Die Leiterin der Kostümabteilung bei den Bregenzer Festspielen, Lenka Radecky, sitzt vor einer Kostümstange mit vielen bunten Kleidungsstücken
Bregenzer Festspiele/KoenigsFreunde
Bregenzer Festspiele

Rigoletto in Wodka und „Coco Chanel“

Seit September 2018 ist in der Kostümabteilung der Bregenzer Festspiele einiges im Um- und Aufbruch: Lenka Radecky hat die Leitung der Abteilung mit dem Auftrag übernommen, die gesamte Struktur auf komplett neue Beine zu stellen. Die nötige Erfahrung, das auch umzusetzen, bringt sie mit. Sie kennt unter anderem die uralten Tipps und Tricks zum „Entlüften von Kostümen mit Alkohol“.

Mehr als 20 Jahre lang hat sie ihr Fachwissen an verschiedensten Theater- und Opernhäusern in Deutschland und in der Schweiz erweitert, zuletzt hat Radecky die „Kostümmanufaktur Erl“ als fixe Abteilung der „Tiroler Festspiele Erl“ aufgebaut und erfolgreich geleitet. Mit Giuseppe Verdis „Rigoletto“ als Spiel und auf dem See und „Don Quichotte“ von Jules Massenet im Festspielhaus arbeitet Radecky nun zum ersten Mal als Leiterin der Abteilung „Kostüm“ bei Produktionen der Bregenzer Festspiele mit. Gemeinsam mit ihrem Team setzt sie die Ideen und Entwürfe der für die jeweiligen Produktionen engagierten Kostümbildner um. – In der „Rigoletto“-Saison also jene von Kostümbildnerin Kathi Maurer.

Urgroßmutter an der Prager Oper

Radecky bezeichnet sich als einen Menschen, der „für Überzeugungen brennen“ kann – so wie sie bereits als Kind gewusst hat, dass sie Kostümbildnerin werden wollte. „Meine Urgroßmutter mütterlicherseits war mit Leib und Seele Kostümbildnerin und Schauspielerin an der Prager Oper. Und irgendwie ist ihre Leidenschaft auf mich übergeschwappt“, erklärt sie. Kunst und vor allem kunstvoll gestaltete Kleider haben schon früh eine große Anziehungskraft auf Radecky ausgeübt. „Ich habe als Kind beispielsweise Bücher über Coco Chanel geradezu verschlungen. Dieser Gedanke, in die Fußstapfen meiner Urgroßmutter zu steigen, ist also von Grund auf in mir herangereift und hat sich immer weiter entwickelt“.

Offen für Kunst, Kultur und Menschen

Ihre Eltern stammen beide aus Prag und sind 1968 in die Schweiz, in die Nähe von Zürich gezogen, wo Radecky ein paar Jahre später geboren worden ist. Sie selbst spricht heute fünf Sprachen und ist durch ihre Herkunft von unterschiedlichen Seiten geprägt worden. „Vor allem meine Mutter hat mich und meine jüngere Schwester sehr offen für Kunst, Kultur und andere Menschen erzogen. Ich habe lange nicht verstanden, warum andere Menschen nicht so liberal denken wie wir“, lacht sie.

„Älterwerden wandelt vieles ins Positive“

Mit der Zeit hat Radecky gelernt, mit unterschiedlichen Ansichten umzugehen. „Das war manchmal gar nicht so einfach und ein harter Lernprozess. Vor allem für meinen Dickschädel! Und der war bei mir – je nach Lebensphase – mal weniger und mal mehr ausgeprägt.“ Die Ende-40-Jährige liebt aus diesem Grund das Älterwerden, „weil es solche Dinge entschärft und vieles ins Positive umwandelt. Man lernt sich selbst kennen und erkennt, wann es nötig ist, von den eigenen Bedürfnissen zurückzutreten und zu fragen, was das Gegenüber eigentlich möchte. Das hat mir das Leben gerade in den vergangenen zehn Jahren um einiges leichter und interessanter gemacht.“

