Die ehemalige Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP)
APA/Erwin Scheriau
Erstes Verfahren

Betrugsanklage gegen Karmasin eingebracht

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat beim Wiener Landesgericht für Strafsachen eine erste Anklage gegen Ex-Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) eingebracht. Das bestätigte Gerichtssprecherin Christina Salzborn am Dienstagnachmittag. Karmasin wird schwerer Betrug und Bestimmung zu wettbewerbsbeschränkenden Absprachen angelastet. Die 40 Seiten umfassende Anklageschrift ist noch nicht rechtskräftig.

Dabei geht es noch nicht um die mutmaßliche Inseraten- und ÖVP-Korruptionsaffäre um in der Mediengruppe „Österreich“ geschaltete Inserate und Umfragen, die über das Finanzministerium abgerechnet und damit letztlich vom Steuerzahler, von der Steuerzahlerin beglichen worden sein sollen.

Diesbezüglich sind die Ermittlungen der WKStA noch nicht abgeschlossen, von denen neben Karmasin unter anderen auch Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dessen ehemalige engste politische Mitarbeiter, die Meinungsforscherin Sabine Beinschab, die Medienmanager Wolfgang und Helmuth Fellner und nicht zuletzt die ÖVP selbst umfasst sind.

Vorwurf: Widerrechtliche Bezugsfortzahlungen

Vorerst zur Anklage gebracht wurde der Vorwurf, Karmasin habe sich nach ihrem Ausscheiden aus der Politik für den Zeitraum 19. Dezember 2017 bis 22. Mai 2018 widerrechtlich Bezugsfortzahlungen in Höhe von insgesamt 78.589,95 Euro erschlichen, indem sie Bediensteten des Bundeskanzleramts verschwieg, „dass sie ihre selbstständige Tätigkeit mit dem Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Ministeramt nahtlos fortsetzte, sie bereits Aufträge im Rahmen ihrer selbstständigen Tätigkeit für das erste Halbjahr 2018 fixiert hatte, sie in der Zeit der Bezugsfortzahlung geldwerte Ansprüche in beträchtlichem Ausmaß erwerben würde und am 6. Februar 2018 gegenüber den für die Prüfung ihres Antrags zuständigen Mitarbeitern im Bundeskanzleramt tatsachenwidrig mitteilte, sie ‚werde nichts verdienen‘“ (Anklageschrift).

Anklage gegen Karmasin

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat eine Anklage gegen die ehemalige Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) eingebracht. Karmasin wird schwerer Betrug und Bestimmung zu wettbewerbsbeschränkenden Absprachen angelastet.

Drei Studien für Sportministerium

Geld verdiente Ex-Ministerin Karmasin unter anderem mit drei Studien für das Sportministerium, für die sie den Zuschlag erhielt, indem sie laut Anklage zwei Mitbewerberinnen – darunter ihre frühere Mitarbeiterin Sabine Beinschab – dazu brachte, „von ihr inhaltlich vorgegebene und mit ihr vorab inhaltlich abgesprochene Angebote an die Auftraggeber zu übermitteln, um sicherzustellen, dass die ihr zuzurechnende Karmasin Research & Identity GmbH die Aufträge bekommen würde“. Beinschab und die zweite Konkurrentin – gegen beide laufen diesbezüglich abgesonderte Ermittlungen – legten zwischen April 2019 und Juni 2021 Angebote, die Karmasin dann jeweils unterbot.

Die Anwälte der 55-Jährigen, die von der auf Wirtschaftsstrafsachen spezialisierten Wiener Anwaltskanzlei Kollmann Wolm sowie Verteidiger Norbert Wess vertreten wird, haben nun zwei Wochen Zeit, um die Anklage zu beeinspruchen. Gegenüber dem „Standard“ sagten sie, sie seien „sehr zuversichtlich, dass wir dem Gericht unseren Standpunkt darlegen werden können.“

Abteilungsleiter des Ministeriums auch angeklagt

Für Karmasin und einen mitangeklagten Abteilungsleiter im Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS) gilt die Unschuldsvermutung. Dieser soll zu den inkriminierten Tathandlungen betreffend die wettbewerbsverzerrenden Absprachen zu den Studien „Motivanalyse Bewegung und Sport“, „Frauen im Vereinssport“ und „Kinder und Jugendliche im Vereinssport“ beigetragen haben.

Laut Anklage stimmte er den Inhalt der zu beauftragenden Studien im Vorfeld mit Karmasin ab und akkordierte, bei welchen anderen Unternehmen die für das Vergabeverfahren erforderlichen Konkurrenzangebote eingeholt werden sollten. In weiterer Folge soll der Abteilungsleiter die Einholung der entsprechenden Angebote veranlasst haben, laut Anklageschrift „jeweils mit dem Ziel, dass (…) Karmasin den Auftrag bekommen sollte, wobei die Einholung der Alternativangebote nur zum Schein erfolgte“.

