Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
ORF
ÖVP-Affäre

Kurz will bleiben, sieht Ball bei den Grünen

Sebastian Kurz (ÖVP) hat in einer Stellungnahme vor der Hofburg erklärt, auch in Zukunft Bundeskanzler bleiben zu wollen. Er sieht den Ball nun bei den Grünen. Rückendeckung erhielt er von den ÖVP-Regierungsmitgliedern. Diese stellten klar, nur mit Kurz in der Regierung bleiben zu wollen. Die Opposition forderte indes Kurz’ Rücktritt. Die Grünen hielten sich bedeckt.

Vor seinem Termin bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Donnerstagnachmittag pochte Kurz erneut auf die Unschuldsvermutung und wies die Korruptionsvorwürfe als falsch zurück. Es werde ihm etwas „unterstellt“.

Es sei wichtig, dass die Justiz gegen jeden ermitteln könne, „unabhängig und fair“, sagte Kurz, und die Unschuldsvermutung sei stets ein Grundpfeiler der Verfassung gewesen. Er wolle sich mit „allen demokratischen und rechtlichen Mitteln wehren“.

Trubel rund um Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf dem Wiener Ballhausplatz
APA/Herbert Neubauer
Kurz sieht den Ball für die Zukunft der Koalition bei den Grünen – die ÖVP „stehe bereit“

Entscheidung der Grünen „ist zu akzeptieren“

Kurz hält also trotz der Korruptionsermittlungen gegen sich und seine engsten Mitarbeiter an seinem Amt fest und will die Koalition mit den Grünen fortsetzen. Doch „wenn die Grünen die Zusammenarbeit nicht mehr fortsetzen und sich andere Mehrheiten im Parlament suchen wollen, ist das zu akzeptieren. Wir stehen bereit, die Zusammenarbeit fortzusetzen“, so Kurz.

Er sprach sich für stabile Verhältnisse im Land aus. Die ÖVP werde weiterhin alles dafür tun. Begleitet wurde der Weg des Kanzlers zum Bundespräsidenten von zahlreichen „Rücktritt“-Rufen von Demonstranten.

Bundeskanzler Kurz will Kanzler bleiben

Sebastian Kurz (ÖVP) bestreitet die Vorwürfe gegen sich.

Nach seinem Termin bezeichnete Kurz das Gespräch mit Van der Bellen gegenüber Journalistinnen und Journalisten als „gut“. Man habe gemeinsam die Situation analysiert. Die Volkspartei sei „auf alle Szenarien vorbereitet“.

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) meinte dazu: Wer eine erfolgreiche Regierung platzen lasse, „wird mit Herbert Kickl (FPÖ, Anm.) aufwachen“.

Länderchefs „hundertprozentig“ hinter Kurz

Am Abend trafen die ÖVP-Landesparteiobleute in Wien ein, um mit Kurz über das weitere Vorgehen zu beraten. Einzig Salzburgs Landeshauptman Wilfried Haslauer blieb dem Treffen in der Politischen Akademie fern. Er befindet sich aufgrund seiner CoV-Infektion immer noch in Quarantäne.

Nach dem Treffen trat der Tiroler Landeshauptmann Günter Platter gemeinsam mit Klubobmann August Wöginger vor die Kamera und verkündete: Alle ÖVP-Landesparteiobleute stünden hundertprozentig hinter Kurz. Bereits am Nachmittag hatten sich die Länderchefs in einer Aussendung „geschlossen“ hinter Kurz gestellt. „Wir sind davon überzeugt, dass alle damit befassten Personen zur raschen Aufklärung beitragen werden. Wir gehen zudem davon aus, dass sich die strafrechtlich relevanten Vorwürfe als falsch herausstellen werden und auch aufklären lassen“, hieß es in der gemeinsamen Erklärung.

