Expressionitisches Bild von Beethoven beim Komponieren am Klavier
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Beispiel 9. Sinfonie

Beethoven und das Crowdfunding

Beethovens 9. Sinfonie, die mit der Aufführung im Belvedere am Sonntag den Endpunkt des großen europäischen Beethoven-Tages markierte, ist heute das vermutlich meistgespielte Stück der klassischen Musik – dabei kam selbst Beethoven auf dem Höhepunkt seines Erfolgs nicht ohne das aus, was man heute so gerne Crowdfunding nennt. Und wie so oft im Falle Beethovens führte auch die Durchsetzung der größten, mit Spannung erwarteten Kompositionen zu einer Folge vieler kleiner Scharmützel, die noch dazu vom rheinischen Starrsinn des Komponisten befeuert wurden.

Beethovens 9. Sinfonie in d-Moll, op. 125, gilt heute als herausragendes wie massenkompatibles Werk, das an verschiedenen Etappen der Geschichte als Hymne ausgerufen und instrumentalisiert wurde (etwa als zwischen 1956 und 1968 das „deutsch-deutsche Team“ bei den Olympischen Spielen unter einer Flagge und mit einer Hymne einzog). Schon im 19. Jahrhundert konnte sich die bürgerliche Revolution dank der vergleichsweise einfachen Liedvertonung der Schiller’schen „Ode an die Freude“ auf dieses Werk ebenso berufen wie die kaiserliche Repräsentation. Sprich: Dieses Werk wurde stets für ideologische oder symbolische Zwecke eingemeindet, man könnte sagen missbraucht.

Leverkühn legt die Neunte nieder

Die Neunte, sie sollte, wie Hans-Joachim Hinrichsen erinnerte, selbst für die Nazis wieder als „Glanzstück offizieller Feierstunden“ herhalten können, weswegen sie von der deutschen Musikwissenschaft der 1930er Jahre befreit werden sollte von der „glatten Annexion des Musikers für die demokratische Heilslehre von 1789 bis zum Völkerbund“. Diese Zeilen schrieb der Heidegger-Schüler Heinrich Besseler, der seine ganze musikästhetische Lehre an den Bedürfnissen der NSDAP orientierte, bevor er nach 1945 zu einem herausragenden wie dekorierten Musikologen der DDR werden konnte.

Zwei Seiten aus dem Finale des Dr. Faustus von Thomas Mann
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Beethovens Neunte im Finale des „Doktor Faustus“ von Thomas Mann

„Hitler und die IX. Symphonie. Seid umzingelt, Millionen“, notierte Theodor W. Adorno schon während der Kriegstage in den Entwürfen zu seinem Beethoven-Buch. Und Thomas Mann lässt Adrian Leverkühn im „Doktor Faustus“ das Humanitätspotenzial der Neunten ebenso zurücknehmen – freilich aus der resignativen Einsicht, dass deren utopisches Potenzial an der Realität zuschanden gekommen sei. „Was soll nicht sein?“, fragt der Ich-Erzähler Adrian Leverkühn, der ihm antwortet: „Das Gute und Edle, (…) was man das Menschliche nennt, obwohl es gut und edel ist. Um was die Menschen gekämpft, wofür sie Zwingburgen gestürmt, und was die Erfüllten jubelnd verkündet haben, das soll nicht sein. Das soll zurückgenommen werden. Ich will es zurücknehmen.“

„Ein kalkuliertes Wagnis“

Und eigentlich sperrt sich Beethovens Neunte schon durch die enormen Anforderungen, die es an Orchester und Chor stellt, gegen eine billige Indienstnahme. In „einer mittleren deutschen Stadt“ im 19. Jahrhundert habe die Aufführung der Neunten als „ein gut zu kalkulierendes Wagnis“ gegolten, erinnert etwa Hinrichsen. Beethoven selbst wusste um genau dieses Wagnis, als er dieses von seinem Publikum schon herbeigesehnte und geraunte Werk zur Uraufführung bringen wollte.

Die Monate vor der Uraufführung am 7. Mai 1824 waren geprägt von Aufregungen und öffentlichen Bekenntniszwängen. Die „Wiener Theaterzeitung“ und die „Allgemeine musikalische Zeitung“ veröffentlichten Aufrufe von 30 Prominenten, die sich eine Aufführung in Wien, Beethovens „Zweiter Vaterstadt“, wie es hieß, wünschten, auch, um die bedrohte „deutsche Musik“ gegen einen Verfall der Sitten, gemeint war die Konjunktur der italienischen Opernkultur, zu retten.

Crowdfunding um 1800

Wie so oft war eine „Akademie“ geplant, die nichts anderes meinte als die Abhaltung eines öffentlichen Konzerts, dessen Finanzierung, etwa über Subskriptionskampagnen, erfolgte. Waren es früher vor allem Adelige, die das Kernsponsoring und die Subskription von Plätzen für eine öffentliche Uraufführung eines Werks von Beethoven trugen, so waren die Unterstützer in diesem Fall hauptsächlich bürgerliche.

Um 1800 hatte Wien noch kein funktionierendes Konzertwesen. Gerade die Gattung der Sinfonie, die sich zur Zeit Beethovens in Wien großer Konjunktur erfreute, war ein großes Wagnis, musste doch ein Komponist selbst für die wirtschaftliche Umsetzung dieses Ereignisses sorgen. Förderer traten als Subskribenten dieses Ereignisses auf, an dem sie letztlich Anteile, etwa in Form von Sitzplätzen, erwarben.

