Blog, 27.8. Robert Wiesner, Leiter Report

Duelle und Getöse

Nun beginnt sie also, die „heiße Phase“, die es auch in einem lauen Wahlkampf geben muss. Ein alles entscheidendes Finale zu beschwören, zählt zu den ältesten Mustern politischer Agitation, doch auch Journalisten sind hier mit Eifer am Werk. So wuchern dieser Tage die Metaphern aus Sport und Krieg, übertroffen bloß vom beliebtesten Begriff: Duell.

Ein praktisches Wort von gutem Klang und wegen seiner wenigen, noch dazu schlanken Buchstaben prädestiniert für jede Schlagzeile. So bemüht unsere Zunft mit Begeisterung Bilder altväterischer Ehrenhändel für das schlichte Werben, Bitten und Betteln um jede Stimme. Text und Layout evozieren Ideen von Kämpfen „Mann gegen Mann“ um das Amt des Bundeskanzlers dieser Republik, um die Ehre des erfolgreicheren Parteisekretärs, ja sogar eines Duells um Platz drei – ausnahmsweise Mann gegen Frau.

Das Bild ist schief, nicht nur weil es zum Glück friedlicher zugeht im demokratischen Entscheid, sondern weil Sieg oder Niederlage nicht davon abhängen, wie viele Gefolgsleute sich aus den gegnerischen Reihen abwerben lassen – so wie einst die Ehre als wiederhergestellt galt, sobald man dem Gegner mit dem Säbel das Ohr nehmen konnte, oder mit dem Vorderlader das Leben.

Die Wahrheit ist weit schlichter: den größten Teil des Getöses veranstalten (die im Nationalrat bereits vertretenen) Parteien und Kandidaten, um enttäuschte oder zögernde Anhänger wiederum zur Wahlurne zu locken – oder gelangweilte Nichtwähler doch noch.

In der Hochburg der Nichtwähler

Der Report begibt sich diesmal auf die Suche nach jenen 29 Prozent der Wählerinnen und Wähler, die laut einer exklusiven Umfrage der Karmasin Motivforschung derzeit nicht wissen, wen sie wählen werden, oder die an der Wahl gar nicht teilnehmen wollen. Ernst Johann Schwarz hat die Hochburg der Nichtwähler besucht, das schöne Tannheim im Tiroler Außerfern. An der Nationalratswahl 2008 beteiligten sich dort gerade noch 46,4 Prozent der Wahlberechtigten.

Unsere Datenjournalisten um Jakob Weichenberger und Günter Hack haben die Wahlbeteiligung nach Bezirken für ganz Österreich in einer interessanten interaktiven Österreich-Karte dargestellt. Fazit: die Wahlmüdigkeit nimmt von Ost nach West deutlich zu.

Während die amtlich erhobene Wahlbeteiligung umgekehrt auch Nichtwähler ausweist, sind die Wechselwähler weit schwieriger zu lokalisieren. Doch der Datenjournalist hat auch dafür Theorie und Karte parat – die ein ähnliches Bild ergibt: je weiter westlich, desto wählerischer:

Auf der Suche nach den Wechselwählern

von Jakob Weichenberger

In welcher Gegend wechseln die Wähler besonders gerne die politische Präferenz? Die Antwort gibt der Pedersen-Index. Er ist schnell errechnet: Man nimmt den Betrag von allen Prozentpunkt-Veränderungen der einzelnen Parteien in den einzelnen Bezirken, zählt sie zusammen und halbiert sie.

Der Pedersen-Index hat einen kleinen Nachteil: im Unterschied zur Wählerstromanalyse kann er die wahren Wählerbewegungen zwischen den einzelnen Parteien nicht sichtbar machen, sondern erfasst lediglich die saldierten Wanderungsbewegungen zwischen allen politischen Lagern. Hinter dieser Nettoveränderung kann sich eine größere Zahl von individuellen Wanderungsbewegungen verbergen, die sich teilweise ausgleichen. Der Pedersen-Index ist also ein Maß für die Untergrenze der Wählerbewegungen, die in einem bestimmten Gebiet stattgefunden haben.

Grafiken zum Verhalten der Wechselwähler

Jakob Weichenberger / ORF.at

2008: Je dunkler der Farbton, desto höher der Anteil der Wechselwähler

Der Dinkhauser-Effekt

Die Karte zeigt auf Bezirksebene anhand des Pedersen-Index die hohe Wählermobilität in Tirol, in Vorarlberg und in der Steiermark. Auffällig ist andrerseits die geringe Wählermobilität im nördlichen Niederösterreich und im Burgenland. Spannend ist die hohe Wählerdynamik in Tirol, die vor allem mit dem Antreten von Fritz Dinkhauser bei der Nationalratswahl 2008 zusammenhängt.

Die geringe Volatilität in Niederösterreich kann auf die Stärke der ÖVP zurückgeführt werden. Die geringe Fluktuation im Burgenland auf die Stärke der SPÖ. In der Steiermark haben SPÖ und ÖVP annähernd gleich viel an Stimmen verloren, FPÖ und BZÖ konnten um die 10 Prozentpunkte zulegen.

Höchstwert in Tirol

Symptomatisch für die Veränderungen in Tirol ist die Gemeinde Heiterwang, die mit einem Pedersen-Index von 38,68 österreichweit die höchste Volatilität aufweist.

In Heiterwang, wo 2008 415 Wahlberechtigte lebten, ist die ÖVP von 59 Prozent im Jahr 2006 auf 29,9 Prozent im Jahr 2008 abgerutscht. Profitiert hat davon vor allem die Liste Fritz, die in dieser Gemeinde 2008 21,08 Prozent der Stimmen holen konnte. Die Gemeinde mit der österreichweit geringsten Volatilität ist Fallbach im Bezirk Mistelbach. Der Pedersen-Index liegt hier bei 6,97.

Auffällig ist auch die Gemeinde Nikitsch im Burgenland, in der Norbert Darabos Gemeinderat war. Sie liegt unter allen österreichischen Gemeinden mit der geringsten Wähler-Volatilität auf Platz 6.

Grafiken zum Verhalten der Wechselwähler

Jakob Weichenberger / ORF.at

Anteil der Wechselwähler schwankt

Ein Blick auf die Wählerstromanalysen der letzten drei Nationalratswahlen zeigt, dass der Anteil der Wechselwähler mit bis zu einem Drittel hoch ist. Allerdings hat über diesen Zeitraum nur der Anteil der Nichtwähler jedesmal zugenommen, während der Anteil der Wechselwähler und der Parteitreuen Schwankungen unterworfen war.

Der Anteil der parteitreuen Wähler, die 2008 wieder bei der selben Partei ihr Kreuz gemacht haben wie 2006, lag bei rund 55 Prozent. Rund 18 Prozent der Wähler sind weder 2006 noch 2008 zur Wahl gegangen, rund 27 Prozent der Wähler haben 2008 anders gewählt als 2006.