Vom Bahnhof zum Hochhaus

Großbaustelle mitten in Wien: Über dem Franz-Josefs-Bahnhof im neunten Bezirk soll in den nächsten Jahren ein modernes Stadtviertel mit mehreren Hochhäusern entstehen. Das Projekt einer privaten Investorenfirma verspricht Erneuerung für den Problemkomplex. Gleichzeitig wird der Bau, für den im Frühjahr der Flächenwidmungsplan beschlossen werden soll, zum Großprojekt für einen ganzen Bezirk. Dabei streift er an mehreren städtebaulichen Reizthemen an - darunter auch die heikle Frage nach der Bürgerbeteiligung.
Der Franz-Josefs-Bahnhof hat eigentlich schon immer für städtebauliche Kontroversen gesorgt. Vernichtend urteilte etwa der Schriftsteller Heimito von Doderer. Er nannte ihn in seiner „Strudlhofstiege“ unter anderem einen städtebaulichen „Ernstfall“. Das war 1951 – und der Bahnhof, wenn auch bereits auf dem absteigenden Ast, eigentlich noch ein Prunkbau aus der k. u. k. Zeit.
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So sah er früher aus: Der Bahnhof in den 1930er Jahren
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Kurz vor seinem Abriss im Jahr 1975 fehlte bereits die Prunkfassade
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Glas, Stahl und Beton: Der Franz-Josefs-Bahnhof heute
Wirklich wahr wurde Doderers Diagnose erst ab den 1970er Jahren: Damals schleifte die Stadt das Bahnhofsgebäude und überbaute die Gleisanlagen mit einer Platte. Auf ihr wurden massige Großbauten wie das gläserne Bank-Austria-Gebäude und die alte Wirtschaftsuniversität errichtet. Der Zugsverkehr darunter lief weiter, verlor aber im Laufe der Jahre seine Bedeutung. Während er früher Wien über Prag mit Berlin verband, lebt der Bahnhof heute von Pendlerverbindungen ins Tullnerfeld. Über bleibt ein kaum überwindbarer Koloss, der das Gebiet gleichzeitig zu einer der großen stadtplanerischen Altlasten und zu einem der interessantesten Stadtentwicklungsgebiete Wiens macht.
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Die Pläne für die Zukunft

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Doch bis etwa 2025 soll sich ein Teil des Areals verändern. Der Wiener Investor 6B47 will aus ihm das moderne „Althan Quartier“ machen, ein durch Neubau und Renovierung realisiertes Grätzel. Das soll nicht nur durchlässiger werden, sondern auch in die Höhe wachsen. Auch wenn sie auf den Visualisierungen derzeit noch fehlen: Künftig dürften auch Hochhäuser und ein Hochpark das Bild des Viertels bestimmen.
Möglich sind laut dem von allen Parteien im Gemeinderat beschlossenen Leitbild der Stadt Wien zwei Türme mit einer Höhe von bis zu 126 Metern - also fast so hoch wie die angrenzende Müllverbrennungsanlage Spittelau und nur zehn Meter niedriger als der Stephansdom. Im Hinblick auf die rund 35 Meter hohe Gründerzeitumgebung plant man einen abgestuften Bau: innen Hochhäuser und „Hochpunkte“, außen niedrigere Teile. Füllen soll sich das Ganze mit einem Drittelmix aus Wohnungen (die Hälfte davon „sozial gebunden“ - was das genau bedeuten soll, ist noch offen), Gewerbe und Gastronomie.

Auswahl privater Immobiliengroßprojekte in Wien

Dafür, dass in die Höhe gebaut wird, soll die „Trutzburg“ Franz-Josefs-Bahnhof an anderen Stellen durchbrochen und zugänglicher gemacht werden. Geplant sind Querungen und Freiflächen - darunter auch ein Hochpark nach dem Vorbild der New Yorker High Line auf der neun Meter hohen Sockelzone. Das Bauvolumen soll sich dafür von 180.000 auf 150.000 Kubikmeter reduzieren. Es ist ein Spiel mit Bauklötzen: Was an wertvoller Kubatur verloren geht, soll in die Höhe wachsen.
Die Neugestaltung erstreckt sich zwischen Nordbergstraße, Julius-Tandler-Platz, Althanstraße und dem ehemaligen Telekom-Austria-Gebäude. Dort errichtet derselbe Investor eine „Premiumwohnanlage“, offiziell gehört das „Althan Park“ genannte Projekt aber nicht zur Planung. Die Universitätsgebäude im Norden des Areals, konkret die alte WU und das Pharmazie- und Biologiezentrum der Universität Wien, werden entgegen ersten Pläne nicht verändert.
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Kopfbau als Einkaufszentrum?

