Svetlana Aksenova (Zaza) und Nikolai Schukoff (Milio Dufresne)
Monika Rittershaus
„Zaza“

Mit Erfolg aus der Mottenkiste

Das Theater an der Wien hat sich die (Wieder-)Entdeckung von Opernraritäten verordnet – und ist am Mittwochabend gleich mit einer solchen in die Ausnahmesaison gestartet: Ruggero Leoncavallos „Zaza“. Im cornavirusbedingt halb vollen Haus erwies sich die tragische Liebesgeschichte in der Inszenierung von Christof Loy als durchaus modern verständlich – und wurde mit langem Applaus gefeiert.

Die gern als „bittersüß“ bezeichnete Oper wird dem Verismo zugeordnet – dem grob zusammengefasst ungeschminkten Naturalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts – und erzählt die Geschichte Zazas, einer Varietekünstlerin in der Provinz. Als Teil einer Wette verführt sie den anfänglich zurückhaltenden Pariser Geschäftsmann Milio. Aus Spaß wird Liebe – und wie immer in der Oper eine mit Hindernissen.

Milio vergaß nicht nur, seine Frau und sein Kind zu erwähnen, sondern beschimpft die Geliebte auch noch als Hure, nachdem sie es selbst herausfinden musste. Zaza, selbst Kind einer Alleinerzieherin, räumt gebrochenen Herzens das Feld – kein Happy End also, aber trotz großen Dramas stirbt recht Verismo-untypisch niemand an einer Krankheit oder bringt sich/andere um.

Svetlana Aksenova (Zaza) und Nikolai Schukoff (Milio Dufresne)
Monika Rittershaus
Zaza (Svetlana Aksenova) hat sich in den falschen Mann (Nikolai Schukoff) verliebt

Das ausgeprägte Interesse an den Figuren, das Loy an den Tag legt, macht sich in der Inszenierung deutlich bemerkbar. Für den Regisseur, der gerade erst mit „Cosi fan tutte“ in Salzburg einen großen Erfolg feiern durfte, ist es einmal mehr die vielschichtige Frauenfigur im Zentrum der Oper, die das Werk interessant macht. „Sie entspricht keinem Klischee, und das hat mich gereizt. Es ist schwer, sich der Figur mit heutigen moralischen Vorstellungen zu nähern“, so Loy im Programmheft des Abends. „Es ist nicht wirklich die Frage, wenn man zum Beispiel an die ganze ‚#MeToo‘-Diskussion denkt, ob sie ein Opfer eines einzelnen Mannes ist.“

Mit seinem mittlerweile langjährigen Bühnenbildpartner Raimund Orfeo Voigt spart sich Loy auch ästhetisch große Experimente. Dessen Markenzeichen – prägnante Türen in hohen Räumen – bietet eine ideale Bühne für das psychologische Ausleuchten der Protagonistin.

Szene aus „Zaza“
Monika Rittershaus
Auf der Hinterbühne des Varietes: hohe Räume, wichtige Türen (Bühnenbild: Raimund Orfeo Voigt)

Kaum eine Pause für Zaza

Mit der russischen Sopranistin Svetlana Aksenova ist die Titelrolle gleich in mehrfacher Hinsicht ideal besetzt. Stimmlich überzeugt sie in der anspruchsvollen Partie, die ihr im durchkomponierten Werk nahezu keine Pause lässt. Schauspielerisch demonstriert sie den Entwicklungssprung Zazas in den vier Akten genauso bravourös wie die unterschiedlichen Gemütszustände – von lebenslustig-unbefangen und naiv über leidenschaftlich liebend zu rasend im Wahn.

Ihr Milio – Tenor Nikolai Shukoff – kann ihr dabei nicht das Wasser reichen. Stimmlich fehlt ihm dafür die Kraft, mit der Rolle als Schwächling und Betrüger bleibt ihm auch so gar kein Spielraum, um zumindest Sympathiepunkte zu holen. Bariton Christopher Maltman hat als Zazas Bühnenpartner Cascart unter anderem auch konventionellere Arien zu singen, nicht nur deswegen galt ihm beim Premierenapplaus der meiste Jubel.

