VW-Bus
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Instagram statt Flowerpower

Vanlife: Wenn Millennials wie Hippies reisen

Sie kündigen ihre Jobs, verkaufen ihr Hab und Gut und ziehen aus ihren Wohnung in Campervans, um die Welt zu bereisen und ein Leben in scheinbarer Freiheit zu führen. Die selbst ernannte Vanlife-Bewegung hat vor allem Millennials erfasst und erfährt ihre visuelle Entfaltung in den Nischen Sozialer Netzwerke.

Ein alter VW-Bus mit offenen Türen, aufgestelltem Dachzelt und Lichterketten, davor ein Mädchen mit langen Haaren und Hippie-Kleid am Lagerfeuer, im Hintergrund das offene Meer im Licht der untergehenden Sonne: Die Ästhetik der drei Millionen Bilder, die sich auf Instagram unter dem Hashtag „#Vanlife“ finden lassen, folgt immer der gleichen Formel. Vermittelt wird dabei ein Leben in Freiheit und Unabhängigkeit, im Einklang mit der Natur und sich selbst.!!!

Millennials

Als Millennials bezeichnet man die zwischen 1980 und 1999 geborene Generation, die oftmals auch Generation Y genannt wird. Diese Altersgruppierung gilt auch als erste Generation der Digital Natives.

Es sind hauptsächlich Millennials, die ihr bisheriges Leben komplett hinter sich lassen und sich der Vanlife-Bewegung anschließen. Zwei von ihnen sind die Steirerin Viktoria Melmer und der Steirer Michael Wipfler. Eine Mischung aus Fernweh, Abenteuerlust, Flexibilität und der Wunsch nach einer Auszeit vom Alltag trieb auch sie auf die Straße. Mit ihrem blitzblauen VW California reisten sie bereits 220.000 Kilometer quer durch Europa. Auf Instagram folgen den Reisen der „Bluemoonthecrew“ mittlerweile über 47.000 Abonnenten.

Das Paar erzählt vom Gefühl der großen Freiheit und Unabhängigkeit. Sie sehen in Vanlife mehr als nur einen Reisetrend. „Es ist wirklich zu einem Lifestyle geworden. Es geht darum, einfach einmal etwas zu riskieren und durch einen Roadtrip aus dem Hamsterrad auszubrechen“, sagt Wipfler gegenüber ORF.at. Die Community sei richtig groß. „Egal, wo du unterwegs bist, du triffst überall auf Gleichgesinnte, und man versteht sich sofort“, schwärmt er.

Vanlife sei ein Generationenphänomen, das eine Reihe aktueller Trends verkörpere, die vor allem bei Menschen in ihren Zwanzigern und Dreißigern eine Rolle spielen, meint die Kommunikationswissenschaftlerin Maria Schreiber, die zu digitalen, vernetzten Lebenswelten und Sozialen Netzwerken forscht. „Bei Vanlife geht es darum, etwas zu erleben, möglichst authentisch und nachhaltig fremde Kulturen und Länder kennenzulernen, sich auf das Wesentliche zu besinnen und dem Leben einen Sinn zu verleihen“, sagt Schreiber gegenüber ORF.at.

Auf den Spuren alter Hippie-Trails

Sie konstatiert einen starken Trend zur Individualisierung und eine Abkehr von traditionellen Lebenskonzepten. Das Ziel sei nicht mehr, möglichst viel Geld zu verdienen, um ein Haus zu kaufen und eine Familie zu gründen. Was lange als Standardnarrativ galt, wie ein Leben auszusehen habe, löse sich nun mehr und mehr auf.

Neu ist das allerdings nicht. Denn bereits in den 70er Jahren zogen Hippies mit VW Bussen um die Welt, um auf ihren Reisen die große Freiheit und Selbstverwirklichung zu finden. Doch hat die antikapitalistische Bewegung der Hippies dabei noch sinnentleerte Wohlstandsideale der Mittelschicht in Frage gestellt, haben die Hipster von heute aus dem Lebensgefühl ein Produkt gemacht. Statt von Luft und Liebe leben sie von Sponsoren. Statt Flower-Power gibt es Instagram.

Kommerzialisierung durch digitale Nomaden

Obgleich sich die Szene selbst als globale Bewegung eines alternativen Lebensstils sieht, handle es sich primär um ein Nischenphänomen Sozialer Netzwerke, meint die Kommunikationswissenschaftlerin. Außerdem stelle sie eine stark fortgeschrittene Kommerzialisierung fest, die auf das Phänomen der digitalen Nomaden zurückzuführen ist. „In den Anfangszeiten der Sozialen Netzwerke hat es tatsächlich eine große Reisecommunity gegeben. Mittlerweile sind aber viele Menschen, die von unterwegs aus arbeiten, darauf angewiesen, ihre Reisen zu vermarkten“, sagt Schreiber.

