Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)
Reuters/Christian Mang
Gasplan

Deutschland ruft Alarmstufe aus

Angesichts der deutlich verringerten Gaslieferungen aus Russland hat die deutsche Regierung nun die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. „Aktuell ist die Versorgungssicherheit gewährleistet, aber die Lage ist angespannt“, teilte das Wirtschaftsministerium am Donnerstag mit. Der Notfallplan hat drei Stufen: Die jetzt ausgerufene Alarmstufe ist die zweite. Die dritte wäre die Notfallstufe. Österreich will vorläufig nicht nachziehen.

Gas ist nach Worten des deutschen Wirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) „von nun an ein knappes Gut in Deutschland“. „Dies sage ich, obwohl die Versorgungssicherheit aktuell gewährleistet ist“, so Habeck am Donnerstag in Berlin. „Auch wenn aktuell noch Gasmengen am Markt beschafft werden können und noch eingespeichert wird: Die Lage ist ernst, und der Winter wird kommen.“

„Es sind die Versäumnisse der letzten Dekade, die uns jetzt in diese Bedrängnisse geführt haben“, sagte der Minister. Man stünde anders da, wenn man in den vergangenen Jahren bei der Energieeffizienz und beim Ausbau der erneuerbaren Energien wirklich vorangekommen wäre. „Alle Verbraucherinnen und Verbraucher – sowohl in der Industrie, in öffentlichen Einrichtungen wie in den Privathaushalten – sollten den Gasverbrauch möglichst weiter reduzieren, damit wir über den Winter kommen“, appellierte Habeck am Donnerstag.

Habeck: „Gas von nun an ein knappes Gut“

Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat die zweite Krisenstufe im Notfallplan Gas ausgerufen.

Erhebliche Verschlechterung der Versorgungslage

Laut Deutschlands Gasnotfallplan liegt bei der nun geltenden Alarmstufe eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt. Der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen. Derzeit seien die Speicher zu 58 Prozent gefüllt.

Mit der zweiten Stufe werden verschiedene Mechanismen zur Finanzierung der Füllung der Speicher oder die Einführung eines Gasauktionsmodells auf Schiene gebracht. Von einem Preisanpassungsmechanismus soll vorläufig nicht Gebrauch gemacht werden.

Zwei Voraussetzungen müssten für Preiserhöhungen erfüllt sein: Zum einen müssen Alarmstufe oder Notfallstufe ausgerufen worden sein. Zum anderen muss die Bundesnetzagentur auf dieser Grundlage eine „erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland“ festgestellt haben. Diese Feststellung muss im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Erst dann dürfen die Unternehmen die Preise auf ein „angemessenes Niveau“ erhöhen.

„Auf weitere Anstiege gefasst machen“

Habeck sagte weiters: „Die Preise sind jetzt schon hoch, und wir müssen uns auf weitere Anstiege gefasst machen.“ Das werde sich auf die Industrieproduktion auswirken und für viele Menschen eine große Last werden. „Es ist ein externer Schock.“ Er warf Russlands Präsident Wladimir Putin einen „ökonomischen Angriff“ vor.

Mit der Alarmstufe ebnet der Bund auch den Weg dafür, Kohlekraftwerke zur Verstromung einzusetzen und so Gas zu sparen. „Das ist schmerzlich, Kohlekraftwerke sind einfach Gift fürs Klima“, sagte Habeck. „Aber für eine Übergangszeit müssen wir es tun, um Gas einzusparen und über den Winter zu kommen.“

Rationierungen für Industrie sollen vermieden werden

Die Alarmstufe bringt noch keine staatlichen Eingriffe in den Gasmarkt. Erst mit der Notfallstufe als letztem Schritt der Eskalationsleiter würde die Bundesnetzagentur zuteilen, wer noch Gas bekommt. Private Haushalte sind besonders geschützt und sollen möglichst lange versorgt werden.

Aber auch Rationierungen für die Industrie will Habeck nach Möglichkeit vermeiden. „Das soll nicht passieren, in keinem Monat im besten Fall.“ Er fügte aber hinzu: „Ich kann es natürlich nicht ausschließen, weil es so voraussetzungsreich ist, was wir tun. Aber es ist kein Szenario, auf das wir hinarbeiten – im Gegenteil.“

Alle Maßnahmen seien darauf ausgerichtet, die Marktkräfte so weit wie möglich wirksam zu halten und Alternativen zu schaffen, sagte Habeck. Es gehe darum, Einsparungen vorzunehmen, auf andere Energieträger auszuweichen und die Infrastruktur auszubauen, „um dieses Szenario abzuwenden“.

Österreich: Lage wird „stündlich neu bewertet“

In Österreich gilt vorerst weiter die Frühwarnstufe. Das habe die Bundesregierung nach Beratungen des im für Energie zuständigen Klimaschutzministeriums eingerichteten Krisenstabes beschlossen. Aber Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) schrieb in einer Stellungnahme: „Die Lage wird engmaschig überwacht und stündlich neu bewertet.“

TV-Hinweis

Das Wirtschaftsmagazin „Eco“ widmet sich am Donnerstag um 22.30 Uhr in ORF2 der Abhängigkeit Europas vom russischen Gas.

Entscheidend seien Gasliefermengen und der Speicheraufbau. Sollte der Speicheraufbau gefährdet sein, „müssen wir Maßnahmen ergreifen“. Russland sei kein verlässliches Gegenüber. Der Speicherstand betrage 42,7 Prozent, und auch am Donnerstag sei die Versorgung sichergestellt.

Kocher: „Kein Grund für Panik“

Am Dienstag hatte ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher gesagt, für Österreich gebe es „keinen Grund für Panik“. „Es ist klar, dass es um strategische Spielchen geht zwischen Russland und der EU“, so Kocher. Es gebe keine heimischen Unternehmen mit Schwierigkeiten bei den Gaslieferungen, auch sei der Gasdruck in den Leitungen ausreichend, so Kocher. Man werde versuchen, in den nächsten Monaten die Energielieferländer besser zu diversifizieren, um nicht von Russland erpressbar zu sein.

Moskau bestreitet politisches Motiv

Auslöser der jetzigen Ausrufung ist, dass der russische Staatskonzern Gasprom die Lieferungen über die Ostsee-Pipeline „Nord Stream 1“ deutlich gedrosselt hat. Durch die Pipeline fließen nur noch knapp 40 Prozent der Maximalkapazität. Moskau wies am Donnerstag erneut jede Schuld von sich. „Die Russische Föderation erfüllt alle ihre Verpflichtungen“, so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge.

Einmal mehr bestritt Peskow zudem, dass die Gasdrosselung über die Ostsee-Pipeline „Nord Stream 1“ politisch motiviert sei. Vielmehr seien sanktionsbedingte Verzögerungen bei Reparaturarbeiten die Ursache des Problems. Nach russischen Angaben steckt eine Siemens-Turbine für die Pipeline im Ausland fest. Eine Wartung der Pipeline ist Mitte Juli geplant. Derzeit lässt sich aus Sicht Berlins nicht sagen, ob Russland nach Abschluss der Wartung die Lieferungen wenigstens auf dem verringerten Niveau von 40 Prozent wieder aufnimmt.