Ballhausplatz und Bundeskanzleramt im Regen
ORF.at/Roland Winkler
Korruptionsvorwürfe

Die Gründe für die Razzien bei der ÖVP

Die Verdachtslagen in Richtung Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit haben Mittwochfrüh zu mehreren Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale, im Kanzleramt und im Finanzministerium geführt. Das geht aus der der APA vorliegenden Anordnung zur Hausdurchsuchung hervor. Zehn Verdächtige werden darin genannt, darunter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der ehemalige Generalsekretär und Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid und „Österreich“-Herausgeber Wolfgang Fellner.

Im Fokus der Ermittler befinden sich daneben auch die ehemalige Familienministerin Sophie Karmasin, Kanzlersprecher Johannes Frischmann, Medienbeauftragter Gerald Fleischmann, ÖVP-Berater Stefan Steiner, der bei „Österreich“ für kaufmännische Belange zuständige Bruder von Wolfgang Fellner, Helmuth Fellner, ein Finanzministeriumssprecher sowie eine weitere Meinungsforscherin.

Als Verdächtige geführt werden nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) auch die ÖVP und die Mediengruppe Österreich. Die türkise Bundespartei soll – so zumindest der Verdacht der WKStA – im Sinne dieses Gesetzes für Straftaten verantwortlich sein, die zu ihren Gunsten begangen worden sein sollen.

Budgetäre Mittel für Parteipolitik?

Laut ihrer Pressemitteilung geht die WKStA davon aus, „dass zwischen den Jahren 2016 und zumindest 2018 budgetäre Mittel des Finanzministeriums zur Finanzierung von ausschließlich parteipolitisch motivierten, mitunter manipulierten Umfragen eines Meinungsforschungsunternehmens im Interesse einer politischen Partei und deren Spitzenfunktionär(en) verwendet wurden“.

Hausdurchsuchungen bei der ÖVP

Die Staatsanwaltschaft führte innerhalb eines Tages mehrere Hausdurchsuchungen bei der ÖVP durch. Begründet wurden diese mit Verdacht auf Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit.

„Diese Umfrageergebnisse wurden (ohne als Anzeige deklariert worden zu sein) im redaktionellen Teil einer österreichischen Tageszeitung und anderen zu dieser Gruppe gehörenden Medien veröffentlicht. Im Gegenzug wurden – nach der Verdachtslage – seitens der befassten Amtsträger im Rahmen von Medien- und Inseratenkooperationen Zahlungen an das Medienunternehmen geleistet. Die Zahlungen für diese Kooperationen waren – nach der Verdachtslage – im Wesentlichen verdeckte Gegenleistungen für die den Beschuldigten tatsächlich eingeräumten Einflussmöglichkeiten auf die redaktionelle Berichterstattung in diesem Medienunternehmen“, erklärte die WKStA.

Ermittler vermuten Untreue

Im Wesentlichen geht es also bei den Vorwürfen um die Zeit vor der ÖVP-internen Machtübernahme von Kurz im Jahr 2017. Damals war Reinhold Mitterlehner noch Chef der Volkspartei. Etwa sollen damals nach Ansicht der Ermittler Umfragen im Interesse von Kurz und dessen Umfeld per Scheinrechnungen als Leistungen für Studien des Finanzministeriums abgerechnet worden sein, also das Finanzministerium aus Amtsmitteln Umfragen für das „(partei-)politische Fortkommen“ von Kurz bezahlt haben. Davon leiten die Ermittler das Delikt der Untreue ab.

Kooperation mit Fellner-Gruppe

Zudem hegt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft den Verdacht, dass von den handelnden Akteuren aus dem türkisen Umfeld im Finanzministerium ab etwa April 2016 „mehrere Inseraten- und Medienkooperationsvereinbarungen mit Medien der Fellner-Gruppe“ geschlossen wurden, und zwar zum Vorteil von Kurz. Dabei geht es laut WKStA nicht nur um geschönte Umfrageergebnisse, sondern auch um eine „die Interessen von Sebastian Kurz und der Gruppe seiner Vertrauten fördernden Kommentierung durch Wolfgang Fellner oder andere Akteure“. Die Gesamtkosten der Inserate, die keinen Bezug zur Tätigkeit des Finanzministeriums gehabt hätten, sollen dabei eine Million überstiegen haben. Dadurch sollen die Tatbestände Bestechung und Bestechlichkeit erfüllt sein.