So wurde aus dem ursprünglich antimaterialistischen Lebensstil ein lukratives Geschäftsmodell. Mitglieder der Vanlife-Community präsentieren sich auf Instagram als professionelle „Vanlifers“ (im Van Lebende). Reisen werden zu Projekten, mit denen durch Kooperationen und geschickte Produktplatzierungen Geld verdient werden kann. Auch für Viktoria Melmer und Michael Wipfler sind ihre Reisen bereits eine Einkommensquelle. „Während Viktoria noch studiert, arbeite ich Vollzeit an unserem Projekt Bluemoonthecrew. Ich kümmere mich um die Fotografie und das Sponsoring“, erzählt er.

Wie stark potenzielle Kunden durch schöne Instagram-Reisefotos wirklich beeinflusst werden können, lasse sich schwer sagen, meint Schreiber. „Bilder können Möglichkeitsräume aufzeigen, durch die Imaginationen und Sehnsüchte erzeugt werden. Unter den richtigen Umständen können sie unser Verhalten stark prägen. Und voll reinkicken“, so die Kommunikationswissenschaftlerin Schreiber.

Wohnmobilverleih als Millionenbusiness

Doch nicht nur die Träume der Reisenden werden durch Vanlife befeuert, sondern auch die der Wohnwagen- und Reisebranche. Früh erkannt hat den Trend der Portugiese Hugo Oliveira. Er gründete 2013 gemeinsam mit einem Österreicher „Indie Campers“, einen Verleih für Wohnmobile. Begonnen hat das Start-up mit drei Kleinbussen, laut dem Magazin „Business Punk“ ist es heute ein 100-Millionen-Business mit 350 Fahrzeugen.

Kunden bekämen bei ihm nicht einfach nur einen Bus, sondern ein Erlebnis, so Oliveira gegenüber „Business Punk“. Das spiegelt sich auch auf der Website wieder, wo von „Kindern der Sonne, die sich nach dem Meere sehen und deren Seelen sich verbinden, während sie am Lagerfeuer sitzend die Sterne am Nachthimmel zählen“, zu lesen ist.

Vanlife als Reisetrend

Dass Urlaub mit Camper den Zeitgeist treffe, davon zeigt man sich auch bei dem Reiseanbieter TUI überzeugt. Zwar sei der Urlaub mit dem Camper oder Wohnmobil bei TUI Österreich im Vergleich zu anderen Reisearten eher ein Nischenprodukt, dennoch habe TUI Camper das Angebot zum Sommer 2018 ausgebaut. „Einer unserer 50 Partner ist spezialisiert auf individuell gefertigte Campervans und verleiht ausgefallenes Zubehör wie zum Beispiel eine Ausrüstung zum Fliegenfischen, Gitarren oder gusseiserne Feuertöpfe“, sagt Kathrin Spichala von TUI gegenüber ORF.at.

Das Comeback der Urlaube mit Wohnwagen spiegelt sich auch in den Zahlen wieder. So nahm die Zahl der Campingnächtungen 2017 um acht Prozent zu und erreichte mit 6,4 Mio. den höchsten Stand seit 1992. Und: Wer mit einem gemieteten Wohnmobil in den Urlaub startet, muss heuer in fast allen europäischen Ländern deutlich tiefer in die Tasche greifen als noch vor einem Jahr. In Österreich liegt die Tagesmiete mit durchschnittlich 125 Euro zwar im Mittelfeld, doch 2017 war diese noch um 46 Euro billiger, wie aus einer Erhebung der Campingfahrzeug-Vermittlungsplattform Campanda hervorgeht. Zudem steigen laut dem Österreichischen Caravan Handels-Verband (ÖCHV) die Zulassungszahlen von Wohnwagen und Reisemobilen seit einigen Jahren konstant an.

Sponsor Althippie

Der Anteil der neu zugelassenen Campingbusse liegt 2018 (Jänner bis Mai) bei rund 20 Prozent. „Die Zielgruppe der Käufer sind Babyboomer und Althippies. Häufig werden Campingfahrzeuge auch generationsübergreifend gekauft. Etwa von Großeltern, die sie ihren Kindern und Enkelkindern für deren Urlaub zur Verfügung stellen“, sagt Sonja Ulrich vom ÖCHV gegenüber ORF.at.

Hinter einigen Vanlife-Hashtags auf Instagram dürften also tatsächlich noch echte Hippies stecken – jene, die ihren Enkeln den Traum vom Vanlife zumindest temporär ermöglichen.