Bundeskanzer Sebastian Kurz
Reuters/Lisi Niesner
„Zweite Welle“

Kurz appelliert an Bevölkerung

In den vergangenen Tagen ist die Zahl der Coronavirus-Infizierten in die Höhe geschnellt. Am Samstag bezeichnete Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) die Zahlen als „zu hoch“. Man müsse alles tun, damit es zu keiner zweiten Welle kommt. Am Sonntag legte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nach: „Was wir gerade erleben, ist der Beginn der zweiten Welle.“

In einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der APA richtete Kurz den „dringenden Appell“ an die Bevölkerung, sich an die Maßnahmen zu halten. „Die Ansteckungszahlen nehmen von Tag zu Tag zu“, so der ÖVP-Chef. „Waren es vor zwei Wochen noch rund 350 Ansteckungen pro Tag, lagen wir gestern bereits bei über 850. Besonders dramatisch ist die Entwicklung in Wien, wo rund 50 Prozent aller Neuinfektionen in Österreich verzeichnet werden. Und wir werden bald die Marke von 1.000 Neuansteckungen pro Tag erreichen.“

„Ich bitte die Bevölkerung, dass sie alle Maßnahmen einhält, soziale Kontakte reduziert, den Mund-Nasen-Schutz trägt und überall so gut als möglich Abstand hält“, appellierte Kurz. Er bleibt aber bei seiner Einschätzung, dass Licht am Ende des Tunnels zu sehen sei – und auch, dass der Sommer im kommenden Jahr wieder weitgehend normal sein werde. „Aber es wird für uns alle ein harter Herbst und Winter werden. Daher sind wir jetzt alle aufgerufen und gefordert, mit gleicher Disziplin und Rücksicht wie im Frühjahr auch die Herausforderungen der kommenden Monate gemeinsam zu meistern.“

Verschärfung der Maßnahmen nun verordnet

Kurz äußerte sich einen Tag bevor die verschärften Regeln in Kraft treten. Am Samstagabend wurde die Novelle der „Covid-19-Lockerungsverordnung“ von Gesundheitsminister Anschober kundgemacht. Damit gelten ab Montag eine österreichweite Maskenpflicht in fast allen öffentlich zugänglichen Innenräumen sowie Verschärfungen bei Events und im Gastrobereich. Überraschungen brachte sie gegenüber den Ankündigungen keine.

869 CoV-Neuinfektionen in Österreich

Bei 869 Menschen ist seit Freitag eine Coronavirus-Infektion festgestellt worden.

„Die positiven Auswirkungen werden wir – wie uns die Erfahrung des Frühlings zeigt – nach zehn bis 14 Tagen auch in der Statistik wiederfinden“, sagte dazu Anschober am Samstag in einer Aussendung. Laut dem Gesundheitsminister sind die derzeitigen Zahlen jedenfalls „deutlich zu hoch. Jetzt muss mit aller Kraft daran gearbeitet werden, dass daraus keine exponentielle Steigerung in Richtung einer zweiten Welle wird“.

CoV-Schwerpunkte auch in Tirol und Niederösterreich

Nie zuvor sei so viel getestet worden (14.674 Tests in 24 Stunden) – dadurch und durch die stark erweiterte Teststrategie seien die aktuellen Infektionszahlen nicht vollständig mit den Zahlen des Frühlings vergleichbar. „Aber 869 dabei festgestellte Neuinfektionen bei gleichzeitig 322 Neugenesenen in den vergangenen 24 Stunden sind eine besorgniserregende Entwicklung“, sagte der Ressortchef. Erfreulicherweise seien die Hospitalisierungen ebenso wie die Todeszahlen relativ stabil.

Erkennbar sei ein Ansteigen der virologischen Aktivitäten in weiten Teilen Österreichs mit Schwerpunkten in Wien, Niederösterreich und Tirol. Die durchschnittliche Prozententwicklung bei Neuinfektionen liegt bei einem Plus von 2,73 Prozent, in Wien bei 4,35 Prozent (bei sehr vielen Testungen) und den geringsten Zuwächsen in Kärnten mit 0,88 Prozent. „Die regionalen Clusterbildungen finden wir aktuell in vielen Bereichen, vor allem bei privaten Feiern, in den Familien, in Vereinen und Bars“, so der Gesundheitsminister.

