Eine Frau geht in London an einer Wechselstube mit Wechselkurswerten vorbei
AP/Frank Augstein
„Doom Loop“ droht

Steuerpläne bringen Truss unter Druck

Lange ist Liz Truss noch nicht im Amt, doch ist die neue britische Premierministerin bereits schwer unter Druck. Die Steuerpläne, die ihre Regierung kürzlich vorstellte, ließen den Pfund-Kurs abstürzen und die Wogen hochgehen. Nun kam gar Kritik vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Manche Fachleute sehen einen „Doom Loop“ drohen, eine Abwärtsspirale mit fallenden Währungskursen und steigenden Zinsen.

Lange hat Truss’ Schonfrist nach Amtsübernahme und Queen-Begräbnis nicht gedauert. Ende der vergangenen Woche präsentierte Kwasi Kwarteng, Finanzminister der neuen Regierung, erhebliche Steuersenkungen, die größten seit Anfang der 1970er Jahre. Sie sollen vor allem den Reichsten in der Gesellschaft zugutekommen und erinnern stark an die Wirtschaftspolitik von Margaret Thatcher.

Das Ziel sei die Ankurbelung des Wachstums, hieß es. Laut Plan sollen die Steuersenkungen über Schulden finanziert werden. Nach Einschätzung von Experten könnte die Steuerreform den britischen Schuldenberg in den kommenden fünf Jahren um etwa 400 Mrd. Pfund (447 Mrd. Euro) wachsen lassen.

Schwere Krise

Nach Kwartengs Ankündigung rutschte der Pfund-Kurs auf ein Rekordtief im Vergleich zum US-Dollar ab. Der finanzpolitische Kurs bereitet den Anlegern große Sorgen. Banken ziehen Kreditangebote mit Zinsbindung zurück. Dabei leidet Großbritannien ohnehin unter der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Die Strom- und Gaspreise für die Verbraucher werden im Oktober vermutlich um 80 Prozent steigen, viele Firmen stehen wegen der hohen Energiekosten vor dem Aus.

Liz Truss
Reuters/Toby Melville
Liz Truss

Am Dienstag kritisierte schließlich auch der IWF in einem seltenen Schritt Truss’ Vorhaben scharf. Wegen der hohen Inflation in Großbritannien und vielen anderen Ländern seien „große und ungezielte Finanzpakete“ im Augenblick nicht zu empfehlen, da es wichtig sei, dass die Steuerpolitik nicht gegenläufig zur Geldpolitik wirke, so ein Sprecher. „Die Art und Weise der britischen Maßnahmen wird außerdem sehr wahrscheinlich die Ungleichheit vergrößern.“

IWF für Nachbesserungen

Die Regierung kündigte einen weiteren Haushaltsplan für Mitte November an. Auch darauf nahm der IWF in seinem Statement Bezug: Das Datum biete eine frühe Möglichkeit, um das Unterstützungspaket gezielter zu gestalten und die Steuerpläne anzupassen – besonders jene für Spitzenverdiener.

Das Statement des IWF erhöhte den Druck auf Truss’ Regierung weiter. Der internationale Geldgeber musste im Jahr 1976 ausrücken, um Großbritannien aus seiner Zahlungsbilanzkrise zu retten. Das hinterließ Spuren, die Rettungsaktion gilt seither als Tiefpunkt der modernen Wirtschaftsgeschichte des Landes.

Truss verteidigt Pläne

Truss verteidigte ihre Steuersenkungen und Wirtschaftspläne am Donnerstag. „Wir mussten dringend handeln, um unsere Wirtschaft zum Wachsen und Großbritannien in Bewegung zu bringen und auch die Inflation zu bewältigen“, so Truss gegenüber dem Lokalsender BBC Radio Leeds. Das sei zudem nötig gewesen, um den Menschen angesichts hoher Inflation und steigender Energiepreise durch den Winter zu helfen.

Sie sei bereit, als Premierministerin schwierige Entscheidungen zu treffen, sagte Truss. Die Regierung habe sichergestellt, dass Verbraucher und Unternehmen weniger Steuern zahlen und vor hohen Energiekosten geschützt sind. Viele Maßnahmen würden nicht über Nacht wirken, räumte die Regierungschefin ein. Aber langfristig würden sie helfen, die Wirtschaft anzukurbeln und besser bezahlte Jobs zu schaffen. Dem Lokalsender BBC Radio Norfolk sagte Truss: „Es wird immer Leute geben, die dagegen sind. Es ist nicht unbedingt einfach, aber wir müssen es tun.“

Notenbank greift in Markt ein

Mit Spannung wird nun erwartet, wie die britische Notenbank reagieren wird, die erst vor wenigen Tagen eine neuerliche Zinserhöhung verkündet hat, um der Inflation Herrin zu werden. Sie teilte Anfang der Woche mit, „nicht zögern“ zu wollen und wenn nötig weitere Schritte zu ergreifen.

Bereits angekündigt wurde ein Eingriff in den Markt: Ab sofort sollen Staatspapiere mit langer Laufzeit erworben werden, wie die Bank of England (BoE) am Mittwoch in London mitteilte. Eine Obergrenze wurde nicht genannt, die Käufe sollen allerdings zeitlich begrenzt bis Mitte Oktober stattfinden.

Gefahr der Abwärtsspirale

Der unabhängige Ökonom Julian Jessop warnte am Mittwoch gegenüber Reuters, dass die britische Wirtschaft in einen „Doom Loop", eine Abwärtsspirale mit fallenden Währungskursen und steigenden Zinssätzen, geraten könnte. „Ich glaube, es ist richtig, sich Sorgen über den Rückgang des Pfunds und den Anstieg der langfristigen Zinssätze zu machen“, so Jessop. „Aber ich glaube auch, dass die Leute in der Hitze der letzten Tage überreagiert haben.“ Denn die Regierung habe auch Maßnahmen ergriffen, um etwa die privaten Haushalte zu unterstützen.

Aufwind für Labour

Doch Truss’ Regierung steht nicht nur wirtschaftlich unter Druck, sondern auch politisch. Laut einer YouGov-Umfrage halten 57 Prozent der Briten die Haushaltsmaßnahmen für ungerecht. Von der Enttäuschung profitiert derzeit vor allem Labour, die Partei befindet sich in einem seltenen Umfragehoch. An den Torys zogen die Sozialdemokraten mit über 17 Prozent Vorsprung vorbei – solche Zahlen gab es seit der Ära von Premier Tony Blair nicht mehr.

Labour-Chef Keir Starmer sah sich am Parteitag am Dienstag schon an der Schwelle von Downing Street 10. „Die Regierung hat die Kontrolle über die britische Wirtschaft verloren“, so Starmer unter tosendem Applaus.

Aufwind bringen Starmer auch Gerüchte, Truss könnte schon bald wieder von der eigenen Partei gestürzt werden. Es sollen bereits erste Briefe beim zuständigen Parteigremium eingegangen sein, mit denen ihr Fraktionsmitglieder das Vertrauen entziehen wollen. Dass es so weit kommt, glauben bisher nur wenige. Die nächste reguläre Wahl wird erst 2024 erwartet.