Darüber hinaus war aus den Ländern von ÖVP-Seite untertags aber nur wenig zu hören. Diejenigen, die sich doch äußerten, taten das zumindest mit kritischen Untertönen. Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) bezeichnete die Vorwürfe als „schwerwiegend“. Sein steirischer Amtskollege Hermann Schützenhöfer befand: „Die Härte der Vorwürfe ist unfassbar. Sie hat eine Dimension erreicht, die an die Grenzen des Möglichen heranreicht.“ Beide betonten jedoch ebenfalls, hinter Kurz zu stehen.

Rückendeckung der ÖVP-Regierungsmitglieder

Noch geschlossener stellten sich die Regierungsmitglieder der ÖVP hinter ihren Kanzler. In einer gemeinsamen Aussendung hieß es: „Eine ÖVP-Beteiligung in dieser Bundesregierung wird es ausschließlich mit Sebastian Kurz an der Spitze geben.“ Nur durch die Führung und den unermüdlichen Einsatz von Kurz sei es möglich gewesen, eine „derart nahtlose und bestens koordinierte Zusammenarbeit über die Ressortgrenzen hinweg zu pflegen“. Rückendeckung kam ebenso von den ÖVP-Teilorganisationen.

Kogler: Gespräch mit Van der Bellen „gut“

Nach Bekanntwerden der Korruptionsermittlungen gegen Kanzler Kurz und sein enges Umfeld hatte Bundespräsident Alexander Van der Bellen für Donnerstag und Freitag einzelne Gespräche mit allen Spitzen der Parlamentsparteien angekündigt. Alle Gespräche waren als nicht medienöffentlich angekündigt, auch Statements des Bundespräsidenten waren nicht in Aussicht gestellt.

Als Erster war Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) an der Reihe, dieser sagte nach dem rund eineinhalbstündigen Gespräch mit Van der Bellen aber nichts und sprach in einer Aussendung lediglich von einem guten Gespräch.

Grüne zweifeln an Kurz’ Handlungsfähigkeit

Die Grünen gaben noch keine konkreten Schritte bekannt, stellten am Donnerstag jedoch die Handlungsfähigkeit des Kanzlers infrage. Grünen-Chef Werner Kogler und -Klubchefin Sigrid Maurer laden die Klubobleute der Parlamentsparteien zu Gesprächen, hieß es in der Aussendung. Am Dienstag soll zudem eine Nationalratssondersitzung stattfinden.

Diese Gespräche zwischen den Grünen und den Klubchefs starten am Freitag. „Es freut mich, dass alle Parteien ohne Vorbehalte zu solchen Gesprächen bereit sind“, meinte Kogler in der Aussendung. „Das ist ein wichtiges und gutes Zeichen.“ Diesen Gesprächen werde er auch nicht vorgreifen: „In so einer Situation braucht es Augenhöhe, Respekt und Vertrauen.“ Die genauen Termine gaben die Grünen nicht bekannt.

Wartende Journalisten vor der Präsidentschaftskanzlei in Wien
APA/Herbert Neubauer
Van der Bellen bat die Spitzen aller Parteien zu Gesprächen in die Präsidentschaftskanzlei – davor wartet die Presse

„Für Stabilität und Ordnung sorgen“

Mit den Korruptionsermittlungen sei „eine neue Dimension erreicht. Der Eindruck ist verheerend, der Sachverhalt muss lückenlos aufgeklärt werden“, betonte Kogler: „Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen, die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers ist vor diesem Hintergrund infrage gestellt.“

Und weiter: „Wir müssen für Stabilität und Ordnung sorgen. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für unser Land. Wir müssen gemeinsam für Stabilität und Aufklärung sorgen, und darum möchte ich parteiübergreifend das weitere Vorgehen beraten“, meinte Kogler.

TV-Hinweis

Mit dem ÖVP-Skandal beschäftigen sich am Donnerstag ab 21.05 Uhr in ORF2 eine ZIB2 Spezial mit anschließendem runden Tisch.

Praktisch wortgleich äußerte sich Klubobfrau Sigrid Maurer vor Beginn der Präsidiale des Nationalrats am Nachmittag. Zwar stehe ein Ende der Koalition keineswegs fest, meinte sie auf eine entsprechende Journalistenfrage. Aber: „Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“ Die Vorwürfe gegen Kurz würden schwer wiegen. Den Gesprächen mit dem Bundespräsidenten und anderen Klubobleuten wolle sie nicht vorgreifen.