Einiges an Altbekanntem vom Franz-Josefs-Bahnhof bleibt bestehen. Das gläserne Bank-Austria-Gebäude, übrigens der letzte Bau des Wiener Architekten Karl Schwanzer, soll nicht abgerissen, sondern renoviert und adaptiert werden. Unter anderem wird sich wohl die in die Jahre gekommene Glasfassade ändern. Auch bei der Höhe dürfte sich etwas tun: Während der aktuelle Kopfbau laut den alten Plänen 40 Meter hoch ist, sieht der aktuelle Entwurf des Flächenwidmungsplans einen Höhenpunkt von 63 Metern vor. Der Komplex wird derzeit durchgängig als Einkaufszentrum ausgewiesen.
Und was passiert eigentlich mit dem Bahnhof, wenn sich alles darüber in eine Baustelle verwandelt? Nach Tauziehen steht fest: Auch er bleibt. Lange war spekuliert worden, ob er verlegt werden könnte, doch das hat sich nicht bestätigt. Die ÖBB pochten auf eine Erhaltung. Die Züge werden auch künftig im Untergrund fahren.
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Auflage von Flächenwidmungsplan

Insgesamt bewegt sich das Projekt derzeit in einer heißen Phase. Ein seit dem Sommer laufender anonymer Architekturwettbewerb soll bis April 2018 entscheiden, wie das Areal genau aussehen wird. Der Entwurf für den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan lag bis 11. Jänner im Gemeinderat zur öffentlichen Einsichtnahme auf - er sollte die Rahmenbedingungen dafür setzen, was letztlich gebaut wird. Im Frühjahr sollte er im Gemeinderat debattiert werden. Bis zum 11. Jänner konnten Bürger analog und digital Stellungnahmen dazu abgeben. Baustart soll dann 2019 sein.
Franz-Josefs-Bahnhof Google Earth

Entwicklungsland im Herzen Wiens

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Mit fast 2,4 Hektar gehört das „Althan Quartier“ derzeit aktuell zu den größten Investorenprojekten in Wien. Dazu kommt: Gebaut wird nicht am Stadtrand, sondern verhältnismäßig zentral. Die Bedeutung für die Stadtentwicklung, jahrelange zähe Verhandlungen und die komplexen Rahmenbedingungen machen das Projekt diffizil. Das zeigt sich auch daran, dass immer noch nicht alles geklärt ist.
Mehrere Fragen wurden bis Mitte Jänner noch zwischen Stadt und Investor verhandelt, sagte der Planungsdirektor der Stadt Wien, Thomas Madreiter, gegenüber ORF.at. Es gelte noch vor Vorlage des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans an den Gemeinderat, durch Verträge die „Sicherstellung von öffentlichen Interessen als Voraussetzung für eine Widmungsänderung“ zu erzielen. Andernfalls könne der Plan dem Gemeinderat nicht vorgelegt werden, so Madreiter im Jänner.

Frage nach Wohnraum offen

Offen war etwa noch, wer langfristig die wohl aufwendige Pflege des Hochparks übernimmt. Auch den Bau einer Tiefgarage in der Nordbergstraße bezeichnete Madreiter als Verhandlungssache. Was das weit dehnbare Schlagwort „sozial gebunden“ im Bereich Wohnbau bedeuten soll, müsse ebenfalls entschieden werden. Laut Madreiter seien hier Lösungsvorschläge des Investors mit dem Wohnbauressort abzustimmen.
Dieser ließ die Frage nach dem Wohnen zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend offen. Man bezeichnete das Thema als Vorgabe der Stadt, die im Detail noch näher auszuführen sei. Als gewerblicher Bauträger könne und wolle man auch finanzierbaren Wohnraum anbieten. Aber: Man sei kein Entwickler für geförderten Wohnbau. Deswegen wolle man auch keine entsprechenden Förderungen in Anspruch nehmen oder an einen gemeinnützigen Bauträger verkaufen.

