Ein Anstecker mit einer Ukraine Schleife und einem EU-Button
Reuters/Yves Herman
EU-Kandidat Ukraine

Symbolischer erster Schritt auf langem Weg

Noch ist es lediglich eine Empfehlung der EU-Kommission, doch die Ukraine hat am Freitag eine weitere Hürde auf dem Weg zum Status als EU-Beitrittskandidat genommen. Dabei ist der Kandidatenstatus erst der Anfang eines langen, manchmal gar endlosen Weges in die Europäische Union, wie die Geschichte zeigt. Zuerst braucht es aber das Ja der EU-Staaten. Das hätte für Kiew nicht nur symbolischen Wert, sondern durchaus praktischen Nutzen.

„Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag bei der Präsentation der Brüsseler Empfehlung. Man wolle den Menschen in der Ukraine den europäischen Traum ermöglichen – auch wenn es in den Augen der Kommission noch viele Missstände von Kiew zu beseitigen gelte. „Viel wurde bereits erreicht, aber es bleibt noch viel zu tun“, so von der Leyen.

Für die Ukraine bedeutet diese Empfehlung in der Praxis nun erst einmal nichts – es liegt nicht an Brüssel, die Entscheidung über den Kandidatenstatus zu fällen, sondern an den 27 Mitgliedsstaaten. Und doch zeigte sich bereits am Freitag, welche Auswirkungen dieser Vorstoß der Kommission hat: Denn im Zuge der Ankündigung haben mehrere Länder erklärt, ihren Widerstand einstellen zu wollen.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen
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Am Freitag gab EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen die Empfehlung ab, der Ukraine den Kandidatenstatus zu verleihen

Sowohl die Niederlande als auch Dänemark zogen ihre Bedenken zurück. Der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra sagte: „Hiervon geht das Signal aus: Wir lassen die Ukraine nicht sitzen.“ In Dänemark hieß es unterdessen: „Wir werden natürlich der Empfehlung folgen“, so Außenminister Jeppe Kofod.

Heftige Debatten auf EU-Gipfel erwartet

Eine reine Formsache wird der EU-Gipfel kommende Woche aber definitiv nicht. Nicht zuletzt Österreich kündigte schon im Vorfeld an, nur dann zuzustimmen, wenn etwa auch Bosnien-Herzegowina den Kandidatenstatus erhält. Die EU-Expertin Sophie Pornschlegel vom Brüsseler Thinktank European Policy Center (EPC) sieht im Gespräch mit dem ORF hier eine Doppelmoral der EU: „Auf dem Westbalkan haben viele Länder schon lange den Kandidatenstatus und auch schon wirklich versucht, Fortschritte zu machen.“

Es ist also damit zu rechnen, dass hier die Interessen der EU-Länder noch für lebhafte Diskussionen sorgen werden – und vielleicht sogar zu Zugeständnissen, was andere Anwärter auf eine EU-Mitgliedschaft betrifft. Doch selbst bei der nötigen Einstimmigkeit der EU-Länder wäre das für die Ukraine, wie auch für Moldawien, das am Freitag ebenfalls das grüne Licht der Kommission bekam, nur ein erster Schritt – ohne klaren Ausgang.

Status ermöglicht Zugriff auf Fördergelder

Dennoch würden die neuen Anwärter auf eine EU-Mitgliedschaft von einer Zustimmung in der Praxis profitieren. „Damit hat die Ukraine Zugang zu Fördergeldern“, erklärt Pornschlegel. Mit dem Kandidatenstatus könnte die EU den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und sein Land besser unterstützen – und „natürlich werden auch stärkere Beziehungen zu dem Land gepflegt“, so die Expertin.

Von da an könnte sich der Prozess dann aber über Jahre ziehen – und sich damit auch das Ziel eines tatsächlichen EU-Beitritts der Ukraine verschieben. So könnte es sein, dass „sich die Erweiterungspolitik der EU auch noch einmal reformiert und dass man dann vielleicht zu verschiedenen Modellen kommt, bei denen es nicht unbedingt heißt ‚Man ist Mitglied‘ oder ‚Man ist nicht Mitglied‘, sondern dass man etwa auch Assoziierungsabkommen hat, die darüber hinausgehen, was die Ukraine jetzt schon hat“, sagt Pornschlegel über die Alternativen zu einem herkömmlichen Beitritt.

Ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskiy
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Selenskyj könnte von der EU mehr Unterstützung bekommen

Dazu brauchte es aber wohl auch eine Reform der EU-Verträge – ein Thema, das erst zuletzt, im Rahmen des Bürgerbeteiligungsprojekts Konferenz zur Zukunft Europas, wieder an Fahrt gewonnen hat. „Dadurch, dass wir Vetorechte haben, dass wir Einstimmigkeit haben“, werde eine Aufnahme der Ukraine „extrem schwierig“, so Pornschlegel. Und: Mit der Ukraine würde man ein 44-Millionen-Einwohner-Land aufnehmen – es wäre sogleich eines der größten der gesamten EU.

Türkei seit 1999 Beitrittskandidat

Die EU-Geschichte zeigt jedenfalls, dass der Kandidatenstatus noch lange nichts heißen muss: Die Türkei hat diesen bereits seit 1999 inne, ob es je zur Aufnahme kommen wird, darf bezweifelt werden. Auch Nordmazedonien wartet seit 2005 und damit immerhin schon 17 Jahre. Die Liste setzt sich auf dem Westbalkan fort: Montenegro wartet seit 2010, Serbien seit 2012 und Albanien seit 2014. Bosnien-Herzegowina ist bisher eben nur möglicher Beitrittskandidat – und damit offenbar noch einen Schritt weiter von der EU entfernt.

Für die Ukraine gilt also ein baldiger EU-Beitritt ebenfalls als eher unwahrscheinlich. Nicht zuletzt wird die EU wohl kaum ein Land im Kriegszustand aufnehmen – und gleichzeitig werden durch den russischen Angriffskrieg sämtliche geforderten Reformen wohl in der Praxis niedrigere Priorität haben. Eine Zustimmung der EU-Länder zum Kandidatenstatus könnte langfristige Auswirkungen haben, und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Landkarte der EU dadurch verändert wird. Kurz- und mittelfristig wird Kiew durch den Krieg aber wohl mehr als nur symbolische Zusagen aus Europa benötigen – noch bevor überhaupt an einen langjährigen Annäherungsprozess gedacht werden kann.