Marlen Haushofer wäre 100

Heute wäre die renommierte österreichische Schriftstellerin Marlen Haushofer 100 Jahre alt geworden. Berühmt wurde sie vor allem mit ihrem ikonischen Roman „Die Wand“, der später auch mit Martina Gedeck in der Hauptrolle erfolgreich verfilmt wurde und gerade jetzt in Coronavirus-Zeiten wieder viel gelesen und besprochen wird.

Denn die Einsamkeit ist Thema, hier wie dort. Draußen hinter einer ominösen Glaswand wirkt die Welt bei Haushofer wie in einen tausendjährigen Schlaf gefallen. Die Erzählerin muss ihren Alltag mit Nahrungsmittelbeschaffung, Holzhacken und Katze und Jagdhund als einzigen Gefährten nun selbst bewältigen – sie ist eingesperrt.

Autonomie jenseits der „Wand“

„Die Wand“ ist eine Erzählung von vordergründiger Einfachheit, die vielerlei Interpretationsmöglichkeiten zulässt: Ist es Science-Fiction, eine Robinsonade oder die Parabel einer Depression – oder womöglich etwas ganz anderes? Was die Ich-Erzählerin in „Die Wand“ hat, ist schließlich nicht nur „Ein Zimmer für sich allein“, wie Virginia Woolf das für schreibende Frauen gefordert hat, sondern eine ganze Welt, in der sie sich behaupten lernt.

Befreiungsschlag einer Hausfrau und Mutter

In der Einsamkeit einer Berghütte entdeckt die Städterin gezwungenermaßen, wie sehr sie sich auf ihre eigenen Fähigkeiten verlassen kann. Als sie, dramatischer Höhepunkt, einen gewalttätigen Eindringling entdeckt, muss der sein Leben lassen, sie verteidigt ihre Welt um jeden Preis.

Schriftstellerin Marlen Haushofer
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In dieser Lesart ist „Die Wand“ eine Utopie, keine Horrorvorstellung, und womöglich Befreiungsschlag für Haushofer, die nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Hausfrau und Mutter war und ihre Bücher am Küchentisch schrieb.

Schreiben mit Blick aufs „Gewürzkasterl“

In der 2007 erschienenen Biografie „Wahrscheinlich bin ich verrückt“ zitiert die Literaturwissenschafterin Daniela Strigl einen ironischen Kommentar Haushofers zu ihrer Schreibsituation: „Da setz’ ich mich in die Küch’ und schau aufs Gewürzkasterl.“

Dass unter diesen beengten Umständen Romane und Erzählungen von weltliterarischem Rang entstanden, die in erschütternder Drastik immer wieder vom tatsächlichen oder mentalen Entfliehen aus einem kleinbürgerlichen (Ehe-)Leben handeln, zeichnet Haushofer vor ihren Zeitgenossen aus.

Geldverdienen mit Kinderbüchern

Und es ist ein gewaltiges Identifikationsmoment für jene berufstätigen Frauen, die sich während der Ausgangssperre nun im Homeoffice in der längst überwunden geglaubten Dreifachbelastung von Arbeit, Haushalt und Betreuungspflichten wiederfinden. Sie begann schon als achtjähriges Kind zu schreiben, auch bald mit literarischem Anspruch.

An diese Zeit erinnern ihre Erzählungen an den Bruchlinien zur Erwachsenenliteratur, wo kindliche Protagonistinnen Existenzielles erleben, etwa ihre Kindheitserinnerungen „Himmel, der nirgendwo endet“ oder die Erzählung „Das fünfte Jahr“.

Zweifache Staatspreisträgerin

Haushofer erhielt zweimal den Staatspreis für österreichische Literatur, beim zweiten Mal für den Erzählband „Schreckliche Treue“. Die größten finanziellen Erfolge brachten ihr zu Lebzeiten jedoch ihre Kinderbücher, Titel wie „Bravsein ist schwer“ und „Schlimmsein ist auch kein Vergnügen“.

Kurz vor ihrem 50. Geburtstag starb Haushofer 1970 an Blutkrebs, ihre Werke wurden als „Frauenliteratur“ schnell beiseite gelegt.

Die schreibende Frau als Sonderfall

Erst in den 80er Jahren wurde sie wiederentdeckt und einer feministischen Relektüre unterzogen, manche Texte wurden erst Anfang der 90er postum veröffentlicht, darunter das bitter-vergnügliche Hörspiel „Ein Mitternachtsspiel“ in der einschlägig betitelten Ullstein-Reihe „Die Frau in der Literatur“ – die schreibende Frau immer als Sonderfall gedacht.

Haushofer war ihr Autorinnenleben lang bei Ullstein. Eine Werkausgabe ist hier allerdings bis heute nicht erschienen, wie Biografin Strigl in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ aus Anlass des Jubiläums anmerkt. Das Jahr 2020, in dem sich Haushofers Geburtstag und ihr Sterbetag zum 100. bzw. 50. Mal jähren, wurde versäumt.