Arbeiter im MAN-Werk Steyr
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Beginn vom Ende

MAN kündigt erste Leiharbeiter

Eine Woche nach dem Nein der MAN-Belegschaft zur Übernahme des Standorts Steyr durch Investor Siegfried Wolf hat die MAN-Zentrale in München erste Schritte zur Schließung des Werks im oberösterreichischen Steyr eingeleitet. Die Hälfte der 278 Leiharbeiter soll ihren Job verlieren.

„Als eine der ersten Maßnahmen werden wir die Anzahl der Leiharbeitnehmer am Standort von 278 in den nächsten Wochen um zunächst rund die Hälfte reduzieren. In einem weiteren Schritt werden wir uns auch von den übrigen Leiharbeitnehmern trennen“, teilte MAN München der APA mit.

Ziel sei es gewesen, das Werk unter einem neuen Eigentümer mit einer neuen Perspektive zu erhalten. Nachdem dieser „Plan A“ abgelehnt worden sei, „setzen wir jetzt den angekündigten ‚Plan B‘ der Schließung konsequent um. Einen ‚Plan C‘ gibt es nicht“, stellte der Konzern klar.

Betriebsrat: Auftragsbücher voll

Arbeiterbetriebsrat Helmut Emler hat bisher nur inoffiziell gehört, dass die Zentrale an die 125 Leasingarbeiter nicht mehr weiter beschäftigen wolle. Und das, obwohl die Auftragsbücher voll seien. Wenn nach wie vor 86 Lkws in 4,5 Produktionstagen pro Woche vom Band gehen müssen und dieses Volumen mit der Stammbelegschaft aufrechterhalten werde soll, könnte das laut Emler nur bedeuten: zwei Sonderschichten, durch das Streichen der Freischicht Freitagnachmittag und das Einführen einer zusätzlichen am Samstag. Und damit stehe auch eine Überstundenverpflichtung im Raum. Die gleiche Stückzahl mit Überstunden zu produzieren, bezeichnet er als „wirtschaftlichen Wahnsinn“. Aber offensichtlich „spielt Geld bei der aktuellen MAN-Führung keine Rolle“.

Verhandlungen über Sozialplan

Am Montag beginnen Verhandlungen über den Sozialplan, da der bisherige an eine Übernahme durch Wolf geknüpft war. Eine entsprechende Einladung wurde der Arbeitnehmervertretung überstellt. Emler und der Angestelltenbetriebsrat Thomas Kutsam versicherten, die Belegschaftsvertretung sei bereit, mit der MAN-Geschäftsführung und allen möglichen Investoren, die ein industrielles Konzept vorlegten, um die Schließung zu verhindern und Arbeit zu bieten, zu reden. Allerdings müssten letztlich die Rahmenbedingungen für Mitarbeiter stimmen.

Beim Übernahmekonzept von Wolf sei das nicht der Fall gewesen, deshalb hätten es rund zwei Drittel der Belegschaft abgelehnt. Emler stellte auf Nachfrage fest, dass Streik das letzte Mittel sei. „Kann schon sein, dass manche in München nach der Abstimmung beleidigt sind, doch der Eigentümer habe Interesse daran, dass die Lkw zu den Kunden kommen.“

Die Gewerkschaft hatte zuletzt die „mangelnde soziale Verantwortung“ des Konzerns kritisiert. Bei MAN hieß es hingegen, man sei „wegen des guten Konzepts und aus Verantwortung für den Standort Steyr“ bei den Zugeständnissen ohnehin über die Schmerzgrenze gegangen. Nachdem der Konzern die Standortgarantie bis 2030 gekündigt hat, will die Gewerkschaft vor Gericht ziehen, sobald es zu betriebsbedingten Kündigungen kommt. Der Konzern ist aber optimistisch, dass diese Klage keine Aussicht auf Erfolg haben würde.

SPÖ für staatliche Beteiligung

Die SPÖ Oberösterreich tritt indes weiterhin für eine staatliche Beteiligung am MAN-Werk ein. Das bekräftigte die Landesvorsitzende Birgit Gerstorfer am Donnerstag in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Betriebsrat vor den Werkstoren. „Es braucht jetzt einen Schulterschluss und ehrlicherweise einen Kraftakt“, sagte Gerstofer und verwies über die gefährdeten Arbeitsplätze und Schicksale der Betroffenen hinaus auch auf die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Werkes und dessen Zulieferer.

Gerstofer sprach sich für eine Beteiligung des Landes und des Bundes aus und machte darauf aufmerksam, dass in Deutschland das Bundesland Niedersachsen an der Konzernmutter VW beteiligt sei. Der SPÖ-Klubvorsitzende im Landtag, Michael Lindner, kündigte in Sachen Bemühungen um den Standort MAN eine Anfrage an Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) in der kommenden Sitzung an. Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) hingegen widersprach am Donnerstag seiner Landespartei. Eine Verstaatlichungsdebatte findet er „fehl am Platz“, da es neben Wolf mindestens zwei weitere private und potente Interessenten mit zukunftsfähigen Konzepten für den MAN-Standort in Steyr gebe.