Letzte Meter, lange Planung

Es handelte sich um entscheidende Fragen, die auf den letzten Metern eines Langzeittauziehens gefällt werden. Gefeilt wird am „Franz-Josefs-Bahnhof neu“ nämlich nun aktiv schon seit 2011. Ursprünglich machten vor allem drohender Leerstand (die Bank Austria zieht 2018 aus) und der marode Zustand eine Neuplanung des Baus notwendig. Als es an diese ging, sollte sich zeigen, wie schwer ein Erbe wiegen kann. Die seit den 1970ern gewachsenen, enorm verworrenen Eigentums- und Pachtverhältnisse der baulich ineinander verschränkten Großkomplexe am Bahnhof erwiesen sich als Bremse.

Franz-Josefs-Bahnhof 1975

Damals wurde der Grundstein für den heutigen Zustand gelegt
Dazu kommt, dass der Stadt Wien kein einziges Gebäude auf dem Areal gehört. Das Ergebnis: lange Verhandlungen mit zu vielen Akteuren mit zu unterschiedlichen Interessen, bei denen nicht viel weiterging. Prägend für die Planung waren dabei auch die ÖBB und die von ihr durchgesetzte Erhaltung des Bahnhofs, sowie die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG). Sie verfolgte eigene Pläne - und die Universitätsgebäude im nördlichen Teil wurden entgegen ersten Zielsetzungen der Stadt aus der Planung ausgeklammert.

Investor mit Stand auf dem Areal

Sichtbare Bewegung gab es erst, als ein Investor ins Spiel kam. 2015 kaufte der Wiener Immobilienentwickler 6B47 für einen „niedrigen dreistelligen Millionenbetrag“ das Bank-Austria-Gebäude und die Parkgarage auf dem Areal. Auf einen Schlag hatte die Stadt nur mehr einen Ansprechpartner, geplant wurde nur mehr für das von 6B47 erworbene Gebiet. Angrenzend zum Bahnhof baut es im ehemaligen Telekom-Austria-Gebäude 240 freifinanzierte „Premiumwohnungen“, die unter dem Namen „Althan Park“ vermarktet werden.

Titel

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Neben dem Bahnhof errichtet 6B47 eine Luxuswohnanlage
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Nur neun bis 16 Wohnungen werden sich im unteren Preissegment finden
Auch anderweitig machte das Unternehmen zuletzt Schlagzeilen - es soll nämlich verkauft werden. Man strebe für weiteres Wachstum eine Kapitalerhöhung an, weswegen sich die Eigentümerstruktur ändern könnte. Von Auswirkungen auf die Entwicklung des „Althan Quartiers“ sei „nicht auszugehen“, so 6B47.
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Gesprächsbedarf gegeben

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Ein Projekt in der Größenordnung der „Wiederbelebung“ des Franz-Josefs-Bahnhofs berührt zwangsläufig viele Reibungspunkte - freilich auch bei den Anrainern. Mit Kritik und Protest wird gerechnet. Denn dass die Frage nach der Bürgerbeteiligung nach wie vor eine schwierige bleibt, wurde auch beim „Althan Quartier“ bereits sichtbar.
Und zwar gleich bei der ersten Präsentation im größeren Rahmen. Eva Blimlinger, Vorsitzende der Österreichische Universitätenkonferenz (uniko), hatte damals nach einer durchgetakteten Vorstellung der Pläne vehement eine öffentliche Diskussion zwischen den rund 250 Gästen sowie den anwesenden Politikern, darunter der grüne Stadtrat Christoph Chorherr und Bezirksvorsteher-Stellvertreter Thomas Liebich (SPÖ), und den Projektbetreibern gefordert. Doch sie blieb trotz Zurufen ohne Erfolg, die Veranstaltung wurde kommentarlos beendet, die Debatte fand in abgetrennten Kojen und damit im Kleinen statt.

Die Frage nach der Breite

Die Folge: Nordkorea-Vergleiche und Heumarkt-Befürchtungen - gerade weil die Grünen bei der Erneuerung des Areals eine treibende Kraft sind. Vom Projektentwickler hieß es damals, man wolle eine Diskussion mit möglichst breiter Beteiligung ermöglichen, die nicht von einigen wenigen Stimmen dominiert sei. Doch das Bild war getrübt.
Dieser Start dürfte für Entwickler und Stadt umso ärgerlicher gewesen sein, als dass es rund um den „Franz-Josefs-Bahnhof neu“ tatsächlich einen ungewöhnlich breiten - aber meist im Kleinen stattfindenden - Rahmen der Anrainerbeteiligung gegeben hat. Diese reichte von Fragebögen über Expertengespräche bis hin zu einem mehrstufigen Bürgerbeteiligungsverfahren, in dem einige Anrainer Input für die Projektpläne lieferten.

