Kanadas Premier Justin Trudeau
AP/The Canadian Press/Justin Tang
Alte Fotos und Skandale

Trudeau vor Wahl unter Druck

Ausgerechnet Kanadas Premier Justin Trudeau sieht sich im anlaufenden Wahlkampf mit Rassismusvorwürfen konfrontiert. Der Liberale, der mit dem Versprechen besonderer Offenheit und Akzeptanz antrat, strebt eine zweite Amtszeit an. Nun tauchten Bilder auf, die ihn in Verkleidung mit dunkler Schminke zeigen. Dieses „Brownfacing“ sucht Trudeau fast 20 Jahre später heim.

Zunächst hatte das Magazin „Time“ ein Bild von 2001 veröffentlicht, das Trudeau auf einem Kostümball mit dem Titel „Arabische Nächte“ mit einem dunkel geschminkten Gesicht und Turban zeigt. Kurz darauf veröffentlichte ein kanadischer TV-Sender ein Video, das den Premierminister als Teenager tanzend und Grimassen schneidend mit dunkel geschminktem Gesicht zeigt. Das Video stamme von Quellen aus der Konservativen Partei, teilte der Sender Global News mit. Zudem räumte Trudeau vor Reportern einen weiteren Fall ein: In seiner High-School-Zeit habe er bei einem Talentwettbewerb in Verkleidung den jamaikanischen „Banana Boat Song“ („Day O“) aufgeführt. Auch dabei sei er dunkel geschminkt gewesen. Viele empfanden die Bilder, die seither um die Welt gehen, als rassistisch.

Trudeau entschuldigte sich nach dem Auftauchen des Fotos. „Ich habe mir ein Aladdin-Kostüm angezogen und Make-up aufgetragen“, sagte er bei einer eilig angesetzten Pressekonferenz an Bord eines Flugzeuges. „Ich hätte das nicht tun sollen. Ich hätte es besser wissen sollen, aber das habe ich nicht. Es tut mir wirklich leid.“

Als Lehrer an Privatschule

Er fügte hinzu: „Es war etwas, von dem ich damals nicht dachte, dass es rassistisch wäre, aber jetzt erkenne ich, dass es etwas Rassistisches war.“ Er werde weiter daran arbeiten, Intoleranz und Diskriminierung zu bekämpfen, auch wenn er in der Vergangenheit offensichtlich einen Fehler gemacht habe. Zum Zeitpunkt der Aufnahme vor fast 20 Jahren war Trudeau 29 Jahre alt. Das Bild war laut „Time Magazine“ im Jahrbuch einer Privatschule in Vancouver veröffentlicht worden, in der Trudeau damals gelehrt hatte.

Kanadas Premier Justin Trudeau mit einem schwarz angemalten Gesicht
APA/AFP/TIME Inc.

Nachdem auch noch das Video an die Öffentlichkeit gelangte, sagte der Premier, er habe damals nicht verstanden, wie beleidigend sein Verhalten für Minderheiten sei. „Was ich getan habe, hat sie verletzt. Es hat Menschen verletzt, die weder Intoleranz noch Diskriminierung wegen ihrer Identität ertragen sollten“, betonte Trudeau.

„Kanadas Kennedy“ mit ambitionierten Zielen

Trudeau galt lange als Botschafter für Toleranz und eine liberale Gesellschaft, auch als politisches Wunderkind, das aus dem Schatten seines Vaters, der einst ebenso Premierminister Kanadas war, heraustrat. 2015 führte Trudeau, den die „Vogue“ als „Kanadas Kennedy“ bezeichnete, seine Liberale Partei aus der Opposition direkt zur absoluten Mehrheit und drängte den damals seit neun Jahren regierenden konservativen Premierminister Stephen Harper aus dem Amt.

Seither verfolgte Trudeaus Regierung weitreichende Reformen und ehrgeizige Klimaziele. Trudeau setzte sich für die Gleichstellung der LGBT-Gemeinde (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) ein und bemühte sich um Aussöhnung mit den Ureinwohnern des Landes, den First Nations. Erstmals setzte er eine Ureinwohnerin als Ministerin ein. Insgesamt wurde die Hälfte der Regierungsposten mit Frauen besetzt. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit kündigte er an, 25.000 syrische Flüchtlinge ins Land zu holen.

