Portugiesische Song-Contest-Teilnehmer Conan Osiris
eurovision.tv/Thomas Hanses
Song Contest in Israel

Partyspektakel unter heiklen Umständen

Völkerverständigung durch Gesang und trotzdem unpolitisch sein: Beides hat sich der Eurovision Song Contest auf die Fahnen geheftet. Und wohl kaum fiel dieser Spagat schwieriger aus als heuer, wenn der Bewerb diese Woche in Israel über die Bühne geht – inmitten des einmal mehr aufgeflammten Nahost-Konflikts. Doch in der Partystadt Tel Aviv will man sich die Laune nicht verderben lassen. Und der Song Contest wird auch heuer alles das bieten, was er immer zu bieten hat.

Nach dem schwersten Ausbruch der Gewalt seit fünf Jahren zwischen Israel und den militanten Palästinensern im Gazastreifen konnte gerade noch vor dem Beginn der Proben eine Waffenruhe zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas vereinbart werden. Dennoch gelten höchste Sicherheitsmaßnahmen, 8.000 zusätzliche Polizisten sollen die Events schützen.

Schon kurz nachdem die Sängerin Netta vor einem Jahr in Portugal den Wettbewerb gewonnen und damit nach Israel gebracht hatte, begann eine ganze Reihe an politischen Querelen, sodass die Veranstaltung nicht unter dem besten Stern zu stehen schien. So twitterte Regierungschef Benjamin Netanjahu sofort: „Nächstes Jahr in Jerusalem!“ – und löste damit einen Streit aus. Er wollte den Song Contest in der Stadt veranstaltet wissen, die Israel als seine Hauptstadt ansieht und um die sich Israelis und Palästinenser seit Jahrzehnten streiten.

Stadtansicht von Tel Aviv
APA/AFP/Jack Guez
Die Partystadt Tel Aviv bietet dem Song Contest die Bühne

Finanzierungsstreit und Boykottaufrufe

Im Herbst war – auch nach einigem Druck des Veranstalters, der European Broadcasting Union (EBU) – klar, dass das Event in Tel Aviv stattfindet. Im Sommer hatte man auch noch über die Finanzierung des Projekts gestritten, der erst 2017 gegründete Sender KAN verlangte von der Regierung die nötigen Mittel, das Projekt stand auf der Kippe. Erst im April wurden die letzten Streitigkeiten gelöst.

Hinweis

Die Semifinale am Dienstag und Donnerstag sind so wie das Finale am Samstag jeweils ab 21.00 Uhr live in ORF1 und im Livestream in tvthek.ORF.at zu sehen. ORF.at begleitet den Bewerb mit einem Liveticker – samt Bildern, animierten GIFs und Social-Media-Kommentaren – mehr dazu in tv.ORF.at.

Für den nächsten Krach sorgte dann heuer im Jänner ein Boykottaufruf britischer Künstler wie der Musiker Roger Waters und Peter Gabriel und der Modedesignerin Vivienne Westwood, die die BBC aufforderten, wegen „systematischer Verletzungen der Menschenrechte von Palästinensern“ sich für eine Verlegung der Veranstaltung in ein anderes Land einzusetzen.

Anfang Mai formierte sich eine breit aufgestellte Gegeninitiative: Musik sei „unsere gemeinsame Sprache“, „eine, die Grenzen überwindet und Menschen mit einem gemeinsamen Band vereint“, hieß es in dem Aufruf, der unter anderen von der Künstlerin Marina Abramovic und dem Autor Stephen Fry unterzeichnet wurde. Ein Boykott sei ein „Affront“ sowohl „gegen Palästinenser wie auch Israelis, die für den Frieden zusammenarbeiten“.

Fast schon intime Hallenatmosphäre

Mittlerweile haben sich fast alle Wogen geglättet, doch ein kleiner Nachgeschmack ist geblieben. Nur rund 5.000 ausländische Besucherinnen und Besucher werden erwartet, für Song-Contest-Verhältnisse ist das nicht üppig. Neben der Frage der Sicherheit dürfte auch die Ticketpolitik einige Fans abgeschreckt haben. Für Aufregung sorgten die hohen Preise von bis zu 490 Euro, schließlich wurde der Verkauf wegen Unregelmäßigkeiten auch noch unterbrochen. Allerdings: Im Convention Center im Norden der Stadt finden ohnehin nur 7.500 Menschen Platz, schon fast eine intime Atmosphäre für das Großevent.

ESC-Liegestühle am Strand von Tel Aviv
APA/AFP/Jack Guez
Der Song Contest prägt das Stadt- und Strandbild

41 Länder singen – und Madonna

In der Halle proben seit rund einer Woche die Kandidatinnen und Kandidaten aus 41 Ländern. Am Dienstag im ersten Halbfinale 17 Länder um zehn Startplätze und am Donnerstag im zweiten Halbfinale 18 Länder um die dann noch verbliebenen letzten zehn Startplätze für das mit 26 Teilnehmern stattfindende Finale. Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien als größte Geldgeber sowie Israel als Gastgeber sind für das Finale gesetzt.

Song Contest und die Frage der Sicherheit

Am Sonntagabend ging die Song-Contest-Woche mit der Eröffnungsfeier so richtig los. Noch vor einer Woche schien die Veranstaltung durch den wieder aufgeflammten Gaza-Konfikt gefährdet.

Am Samstag singen nicht nur sie und Vorjahressiegerin Netta: Nach langen Ankündigungen scheint nun auch der Auftritt von Superstar Madonna fix zu sein. Eine entsprechende Vereinbarung sei vergangene Woche unterschrieben worden, meldeten israelische Medien. Madonna werde zwei Songs, offenbar „Like a Prayer“ und einen neues Lied, zum Besten geben. Die Kosten von kolportierten 1,3 Millionen Dollar übernimmt der israelisch-kanadische Geschäftsmann Sylvan Adams.