Viele Fragen und Ruf nach Diskussion

Als diese im März politisch beschlossen wurden, endete offiziell auch die Beteiligung. Die Debatte geht aber weiter - denn während gehofft wird, dass das „Althan Quartier“ das Viertel neu belebt, bedeutet das auch, dass rund um den Bahnhof jahrelang kaum ein Stein auf dem anderen bleiben wird. Doch dabei tun sich freilich auch zahlreiche Fragen auf: Wie gelingt in so einem Projekt die soziale Durchmischung? Wo kollidieren Gemeinwohl und finanzielle Interessen? Und wie geht man mit dem Faktor Gentrifizierung um?
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Auf Bezirksebene wird die Neugestaltung vor allem von unmittelbaren Anrainern kontrovers diskutiert. Denn bisher habe es „sehr viel Information, sehr wenig Diskussion“ gegeben, so Johannes Lutz von der sich derzeit formierenden Bürgerinitiative Lebenswerter Althangrund. Sie will in den kommenden Wochen unter anderem über die Sozialen Netzwerke für Öffentlichkeit sorgen.

„Operation am offenen Herzen“

Mitglied und prononcierter Kritiker ist auch Landschaftsplaner Roman Ivancsics, der direkt neben dem Bahnhof wohnt. Für ihn ist der geplante Umbau mitten in Wien eine „Operation am offenen Herzen“, die überstürzt und mit zu großer Dominanz des Investors durchgeführt werde. Seine Perspektive ist insofern interessant, als dass er nicht nur fachlich kundig ist, sondern auch am Bürgerbeteiligungsprozess beteiligt war. Zu diesem zieht er eine durchwachsene Bilanz: Zwar seien Teile „fachlich erstklassig“ gewesen. Gemangelt habe es aber unter anderem an langfristigem Feedback, zudem seien Informationen über den Prozess immer wieder an unmittelbaren Anrainern vorbeigegangen.
Im Kern kritisiert er aber, dass die Wünsche der Bürger, die politische Willensbildung der Stadt und die Pläne des Investors letzten Endes nicht ausreichend abgeglichen wurden - der Bürgerbeteiligungsprozess als „Potemkinsche Dörfer“. Das naheliegende Beispiel: Werfe man etwa einen Blick in die Unterlagen des Bürgerbeteiligungsprozesses, werde dort viele Male „kein Hochhaus“ als Wunsch angeführt.

„Wo deckt sich das“

„Man hätte klarmachen müssen: Wo deckt sich das und wo deckt sich das gar nicht? Dabei wäre allerdings kein Ergebnis herausgekommen, das dem Investor Rendite in der gewünschten Höhe verschafft hätte.“ Diese liegt für den rund 200-köpfigen Investorenclub übrigens im zweistelligen Bereich - letztes Jahr konnten 15 Prozent erzielt werden.
6B47 begegnet der Kritik mit einem Verweis auf die von der Stadt beschlossenen Pläne für das Areal. In diesem seien die Ziele für den Franz-Josefs-Bahnhof klar definiert, das Projekt sei zudem unter Mitwirkung von Bürgern, Planern und relevanten Akteuren entstanden. Aus Investorensicht handle es sich um eine „städtebaulich sehr gute Lösung“. Zudem hätten die größten Teile des Bürgerbeteiligungsverfahrens bereits vor dem Kauf des Areals durch 6B47 stattgefunden.