Politischer Gegner „schockiert“

Manche Vorstöße gingen vielen zu weit, etwa die Legalisierung von Cannabis und der rigorose Klimaschutz. Wegen starker Anfeindungen gegen die Umweltpolitik der Regierung musste Umweltministerin Catherine McKenna sogar unter Polizeischutz gestellt werden.

Kanada wählt am 21. Oktober, trotz bester Wirtschaftszahlen liegen beide großen Parteien in den Umfragen in etwa gleichauf. Die Fronten von Trudeaus Liberalen und den konkurrierenden Konservativen sind längst verhärtet. Die „Brownfacing“-Bilder des Premiers kommen seinem schärfsten Konkurrenten Andrew Scheer gelegen. Dieser warf Trudeau einen „offenen Akt von Rassismus“ vor. Er sei „schockiert und enttäuscht“ von Trudeaus Handlungen. Beim „Brownfacing“ habe es sich 2001 um Rassismus gehandelt, genauso wie es heute rassistisch sei. Trudeau sei nicht geeignet, ein Land zu steuern, so Scheer.

Reihe von Skandalen

Es war nur der jüngste Skandal in Trudeaus Amtszeit, der an seinem Image als Saubermann kratzt. Mehrfach musste sich der Premier öffentlich entschuldigen. 2016 machte er Urlaub auf einer privaten Insel von Karim Aga Khan IV., dem religiösen Führer von 20 Millionen ismailitischen Nizariten und Freund der Familie Trudeau. Die Ethikbeauftragte des Landes konstatierte einen Interessenkonflikt, weil die Aga-Khan-Stiftung staatlich gefördert wurde. „Dafür übernehme ich die volle Verantwortung“, sagte Trudeau damals. „Wir müssen sicherstellen, dass das Amt des Premierministers ohne Tadel ist.“

Das bisher größte Aufsehen erregte der Skandal um den kanadischen Baukonzern SNC-Lavalin. Diesem wurde vorgeworfen, Schmiergeld für Geschäfte in Libyen gezahlt zu haben. Das Unternehmen mit Sitz in Montreal soll zwischen 2001 und 2011 bis zu 31 Millionen Euro an die Familie des damaligen libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi gezahlt haben. 2015 wurde der Konzern wegen Korruption angeklagt, die juridische Aufarbeitung des Falls dauert an.

Regierung in der Krise

Premier Trudeau wurde vorgeworfen, er habe Ermittlungen seiner damaligen Justizministerin gegen das Unternehmen unterdrücken wollen. Anfang des Jahres traten die beiden Ministerinnen Jody Wilson-Raybould und Jane Philpott zurück, weil sie das Vertrauen in Trudeau verloren hätten, wie sie sagten. Trudeau schloss die beiden schließlich aus der Partei aus. Auch Chefsekretär Gerald Butts trat zurück. Die Regierung stürzte in eine tiefe Krise. Mitte August kam eine Ethikkommission zu dem Schluss, Trudeau habe sich falsch verhalten.

Trudeau sagte: „Auch wenn ich mit einigen Schlussfolgerungen nicht einverstanden bin, akzeptiere ich den Bericht vollständig“, fügte er hinzu. Er werde sicherstellen, „dass ein solches Fehlverhalten nie wieder vorkommt“. Trudeaus politischer Kontrahent warf dem Premier vor, seine Versprechen nicht gehalten zu haben. „Stattdessen nutzte er die Macht seines Amtes, um seine Anhänger zu belohnen und seine Kritiker zu bestrafen“, so Scheer.

Der Regierungschef wurde wegen eines Verstoßes gegen das Gesetz zum Umgang mit Interessenkonflikten mit einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet gut 330 Euro belegt. Mehr schmerzen dürfte ihn, dass diese Affäre ihn wertvolle Wählerstimmen gekostet haben dürfte – genauso wie wohl der „Brownfacing“-Vorfall.