Angebot für erste Studie im Mai 2019

Für die erste Studie („Motivanalyse – Bewegung und Sport“) legten der WKStA zufolge Beinschab und die zweite Meinungsforscherin im Mai 2019 „Scheinangebote“, die nach dem Platzen der türkis-blauen Regierung infolge des „Ibiza“-Videos überarbeitet wurden. Für den Sport zuständig war nun nicht mehr der über „Ibiza“ gestolperte ehemalige freiheitliche Vizekanzler und Sportminister Heinz-Christian Strache, sondern der Grüne Werner Kogler. Die Angebote Beinschabs und der zweiten Meinungsforscherin beliefen sich nun auf 53.500 Euro bzw. 58.000 Euro. Den Zuschlag erhielt Karmasin als Bestbieterin, wobei sie allerdings am 21. April 2020 für die Durchführung der Studie doch 63.600 Euro in Rechnung stellte.

Für die Studie „Frauen im Vereinssport“ kam Karmasin im August 2020 zum Zug, nachdem sie mit 63.890 Euro preislich deutlich unter den angeblich im Detail zuvor mit ihr abgesprochenen „Scheinangeboten“ lag, die 69.500 Euro bzw. 73.890 Euro ausmachten. Den ursprünglich veranschlagten Preis stellte Karmasin nach Durchführung der Studie am 22. Juli 2021 auch dem Ministerium in Rechnung.

Skepsis im Ministerium bei dritter Studie

Für die dritte Studie zum Vereinsnachwuchs trudelte im Juni 2021 ein Offert von Beinschab mit einem veranschlagten Preis von 72.790 Euro ein, während die zweite Marktforscherin kein Pseudoangebot mehr legte, weil sie laut Anklage „damit nichts mehr zu tun haben wollte“. Karmasins Anbot belief sich auf 68.980 Euro.

Enge Mitarbeiter von Sportminister Kogler wurden dann aber offenbar skeptisch, wie in der Anklage ausgeführt wird: „Im Kabinett und in der ‚Stabstelle Strategische Kommunikation‘ bestanden Zweifel an der Notwendigkeit der Studie. Eine BMKÖS-intern in Auftrag gegebene rechtliche Prüfung ergab, dass die Vorstudien und die gegenständliche Studie vergaberechtlich als ein Vorhaben anzusehen wären und daher die Voraussetzungen für eine Vergabe (…) nicht vorlagen.“

Angebot zurückgezogen

Nachdem zwischenzeitlich bei ihr eine Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit der ÖVP-Inseratencausa stattgefunden hatte, bei der Datenträger und umfangreiche Unterlagen sichergestellt wurden, zog Karmasin am 7. Oktober 2021 ihr Angebot zurück. Als Begründung führte sie „Kapazitätsgründe“ ins Treffen. „Tatsächlich zog sie das Angebot zurück, weil aufgrund der BMKÖS-internen Prüfung in Zusammenschau mit der am Vortag durchgeführten Durchsuchungswelle aus ihrer ex-ante-Sicht ein großes Entdeckungsrisiko bestand und sie davon ausging, dass sie den Auftrag jedenfalls nicht bekommen würde“, hält dazu die WKStA in ihrer Anklage fest. Die Studie „Kinder und Jugendliche im Vereinssport“ wurde in weiterer Folge auch gar nicht mehr verfolgt.

Gehaltsfortzahlung nach ORF-Bericht refundiert

Hinsichtlich des ihr unterstellten unrechtmäßigen Weiterbezugs ihres Ministerinnengehalts hat Karmasin zwischenzeitlich Schadensgutmachung geleistet, wie ihr in der Anklage zugebilligt wird. Demnach überwies zuerst ihr Schwager am 9. März 2022 mit dem Verwendungszweck „Refundierung Ministergehaltfortzahlung“ 62.193,70 Euro auf ein Konto des Bundeskanzleramts.

Tags zuvor hatte die ZIB2 nach Recherchen von Martin Thür erstmals über die Bezugsfortzahlung an Karmasin berichtet.

Am 22. April kamen weitere 11.947,79 Euro von Sophie Karmasin, nachdem sie zuvor ihrem Schwager das von diesem ausgelegte Geld rückerstattet hatte. Damit hat die Ex-Familienministerin insgesamt 74.141,49 Euro gutgemacht, was ihr für den Fall einer Verurteilung jedenfalls als Milderungsgrund anzurechnen wäre. Auf Basis der nunmehrigen Anklage drohen Karmasin und dem mitangeklagten Beamten bis zu drei Jahre Haft.

Laut WKStA keine „tätige Reue“

Aus Sicht der WKStA war für die Rückzahlung der laut Anklage zu Unrecht bezogenen Gelder aber nicht tätige Reue maßgeblich. „Die (zunächst unvollständige) Schadensgutmachung erfolgte, weil MMag. Dr. Karmasin angesichts der medialen Berichterstattung zur Bezugsfortzahlung in Zusammenschau mit dem im gegenständlichen Verfahren dringenden Tatverdacht keine Möglichkeit einer erfolgreichen Verweigerung der Rückzahlung mehr sah. Zudem war ihr bewusst, dass die Verdachtslage erdrückend war“, heißt es in der Anklageschrift.