Gesprächsbedarf auch bei positiver Grundhaltung

Besucht man die regelmäßigen Informationsveranstaltungen zu dem Projekt, wird klar, dass Ivancsics nicht alleine ist. Auch trotz positiver Grundhaltungen zu einer lange überfälligen Erneuerung des in die Jahre gekommenen Bahnhofs und vieler positiven Stimmen zu Nutzungsmix, Durchquerungen und mehr Grün dürfte der Gesprächsbedarf über das Projekt noch länger existieren.
Die Kritikpunkte reichen von Sorgen über die unmittelbaren Auswirkungen einer jahrelangen Großbaustelle direkt vor der eigenen Haustür (Staub, Lärm, Verkehr, mögliche Asbestvorkommen) über die Parkplatz- und Verkehrsfrage (der Bau einer Tiefgarage in der Nordbergstraße für den gesteigerten Verkehr durch das Projekt würde eine Errichtung auf öffentlichem Grund bedeuten) hin zu grundlegender Systemkritik am Verhältnis zwischen Investoren und Stadt.
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Für Unmut sorgt auch der Umstand, dass für das Projekt laut Beschluss der Wiener Landesregierung keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss. Auch das Thema Hochhaus wird nach wie vor als Glaubensfrage diskutiert. Das Meinungsspektrum reicht dabei von Kritikern, die Optik und Sinnhaftigkeit hinterfragen, bis hin zu Befürwortern, die darauf hinweisen, dass in rasch wachsenden Städten wie Wien in die Höhe gebaut werden muss.
6B47 betont in der Hochhausfrage, dass der rund 40 Meter hohe Kopfbau schon jetzt ein Hochhaus und das Areal bereits als Hochhausstandort gewidmet sei. Die Höhenfenster seien durch das von der Politik einstimmig beschlossene Leitbild festgelegt worden. Nur ein Bau in die Höhe würde den erwünschten Aufbruch des Monolithen ermöglichen.

Planung als „diffiziler Prozess“

Die Stadt verweist mit Kritik konfrontiert vor allem auf die Komplexität des Projekts. Es auszuhandeln sei ein „diffiziler Prozess“ zwischen der Wahrung der Rechte der Bürger und den Investorenansprüchen gewesen, so Planungdirekor Madreiter. Und da habe man viele der gesteckten Ziele erreicht: Querungen, ein geringeres Bauvolumen und eben neue Freiflächen. Ein „luftigeres Gebäude“ sei nun in Sicht.
Er betonte, dass der Investor des Areals es auch ohne Umbauten weiternutzen hätte können. Kritiker müssten sich entscheiden: Entweder der alte Koloss bleibe, oder man gehe Kompromisse ein. Zum Thema Bürgerbeteiligung sagte Madreiter: „Man redet mit den Bürgern, man hört ihnen genau zu und versucht, ihre Anliegen einzuarbeiten“. Das habe aber „keinen Repräsentativcharakter“.

Eine Zugsfahrt in den Bauch des Franz-Josefs-Bahnhofs
Und letzten Endes müsse man realistisch sein: Stadt könne nur dadurch realisiert werden, dass auch jemand Geld investiert. Aus dem Büro der Planungsstadträtin Maria Vassilakou hieß es, man wolle den Beschluss des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans abwarten, bevor man sich zu Kritik äußere. Der Investor wiederum beruft sich immer wieder auf den aufwendigen Bürgerbeteiligungs- und Informationsprozess. Tatsächlich gibt es nach wie vor Informationsveranstaltungen, zudem wurde ein Bürgerbüro unmittelbar beim Franz-Josefs-Bahnhof eingerichtet.

Eine acht von zehn

Das Beispiel der Neugestaltung zeigt auch, wie komplex Bürgerbeteiligungsprozesse sind - erst recht bei einem Großprojekt. Nicht alle Interessen und Wünsche sind unter einen Hut zu bringen. Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung und Aushandlung der unterschiedlichen Anliegen ist vor allem ein – mitunter auch schwieriger – Kommunikationsprozess nötig, bei dem alle Beteiligten nicht nur ernst genommen werden, sondern sich auch ernst genommen fühlen.
Ob aus Bürger-, aus Stadt- oder Investorensicht: Die Relevanz der Neugestaltung ist jedenfalls unbestreitbar. Für den Architekten Christian Kühn liegt die stadtplanerische Bedeutung des Franz-Josefs-Bahnhofs auf einer Skala von eins bis zehn gar bei acht.
„Wenn so viel Beton bewegt wird, muss für die Stadt aber auch ein ordentliches Stück Verbesserung herausschauen“, so der Architekt. Für eine erfolgreiche Wiedergeburt brauche es laut Kühn „einen attraktiven Stadtraum, für den sich die Leute nachhaltig begeistern können“. Ob das am Franz-Josefs-Bahnhof gelingt, wird sich weisen.

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Gestaltung

Saskia Etschmaier (Text), Roland Winkler (Fotos und Video), Peter Pfeiffer (Karte), Mario Palaschke (Lektorat), alle ORF.at

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