Zuvor hatte Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner (ÖVP) davor gewarnt, die Zukunft des Werks für parteipolitische Zwecke zu verwenden. Das wäre alles andere als förderlich. Man sei laufend in Kontakt mit den Spitzen des Aufsichtsrats und Vorstands von VW sowie MAN-Vorstandsvorsitzenden Andreas Tostmann. Es gebe ebenso Gespräche mit dem MAN-Betriebsrat sowie der Stadtpolitik in Steyr und den an Investitionen interessierten Wolf und Karl Egger, eng abgestimmt mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und den zuständigen Ministern sowie mit Vertretern der Sozialpartner.

Deutliches Nein zu Wolf-Übernahme

Im Vorjahr war bekanntgeworden, dass MAN im Zuge eines riesigen Spar- und Umstrukturierungsprogramms Tausende Stellen weltweit einsparen und das Werk in Steyr bis 2023 schließen will. Ende September 2020 kündigte MAN die Standortgarantie, die den Bestand des Unternehmens in Steyr bis zumindest 2030 hätte sichern sollen. Schließlich trat Ex-Magna-Chef Wolf mit seiner WSA Beteiligungs GmbH als Interessent auf den Plan.

Er wollte von der aktuell knapp 1.900 Personen zählenden Stammbelegschaft rund 1.250 Leute übernehmen, denen allerdings eine bis zu 15-prozentige Kürzung des Nettoeinkommens gedroht hätte. Im Gegenzug hätte es Bleibeprämien von 10.000 Euro und einen Sozialplan gegeben. Die Belegschaft des MAN-Werks in Steyr stimmte schließlich in einer Urabstimmung mit knapp 64 Prozent gegen eine Übernahme durch Wolf.

Experte: Schließung könnte Milliarden kosten

Die geplante Schließung des MAN-Werks könnte die Konzernmutter VW Milliarden kosten, glaubt indes der Linzer Zivilrechtsexperte und Rektor der Johannes Kepler Universität (JKU), Meinhard Lukas. Weil es für das Werk nicht nur einen Standortsicherungsvertrag gebe, sondern einen Kündigungsverzicht seitens des Unternehmens, würden im Falle einer Schließung Kündigungsentschädigungen bis zum Jahr 2030 fällig werden, sagte Lukas.

„Entscheidend ist, dass diese Vereinbarung, die im Dezember 2019 geschlossen wurde, nach meinen Informationen mehr enthält als eine übliche Standortsicherung“, sagte Lukas. „Sie enthält, so ist mein Informationsstand, einen Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis zum 31.12.2030 für alle Beschäftigten.“ In diesem Fall handle es sich um einen Kündigungsverzicht und nicht bloß um eine Standortgarantie.

In Österreich sehe das Arbeitsverfassungsgericht einen Katalog zulässiger Vereinbarungen in Betriebsvereinbarungen vor, so Lukas. „Irgendwelche Standortsicherungen abstrakter Natur können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein, ein Kündigungsverzicht aber schon“, so der Jurist. „Aber selbst wenn das keine gültige Betriebsvereinbarung ist, kann das Inhalt der einzelnen Verträge der Arbeitnehmer geworden sein.“ Dazu gebe es eine Judikatur des OGH.

Kündigungsentschädigung für entgangene Löhne

Für den Kündigungsverzicht hätten ja die Arbeitnehmer auch eine Gegenleistung erbringen und ihrerseits auf Rechte verzichten müssen. „Dann spricht viel dafür, dass diese Regelung, selbst wenn die Betriebsvereinbarung nicht gültig wäre, über das Invollzugsetzen zwischen Arbeitgeber und individuellem Arbeitnehmer auf diesem Weg Inhalt des Vertrages geworden ist.“

Die praktische Konsequenz einer Werksschließung und Kündigungen wären Kündigungsentschädigungen für die entgangenen Löhne, „da sprechen wir aufsummiert über die Jahre über Milliardenbeträge“, so Lukas. Für die Höhe der Entschädigungen wären auch Einkommen aus neuen Jobs zu berücksichtigen. Geklärt werden könnte der Rechtsstreit arbeitsgerichtlich, wenn der erste Arbeitnehmer betriebsbedingt gekündigt wird, es wäre aber auch jetzt schon eine Feststellungsklage möglich, so der Zivilrechtsexperte.

Vereinbarungen aufgehoben?

Die Rechtsmeinung des Uniprofessors Wolfgang Mazal, der im Auftrag von MAN ein Gutachten erstellte, teilt Lukas nicht. Mazal hatte darauf hingewiesen, dass die österreichische Vereinbarung an eine deutsche Rahmenvereinbarung gebunden sei. Da diese aufgehoben wurde, sei auch jene in Österreich ausgesetzt, so Mazals Argument.

Lukas sieht das anders: „Wenn diese Vereinbarung in Vollzug gesetzt worden ist und damit auch MAN diese Regelung in Anspruch genommen hat und die Abgeltungsregeln zulasten der Mitarbeiter gegenüber der Vergangenheit bereits umgesetzt wurden, dann ist auch dieser Kündigungsverzicht in Wirkung gelangt und kann durch die Aufhebung des Rahmenvertrages nicht verloren gehen.“