Fortbestand der Koalition offen

Als Aufkündigung der türkis-grünen Koalition oder eine Neuwahlansage wollte man die Äußerungen im grünen Regierungsteam nicht verstanden wissen. Die Grünen lassen also mit der Stellungnahme etwaige Konsequenzen und damit auch den Fortbestand der Koalition offen.

Einem Bericht des „Kurier“ zufolge herrschen bei den Grünen große Zweifel an einer weiteren Zusammenarbeit mit der Kurz-ÖVP. Eine Regierungsumbildung würden die Grünen laut Insidern akzeptieren.

Grüne bezweifeln Kurz’ Handlungsfähigkeit

Die Grünen, der Koalitionspartner der ÖVP, haben am Donnerstag die Handlungsfähigkeit von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) infrage gestellt. Als Ende der Koalition verstehen sie diese Einschätzung allerdings nicht.

Zadic: Ereignisse rütteln an Grundfesten der Demokratie

Donnerstagmittag stellte sich Justizministerin Alma Zadic (Grüne) nach eigenen Aussagen „schützend vor die Staatsanwaltschaft“, wie sie im Ö1-Mittagsjournal sagte. Sie verurteilte die Angriffe auf die Justiz. Sie sehe es als ihre Aufgabe, für die unabhängige Ermittlungsarbeit zu sorgen. „Die Staatsanwaltschaften in Österreich sind selbstverständlich gesetzlich verpflichtet, jedem Verdacht nachzugehen“, so Zadic.

Wer das Gefühl habe, die Hausdurchsuchungen seien zu Unrecht erfolgt, könne „selbstverständlich“ Beschwerde dagegen erheben. „Und das steht jedem zu, wir leben ja auch in einem Rechtsstaat. Aber es muss schon noch einmal gesagt werden: Die Ereignisse rütteln auch an den Grundfesten unserer Demokratie, und wir können jetzt nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen.“

Opposition fordert Kurz-Rücktritt

Die Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und NEOS forderten am Donnerstag erneut den Rücktritt des Kanzlers. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger zufolge brauche es einen „Neustart“ für Österreich. Dafür wolle man „entweder gemeinsam oder alleine“ einen Misstrauensantrag einbringen. Neuwahlen seien deshalb aber nicht zwangsläufig nötig. Auch mit den Grünen soll es Gespräche geben, so Meinl-Reisinger.

FPÖ-Chef Herbert Kickl findet Kurz „als Kanzler untragbar“. Gesprächen mit den Grünen werde man sich nicht grundsätzlich verschließen – die Grünen müssten aber ihre eigene Position klären, forderte Kickl am Donnerstag in einer Aussendung. Die Grünen müssten „deutlich sagen, ob der Kanzler und seine Partei aus ihrer Sicht noch handlungs- und damit regierungsfähig sind und ob eine Zusammenarbeit mit der ÖVP für sie noch möglich ist oder nicht“.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner fragte in einer Pressekonferenz, was noch passieren müsse, bis er sein Amt niederlege: „Er kann es nicht mehr ausführen, ohne dass Österreich Schaden nimmt.“ In der türkisen ÖVP sei jeder Anstand verloren gegangen. Vor dem Treffen mit Van der Bellen meinte sie: „Ein Weiter-wie-bisher gibt es nicht aus meiner Sicht.“ Durch die Ermittlungen der WKStA habe man ein „zutiefst verdorbenes System“ vorgefunden. In dieser ernsten Situation sei es notwendig, dass alle „konstruktiven Kräfte“ miteinander reden.

Am Abend versammelten sich nach Aufrufen von Sozialistischer Jugend (SJ) und der Partei Links mehrere hundert Menschen vor der ÖVP-Parteizentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse. Mit Sprechchören forderten die Demonstrantinnen und Demonstranten den Rücktritt von Kurz. Auch „Nieder mit der ÖVP“-Rufe waren zu hören.