Verschärfte Regeln ab Montag

Konkret bedeuten die verschärften Regeln, dass ab Montag in allen Kundenbereichen in geschlossenen Räumen im Handel, Dienstleistungsbereich und Parteienverkehr ein Mund-Nasen-Schutz zu tragen ist. In der Gastronomie gilt die Maskenpflicht für das Personal im Service, Konsumation ist in geschlossenen Räumen nur noch am Sitzplatz möglich. An der Bar darf weder getrunken noch gegessen werden. In der Schule müssen Schülerinnen und Schüler genauso wie das Lehrpersonal außerhalb der Klasse einen Mund-Nasen-Schutz tragen.

Mit Ausnahme der Sperre des Barbereichs wären diese Maßnahmen nach den noch vergangene Woche präsentierten Informationen zur Coronavirus-Ampel erst bei Stufe Gelb schlagend geworden. Jetzt gelten sie bereits auf der niedrigsten Risikostufe – also bei Grün. Noch strikter fielen die Verschärfungen im Veranstaltungsbereich aus. Ohne fixe Sitzplätze dürfen an Veranstaltungen in Gebäuden maximal 50 Personen teilnehmen, im Freien 100. Gibt es zugewiesene Sitze, steigt diese Zahl indoor auf 1.500 und outdoor auf 3.000. Das ist tatsächlich noch strenger, als es bisher die Mindestmaßnahmen bei Risikostufe Gelb vorgesehen hätten.

Ampelkommission tagt am Montag

Am Montag wird das die Coronavirus-Ampelkommission zu einer weiteren Sitzung zusammentreffen. Normalerweise tagt das Gremium am Donnerstag. Grund für die Vorziehung sind die stark ansteigenden Infektionszahlen sowie die Evaluierung der Ampelregionen. „Wir haben die Entwicklung schon länger auf uns zukommen gesehen“, sagte Kommissionsleiter Ulrich Herzog am Samstag im Ö1-Mittagsjournal.

Der Durchschnitt der vergangenen drei Tage liege nun bei rund 700 Infektionen pro Tag österreichweit. 50 Prozent sind in Wien zu verzeichnen, danach folgen Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich und die Steiermark. Daher könne man von einem „bundesweiten Trend“ sprechen, es seien nicht mehr „einzelne Regionen“ betroffen, so der Kommissionsleiter. Derzeit seien von den vielen Ansteckungen in Wien vor allem junge Menschen betroffen.

Hintergrund der Fälle sind Familien, private Feiern, gesellschaftliche Events wie etwa gemeinsames Fußballschauen oder Veranstaltungen bei der Freiwilligen Feuerwehr. In Alters- und Pflegeheimen gebe es erfreulicherweise weniger Fälle, was zu einer Verringerung der Belagszahlen in den Spitälern führe.

Kritik an Ampel für Kommissionsleiter positiv

„Grün heißt ja nicht, dass kein Risiko da ist“, betonte der Kommissionsleiter erneut. Denn im Großraum von Wien, im nördlichen Burgenland, aber auch in Teilen von Vorarlberg geht es laut Herzog „schon in Richtung Gelb“. Daher sollten diese Entwicklungen des epidemiologischen Risikos in Zukunft vereinfacht dargestellt werden. Auf die Frage, ob man sich dann nicht mehr so strikt an Landes- oder Bezirksgrenzen halten werde, sagte Herzog: „Das ist genau der Punkt.“

Kritik an der Coronavirus-Ampel sah der Kommissionsleiter positiv. „Das gehört auch dazu, wenn wir ein neues System etablieren. Mit jeder Kritik lernen wir auch und können auch nachbessern.“ Die Entscheidung der Bundesregierung zu einem ausgedehnten Mund-Nasen-Schutz und reduzierten Veranstaltungen sei wesentlich gewesen, so Herzog. Zuletzt hatte sich am Samstag der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) mit Kritik an der Ampelkommission zu Wort gemeldet – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Kritik an Kurz kam von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner: Dieser habe den Vorsprung verspielt. Der Anstieg der Coronavirus-Fallzahlen sei „nicht überraschend“, Maßnahmen wie die Maskenpflicht seien „viel zu früh“ gefallen, zudem sei viel zu wenig getestet worden. Vorbereitungen auf den Schulanfang und die Tourismussaison seien ausgeblieben. Die „grundsätzlich vernünftige“ Ampel funktioniere immer noch nicht.