Viel Lob nach ersten Proben für Paenda

Spannend wird, ob die österreichische Teilnehmerin Paenda ebenfalls am Samstag dabei ist. Sie tritt im zweiten Halbfinale, also am Donnerstag, mit ihrem Song „Limits“ an. Bei den Buchmachern rangiert sie damit derzeit eher in der Kategorie Geheimtipp mit unsicherem Finaleinzug. Angesichts einer ähnlichen Prognose im Vorjahr für Cesar Sampson, der letztlich den dritten Platz belegte, sollte das noch kein Grund zur Sorge sein. Vor allem, weil sich die Probenkritiken der Experten und Blogger in Tel Aviv doch auf einer Skala von freundlich bis begeistert bewegen.

Österreichische Song-Contest-Teilnehmerin PAENDA
ORF/Roman Zach-Kiesling
Paenda setzt auch bei ihrem Auftritt auf durchdacht inszenierten Minimalismus

Auf dem Fanportal Wiwibloggs attestierte man ihr nach der ersten Probe „eine der besten Stimmen“ im zweiten Semifinale, ESC kompakt nennt ihre Performance „berührend und intensiv“. Der deutsche Song-Contest-Guru Jan Feddersen bezeichnet es als „großes Glück“, dass Paenda für Österreich an den Start geht – „das ziert diesen Jahrgang“. Schwierig wird es für Paenda allemal, weil das zweite Semifinale deutlich besser besetzt ist als das erste.

Paendas erste Probe in Tel Aviv

Noch ist das Convention Center in Tel Aviv fast leer. Bei Paendas erster Probe werden noch Details zum Auftritt geklärt.

Niederlande in der Favoritenrolle

Der Favoritenkreis des Bewerbs mit dem Motto „Dare to Dream“ ist relativ weit: Seit Wochen steht bei den Buchmachern ein Name ganz oben: Duncan Laurence. Der Niederländer wird mit seiner Ballade „Arcade“ als aussichtsreichster Kandidat auf den Sieg gehandelt. Seit einigen Tagen rangiert Schwedens John Lundvik auf Platz zwei, bei „Too Late for Love“ sind es vor allem die vier Gospelsängerinnen, die dem Song Verve verleihen.

Ebenfalls erst kurz unter dem Top Five sind Bilal Hassani, Frankreichs späte Antwort auf Conchita Wurst, und Chingiz aus Aserbaidschan. Schon seit Bekanntgabe seiner Teilnahme steht der Russe Sergej Lasarew mit „Scream“ hoch im Kurs – vor allem weil er bereits vor drei Jahren in Stockholm Platz drei geholt hatte.

Italien schafft es zum dritten Mal in Folge, eine starke Nummer mit auch ernstzunehmendem Text zum Song Contest zu schicken. Heuer hat sich Rapper Mahmood mit „Soldi“ beim Sanremo-Festival den Startplatz erkämpft. Dass er in der musikalischen Aufarbeitung der Beziehung zu seinem ägyptischen Vater eine paar Verse in Arabisch singt, löste prompt Kritik von Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini aus.

Die Schweiz schickt nach Jahren der Enttäuschung mit dem „Deutschland sucht den Superstar“-Gewinner von 2012, Luca Hänni, und könnte damit auch ein Erfolgserlebnis einfahren.

Isländischer Hass und portugiesische Mobiltelefonie

Der bunteste Klecks im Teilnehmerfeld ist die isländische Band Hatari, die mit dem Lied „Hatrid mun sigra“ (Dt.: „Der Hass wird siegen“) antritt. Neben dem als Protestlied gemeinten markigen Titel punktet der Elektrostampfer mit einer Gesangslinie, die irgendwo zwischen Rammstein und Bronski Beat oszilliert. Zumindest optisch ist auch der portugiesische Teilnehmer Conan Osiris interessant. Musikalisch ist „Telemoveis“, bei dem es irgendwie um ein kaputtes Handy geht, recht schwer zu ertragen.

Ebenfalls vor allem optisch überraschend dürfte der Auftritt der Australierin (ja, Australien ist seit 2015 in Wien Dauergast beim Song Contest) Kate Miller-Heidke werden, die sich in Eisprinzessinnenoutfit auf eine ziemlich hohe Stange schnallen lässt, um dann operesk das erste Thema postnatale Depressionen zu besingen.

Bühnenshow von Kate Miller-Heidke
eurovision.tv/Andres Putting
Die Australierin Kate Miller-Heidke will hoch hinaus

Noch komplizierteres Voting für mehr Spannung

Wer letztlich am Samstag gewinnt, wird man erst nach einem sehr lang gezogenen Votingblock am Ende des Finales wissen. Schon in den vergangenen Jahren hat die EBU das Prozedere der Punkteverkündung immer wieder adaptiert, um die Spannung möglichst lange aufrechtzuerhalten – mit Erfolg und dem Nebeneffekt der Verwirrung. Auch heuer gibt es in der rund halbstündigen Spannungsphase eine neue kleine Änderung.

Wie gehabt werden die Punkte der Jurys und der Zuschauerabstimmung einzeln gewertet. Die Jurywertung wird zuerst durch die Ländersprecher bekanntgegeben – wobei nur die zwölf Punkte angesagt und die weiteren Punkte eingeblendet werden. Dann werden die Publikumspunkte von den Moderatoren genannt. Bisher erfolgte das in ansteigender Reihenfolge nach Publikumspunkten. Nun wird erstmals nach der Reihung der Jurypunkte vorgegangen. Also jenes Land beginnt, dass die wenigsten Expertenpunkte bekommen hat – und so arbeitet man sich in der Liste bis nach oben.