht. Erst wenn der öffentliche Verkehr ausreichend ausgebaut sei, könnten Autos aus der Stadt verbannt werden. Derzeit seien aber weder die ewig verstopften Straßen noch die „Öffis“ attraktiv. Es brauche „verlässliche“ Verkehrsachsen, so Gfrerer, der im Bereich öffentlicher Verkehr vor allem Wien als Vorbild sieht, denn „dort funktioniert er“.

Peter Haibach (Forum Mobil)
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Peter Haibach stellt die Grundsatzfrage: „Was will man einer Stadt zumuten?“

„Die Frage ist immer: Wem gehört die Stadt und was will man einer Stadt zumuten?“, so Haibach – und das gelte für Städte wie Gemeinden. Man könne Salzburg wie Venedig rein der Wirtschaft und dem Tourismus überlassen, müsse aber mit den Folgen leben. Ihm gehe es um grundlegende Fragen der Lebensraumgestaltung. Haibach selbst wohnt auf dem Land und legt alle Wege mit dem Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. Der 72-Jährige sieht das als Gewinn an Lebensqualität, nicht als Verzicht.

Er habe sich damals bewusst für einen Ort mit guter Anbindung an den öffentlichen Verkehr entschlossen, sagt Haibach – und daran gearbeitet, dass dieser verbessert wird. Auch er sieht deutliche Verbesserungsmöglichkeiten beim aktuellen Angebot: „Wer nicht Öffi fährt, hat kein Verständnis und keinen Leidensdruck, wenn es etwa keinen Sitzplatz gibt, wenn ein Zug ausfällt“ – dieser Bezug fehle vielen Politikern.

„Politischer Mut und Kooperation“

Gemeinden müssten sich grundsätzlich überlegen, so Koch, ob sie großzügiger und teurer für reichere Einwohner bauen oder dichter, was aus ökologischer Sicht viel sinnvoller sei. „Der Politiker darf sich nicht die individuelle Haltung von mir zu eigen machen“, sondern müsse die Gemeinschaft und das große Ganze im Auge haben. Das Verhältnis zwischen Gemeinschaft und individuellem Nutzen müsse austariert werden.

Leitpfosten
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Wohnen auf dem Land ist laut Experten weniger ökologisch als in der Stadt

„Es braucht politischen Mut und auch Kooperation“, so Dollingers Appell – gerade für den Zentralraum wäre ein gemeinsames Verkehrskonzept, bei dem „alle auf Augenhöhe“ reden, sinnvoll, „sonst gibt es nie eine gangbare Lösung“. Schließlich würden alle an denselben Problemen leiden. Mittlerweile würden Häuslbauer neben Deutschland schon bis nach Oberösterreich ausweichen – dort seien die Grundstückspreise halb so hoch wie in Salzburg. Noch.