Dem Kanzler persönlich wirft die WKStA vor, den damaligen Generalsekretär Schmid mit der Organisation und den Verhandlungen sowie mit der Kooperation mit der Mediengruppe beauftragt und sich regelmäßig berichtet haben zu lassen. Ferner soll der Kanzler die ehemalige Ministerin Karmasin überredet haben, sich an Tathandlungen zu beteiligen, indem er einzelne Fragestellungen in Auftrag gegeben und auf deren Veröffentlichung hingewirkt habe. Diese hätten aber „ausschließlich parteipolitischen Zwecken“ gedient.

Nachrichten zwischen Schmid und Kurz

Um zu belegen, dass Kurz selbst von den Plänen gewusst haben soll, verweist die Staatsanwaltschaft auf einen Chatverlauf zwischen ihm und Schmid vom 15. März 2016. Schmid war sich demnach nicht sicher, ob Karmasin dabei ist, woraufhin Kurz schrieb: „kann ich mit ihr reden?“ Schmid antwortet: „Ja bitte! Sie ist so angefressen wegen Mitterlehner, weil er ihr in den Rücken gefallen ist. Habe jetzt 3 Stunden mit ihr gesprochen. Und spindi (Spitzname von Ex-ÖVP-Chef und Kurz-Förderer Michael Spindelegger, Anm.) auf sie angesetzt. Wenn du ihr sagst dass jetzt nicht die Welt untergeht. Und das (sic!) Mitterlehner eben ein arsch (sic!) war usw. Hilft das sicher.“ „passt mach ich“, lautet demnach die Antwort von Kurz.

„Vereinbarung“ mit Fellner

Die Staatsanwaltschaft glaubt außerdem anhand von Chatprotokollen, dass es bereits im April 2016 „Vereinbarungen“ zwischen Schmid und den Fellners gegeben habe, und zitiert dazu folgende Nachricht Schmids an Wolfgang Fellner: „Lieber Herr Fellner! Mit Ihrem Bruder einen Teil der Vereinbarung erledigt. Ich bin gespannt wie das Schelling Budget morgen bei euch berichtet wird. LG Thomas“.

Außerdem verweist die Staatsanwaltschaft auf eine Nachricht von Pressesprecher Frischmann an Schmid vom 27. Juni 2016: „Fellner hat sich an keine Abmachung gehalten. (…)“ Schmid beschwert sich daraufhin bei Karmasin über den „Vertrauensbruch“ und bei den Fellners über die „echte Frechheit“ – Fellner soll sich daraufhin „einsichtig“ gegeben haben, wie es die Staatsanwaltschaft ausdrückt. Wenige Tage später berichtet demnach Frischmann von der zweimaligen Schaltung einer Inseratendoppelseite in der Zeitung um insgesamt 116.000 Euro netto.

„Wer zahlt schafft an“

Die Kooperation wurde laut Staatsanwaltschaft weiter ausgebaut, im September 2016 schrieb Schmid an Kurz: „Hab echt coole News! Die gesamte Politikforschung in Österreich wird nun zur B. (Anm. Name im Original ausgeschrieben) wandern. Damit haben wir Umfragen und Co im besprochenen Sinne :-))“.

Im Jänner 2017 schrieb Frischmann demnach an Schmid, er habe B. „noch angesagt was sie im Interview sagen soll“. „So weit wie wir bin ich echt noch nie gegangen“, freut sich Schmid, „Geniales investment“. Schmid fügt noch an: „Und Fellner ist ein Kapitalist. Wer zahlt schafft an. Ich liebe das.“ Die WKStA führt in ihrer Anordnung zu den Hausdurchsuchungen noch Chats bis ins Frühjahr 2019 an.

Durchsuchungen am 29. September bewilligt

Die WKStA hatte die Hausdurchsuchungen am 23. September beantragt, wie aus der Anordnung hervorgeht. Bewilligt hat sie am 29. September jener Richter, der Anfang des Monats die richterliche Einvernahme von Kurz durchgeführt hatte. Die WKStA erlangte am 4. Oktober Kenntnis von der Bewilligung. Am 28. September hatte ÖVP-Vizegeneralsekretärin Gabriela Schwarz noch in einer Pressekonferenz über Journalistenanfragen zu Hausdurchsuchungen in ihrer Parteizentrale geklagt und eine Klarstellung von den „zuständigen Stellen“ verlangt.