In einer Zeit vor dem Virus

Der Trubel in der Varietegarderobe dieser mit Statisterie durchaus personenreichen Inszenierung lässt die aktuelle CoV-Situation fast vergessen. Große Massenszenen kennt „Zaza“ nicht, die wenigen Chorpassagen wurden mit dem Arnold Schönberg Chor – der in schon so vielen Theater-an-der-Wien-Produktionen auch mit schauspielerischem Einsatz begeistern konnte – vorab aufgenommen und pandemiekonform bei der Vorstellung eingespielt.

Dorothea Herbert (Madame Dufresne) und Livia Gallenga (Toto Dufresne)
Monika Rittershaus
Frau (Dorothea Herbert) und Kind (Livia Gallenga, bei der Premiere: Vittoria Antonuzzo) Milios wissen nichts von der Affäre

One-Hit-Wonder der Operngeschichte

In der Langzeitbeobachtung gilt Leoncavallo als One-Hit-Wonder – außer seinem „Bajazzo“ (im Original: „Pagliacci“) findet man heute so gut wie keine Oper aus seinem umfangreichen Opern- und Operetten-Oeuvre auf den internationalen Musiktheaterspielplänen. Zu seinen Lebzeiten war das freilich noch anders – auch „Zaza“, 1900 in Mailand unter der musikalischen Leitung von Arturo Toscanini uraufgeführt, wurde zum großen Erfolg bei Kritik und Publikum.

Hinweis

„Zaza“ ist im Theater an der Wien noch am 18., 21., 23., 25. und 27. September jeweils um 19.00 Uhr zu sehen. Ö1 überträgt die Aufnahme der Premiere am Samstag um 19.30 Uhr. Am 8. November ist „Zaza“ um 20.15 Uhr in ORF III zu sehen.

Die längere Urfassung überarbeitete Leoncavallo später noch einmal, die zweite Version schloss er kurz vor seinem Tod 1919 ab. Nach einer Tour durch die wichtigsten Häuser Europas und einer gefeierten Produktion an der New Yorker Metropolitan Opera 1920 hielt sich „Zaza“ nur noch ein paar Jahre in den Repertoires. Eine 1947 von Renzo Bianchi erstellte Fassung traf das Werk schon auf seinem Weg in die Vergessenheit – wo es für lange Zeit auch bleiben sollte.

Leoncavallo „auf die Sprünge geholfen“

Für das Theater an der Wien stützte sich der musikalische Leiter Stefan Soltesz auf die zweite Fassung, reicherte sie aber „mit den guten Elementen“ aus der Urfassung an, wie er im Interview erklärt. „Wir haben Leoncavallo also quasi wieder auf die Sprünge geholfen.“ Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien demonstriert unter Soltesz’ routinierter Leitung die Qualität der Musik, die eindringlich wohlklingend Bilder und Stimmungen erzeugt – und sich auf eigentümliche Weise trotzdem nicht nachhaltig festsetzt.

Theater an der Wien beendet CoV-Pause mit „Zaza“

Christof Loy inszenierte für das Theater an der Wien „Zaza“, über die unglückliche Liebe einer Varietekünstlerin.

Das führt schließlich zur abschließenden Frage, ob es sich gelohnt hat, die Oper aus der Mottenkiste zu holen (oder ob sie, anders als manch andere Rarität, einfach zu Recht vergessen wurde). Den ein oder anderen Ohrwurm hätte Leoncavallo dem Publikum spendieren können, dann hätte „Zaza“ vielleicht sogar in der Standardrepertoire-Liga mitgespielt – so darf man sich einfach einmal mehr über eine Ausgrabung am Theater an der Wien freuen.