1-B22-O125-2-19 (235145) Beethoven, Sinfonie Nr.9 / Originalpart .Beethoven, Ludwig van.Komponist, 1770-1827 Werke: Sinfonie Nr.9, d-moll, mit. Schlußchor über Schillers ‚Ode an. die Freude‘. (op.125; UA Wien,. 7. Mai 1824) – Originalpartitur, eigenhändig, zum.1. Satz ‚Allegro ma non troppo, un poco.maestoso‘ (19.Seite) .E:.Beethoven / Symphony No.9 / Orig.Score Beethoven, Ludwig van.Composer, 1770-1827 Works: Symphony No.9, D minor, with the. final choir on Schiller’s ‚Ode to. Joy‘. (op.125; FP Vienna, 7th of. May, 1824) – Original score in Beethoven’s own hand.1st movement ‚Allegro ma non troppo, un.poco maestoso (19th page) .F:.Beethoven, Symphonie n°9/partition orig .Beethoven, Ludwig van.compositeur allemand 1770-1827 OEuvre: Symphonie n° 9, en ré mineur,. choeur final sur l’’Ode à la. joie‘ de Schiller. (opus 125;. première à Vienne, 7 mai 1824) – Partition originale autographe de la.1ère phrase ‚Allegro ma non troppo, un.poco maestoso‘ (page 19) – 20120605_PD3530 – Rechteinfo: Rights Managed (RM)
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Beethovens Entwurf zum ersten Satz seiner Neunten

Beethoven und die Suche nach dem Aufführungsort

Der umworbene Beethoven hatte in Wien letztlich die Wahl zwischen zwei Häusern bzw. Veranstaltern: dem Grafen Palffy vom Theater an der Wien (an dem viele Beethoven-Uraufführungen stattfanden) und dem Leiter des Kärntnertortheaters, Louis Antoine Duport, der auch die Verfügung über Großorte wie die Redoutensäle in der Hofburg hatte.

Beethovens Kalkulation oszillierte zwischen künstlerischen Anforderungen für dieses Monumentalwerk und seinen eigenen wirtschaftlichen Erwartungen. Dass ein möglicher Gewinn allein schon durch den Aufwand für Kopisten und die große Zahl an zu verfertigenden Noten zu schmelzen drohte, führte zu keiner Launensteigerung bei dem damals stark ertaubten Komponisten. Zudem war die Zahl an Einflüsterern nicht gering. Die Aufzeichnungen von den Proben zur Uraufführung der Neunten liest sich jedenfalls wie eine Partitur an Überforderungen. Die Chorsänger etwa verlangten nach Vereinfachungen, die Beethoven stets ablehnte, was aber schließlich, wie Beethovens Sekretär Anton Felix Schindler notierte, trotzdem dazu geführt habe, dass sich Sängerinnen und Sänger da und dort „Erleichterungen gemacht“ hätten.

Anselm Kiefer (*1945) Über uns der gestirnte Himmel, in uns das moralische Gesetz
Anselm Kiefer
Die Indienstnahme Beethovens – interpretiert von Anselm Kiefer und zuletzt präsentiert in Wien im Rahmen der Schau „Beethoven bewegt“ im Kunsthistorischen Museum

Die Sängerin Caroline Unger, die sich unbedingt als Solistin für die Uraufführung angeboten hatte, wird im Umgang mit Beethoven ihr Lehrgeld zahlen müssen. Die Unmengen an Alkohol, die in seiner Gegenwart konsumiert wurden, sollen für Unger einige Auftrittsabsagen nach sich gezogen haben. Einen „Tyrannen aller Sinne“ soll sie Beethoven laut Schindler genannt haben, was dieser mit dem Hinweis gekontert habe, dass sie, Unger, von der italienischen Musik verzärtelt worden sei.

Hektisches Tauziehen in letzter Minute

Bis zur letzten Minute versuchte Beethoven eine Erhöhung der Kartenpreise durchzusetzen, was sein Veranstalter wieder aus Angst vor ausbleibendem Publikum zu hintertreiben suchte. Bei der Uraufführung im Kärntnertortheater befanden sich am Ende drei Dirigenten auf der Bühne, um die Herausforderung dieser Sinfonie zu bewältigen. Die Gesamtleitung hatte der Beethoven-Vertraute Michael Umlauf, assistiert vom Konzertmeister Ignaz Schuppanzigh. Und Beethoven, er hielt sich im Hintergrund von Umlauf, um selbst mitzudirigieren und Tempi und Einsätze anzuzeigen. Er habe, so hielten Zeitgenossen fest, „wie ein Wahnsinniger“ gestikuliert.

Die Begeisterungsstürme im Publikum hatte Beethoven wegen seiner Taubheit nicht mitbekommen – erst als ihm Caroline Unger gedeutet habe, sich umzudrehen, so hält Beethoven-Biograf Jan Caeyers fest, habe Beethoven die Ovationen wahrgenommen. Das Konzert mündete in einer kollektiven Ekstase. Künstlerisch wurde es der erhoffte, ja herbeigesehnte Triumph; wirtschaftlich hatten sich, wie so oft, Beethovens Erwartungen nicht erfüllt.