Eingestürzte Morandi-Brücke in Genua
Reuters/Stefano Rellandini
Genua

Brücke laut Bericht von Rost befallen

Die Spannseile der eingestürzten Morandi-Brücke in Genua sind von Rost befallen gewesen. Das berichtete das italienischen Nachrichtenmagazin „L’Espresso“ am Wochenende. Eine Untersuchung habe ergeben, dass sie im Querschnitt zu zehn bis 20 Prozent verrostet waren. Fachleute haben davon gewusst.

Nach dem Einsturz der Morandi-Brücke in Genua rätseln Medien, Wissenschaft und Politik weiter über mögliche Ursachen und Verantwortliche der Katastrophe. Dem Nachrichtenmagazin „L’Espresso“ zufolge war bereits im Februar bekannt, dass die Spannseile der Brücke von Rost befallen waren. Eine Untersuchung habe nämlich ergeben, dass sie im Querschnitt zu zehn bis 20 Prozent verrostet waren.

Untersuchung mit elektrischem Strom

Das bestätige das Protokoll einer Sitzung von mindestens sieben Ingenieuren, die den italienischen Staat und den Autobahnbetreiber Autostrade per l’Italia vertreten hatten, schrieb das investigative Medium am Wochenende und veröffentlichte eine Liste mit Mängeln, die der Prüfbericht festgestellt habe. Das Ergebnis der Überprüfung habe aber weder zu einer Sperrung noch zu einer Begrenzung des Verkehrs auf der Brücke geführt. Es wurde nur empfohlen, im Rahmen einer geplanten Sanierung die Spannseile zu verstärken.

Feuerwehrleute neben Überresten der Morandi-Brücke in Genua
AP/ANSA/Luca Zennaro
Die Aufräumarbeiten nach dem Brückeneinsturz in Genua gehen weiter

Laut „L’Espresso“, das aus der Untersuchung zitiert, wurde der Rostbefall in Versuchen mit elektrischem Strom festgestellt. Dieser konnte aber in den Stahlseilen nicht normal fließen, da der Widerstand wegen der Korrosion zu stark war, heißt es weiter. Mit ihren Unterschriften bestätigten die fünf Vertreter des Staats die Qualität des Prüfberichts. Er sei umfassend und methodisch einwandfrei. Mit diesem Befund wurde das Untersuchungsergebnis nach Rom weitergeleitet.

Warnung bereits vor 40 Jahren

Wie die Techniker den Gesamtzustand der Brücke beurteilten, geht aus dem Bericht nicht hervor. Es gibt weder einen Hinweis darauf, ob der Rostbefall der Spannseile bedrohlich sein könnte noch ob sie einen baldigen Einsturz der Brücke befürchten. Möglich sei, dass eine solche Beurteilung nicht zu ihrem Auftrag gehörte. Allerdings sollen nun zwei der Ingenieure zur Untersuchungskommission, die sich seit Freitag im Auftrag des Verkehrsministeriums mit dem Brückeneinsturz befasst, gehören.

Es ist nicht das erste Mal, dass vor einer Korrosionsgefahr gewarnt wurde. Riccardo Morandi, der Ingenieur der Brücke, hatte bereits 1979 in einem Bericht geschrieben, die Brücke müsse beständig gewartet werden. Meeresluft und Abgase von einem nahe gelegenen Stahlwerk hätten zu einem „bekannten Verlust der chemischen Oberflächenresistenz des Betons“ geführt, zitierte der Fernsehsender RAI Auszüge aus dem Schreiben. Die Konstruktion der Brücke sei zuverlässig, aber „früher oder später, vielleicht in ein paar Jahren, wird es nötig sein, eine Behandlung anzuwenden, die aus der Entfernung aller Rostspuren besteht“.

„No-Go-Area" für Feuerwehr“

Dass ein großer Teil der Brücke im Jahr 2018 wegbricht, konnte Morandi nicht wissen. Etwa 30 Fahrzeuge stürzten 45 Meter in die Tiefe. Nach Behördenangaben wurden 43 Menschen bei dem Unglück getötet. Die genaue Ursache für den Einsturz ist noch unklar. Fachleute vermuten aber, dass die Katastrophe durch den Riss eines Tragseils verursacht worden sein könnte.

Reste der eingestürzten Morandi-Brücke in Genua
AP/ANSA/Luca Zennaro
Ein Teil der Brücke ist vergangene Woche eingestürzt

Die Suche nach weiteren Verschütteten wurde inzwischen eingestellt. Außerdem mussten am Montag Feuerwehrleute aus Sicherheitsgründen ihre Arbeit unter einem der beiden Brückenreste vorläufig beenden. Der Rumpf, der über evakuierten Wohnhäusern verläuft, mache Geräusche, die sich von denen in den vergangenen Tagen unterschieden, sagte Feuerwehrsprecher Luca Cari. Die Bewohner der Häuser dürften deshalb von nun an keine persönlichen Gegenstände mehr aus ihren Wohnungen holen.

500 Genuesen mussten Wohnungen verlassen

Am Montag sollten die ersten betroffenen Familien neue Bleiben bekommen, kündigte der Regionalpräsident von Ligurien, Giovanni Toti, auf dem Kurznachrichtendienst Twitter an. Bis zum 20. September sollten weitere 40 Wohnungen zur Verfügung stehen, bis Ende des Monats weitere 100. „Innerhalb von maximal acht Wochen gibt es ein Zuhause für alle“, versprach er. Mehr als 500 Genuesen hatten ihre Wohnungen verlassen müssen.

Tage nach dem Einsturz der Brücke hatte der Betreiber Autostrade per l’Italia 500 Millionen Euro für den Wiederaufbau der Autobahnbrücke sowie für Hilfszahlungen an die Stadt Genua zugesagt. Ab Montag stehe eine halbe Milliarde Euro bereit, sagte Unternehmenschef Giovanni Castelluccio am Samstag bei einer Pressekonferenz. Der italienische Premier Giuseppe Conte hatte am Freitag einen Prozess eingeleitet, um der Betreibergesellschaft ihre Lizenz zu entziehen. Das Unternehmen bestreitet Nachlässigkeit.

Berichte über Verstaatlichung

Allerdings hat die Aktie des Mutterkonzerns von Autostrade per l’Italia, Atlantia, ihre Talfahrt wegen des Brückenunglücks fortgesetzt. Nachdem sich der Kurs Ende vergangener Woche wieder etwas erholt hatte, verlor er am Vormittag 9,33 Prozent. Der Handel mit den Atlantia-Aktien begann verspätet, er war in der Früh zunächst ausgesetzt worden. Schon nach der Tragödie am vergangenen Dienstag sowie in den Tagen danach hatte der Börsenkurs deutlich nachgegeben.

Montagfrüh sorgte zunächst ein Bericht des Finanzportals Milano Finanza für Verunsicherung, wonach Autostrade per l’Italia verstaatlicht werden könnte. Daher wurde der Aktienhandel ausgesetzt. Eine Verstaatlichung wäre trotz der hohen Kosten „lohnenswert“, sagte Verkehrsminister Danilo Toninelli der Zeitung „Corriere della Sera“.

Die Regierung hatte zuvor bereits erklärt, sie prüfe einen Lizenzentzug sowie hohe Strafzahlungen gegen das Unternehmen. Die Zeitung „La Repubblica“ berichtete am Montag unter Berufung auf Gewerkschaftsangaben, dass eine Verstaatlichung von Autostrade zwischen 15,8 und 18,2 Mrd. Euro kosten könnte.