Viele „Fäden“ zusammenbringen

Mittelmaß und halbe Sachen sind für Radecky uninteressant. „Das ist fast schon eine Lebensphilosophie von mir“, sagt sie und ist fest davon überzeugt, dass gerade Berufe im Theater ein gewisses Gespür für das schärfen, wofür es sich lohnt, hart zu arbeiten. „Mein Beruf verlangt das geradezu“, sagt die Kostümbildnerin, die als Leiterin einer Abteilung viele Fäden zusammen bringen muss. Im wahrsten Sinn des Wortes genauso wie im übertragenen: „Das fängt beim Handwerk an, geht übers Organisatorische und beim Unternehmerischen weiter. Ich muss rechnen und beinhart kalkulieren. Aber am Ende steht immer die Kunst. Und um diese Kunst – in meinem Fall sind das die Kostüme im Sinne der für die einzelnen Produktionen verantwortlichen Kostümbildner – zu entwickeln, braucht es viele Fachleute, die zusammenarbeiten und koordiniert werden müssen. Meine Aufgabe ist es, sie zusammenzuführen.“

Die Mitarbeiterinnen der Kostümabteilung der Bregenzer Festspiele sind bei ihrer Arbeit an den Nähmaschinen
ORF Vorarlberg/Angelika Schwarz
Im Kernteam arbeiten 17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Kostümen für die Produktionen im Haus und am See

Ein Outfit, viele Gewerke

In einer Kostümabteilung gibt es nämlich mehr Gewerke, als man vielleicht meinen möchte. „Da gibt es nicht nur die Schneiderei, die in Herren- und Damenschneiderei unterteilt ist“, erklärt sie. „Es gibt daneben auch noch die Schuhmacher. Und das Kunstgewerbe, das die Kostüme veredelt – also für all das, was von außen auf die Kostüme und auf den Darsteller kommt, verantwortlich ist. Und dann wären da noch die Modisten, die die Hüte fertigen und die Rüstmeisterei, die für Dolche und Schwerter zuständig ist. Auch das Team der Maskenbildner arbeitet sehr eng mit uns zusammen.“

Schritt für Schritt etwas Neues entstehen zu lassen, das sei das Interessante an ihrer Aufgabe, schwärmt Radecky: „Wir sind quasi die letzten, die an den Darstellern arbeiten, bevor diese auf die Bühne gehen. Wir müssen ein hohes Maß Menschenkenntnis mitbringen. Das ist spannend, weil sich diese Kompetenz mit den Jahren immer weiter verfeinert.“

Kostümabteilung in Erl aufgebaut

Gelernt hat Radecky ihr Grundhandwerk an der Bayerischen Staatsoper, wo sie auch ihren heutigen Ehemann Michael, einen Opernsänger, kennen gelernt hat. Ab 1998 hat sie als freischaffende Kostümbildnerin an verschiedenen Häusern gearbeitet – unter anderem für Produktionen am Staatstheater Saarbrücken, am Staatstheater Hannover, am Landestheater Linz sowie an einigen Theaterhäusern in der Schweiz.

Im Jahr 2001 hat für Radecky eine aufregende Ära in Tirol begonnen. Zunächst als freie Kostümbilderin bei den Tiroler Festspielen in Erl. Drei Jahre später hat Festspielgründer Gustav Kuhn ihr angeboten, eine Struktur für eine fixe Kostümabteilung aufzubauen. „Wir haben ein Pilotprojekt gestartet, ein Jahr danach war unsere Kostümmanufaktur der Tiroler Festspiele eine fixe Abteilung. In den Anfangsjahren haben wir auch noch für andere Häuser produziert. Wir waren eine kleine, sechsköpfige Abteilung, die von Erl aus gearbeitet hat. Eine spannende Zeit.“

Kostümabteilung in Bregenz in neuem Gewand

Vergangenes Jahr ist dann der Anruf aus Bregenz gekommen. Das Team der Bregenzer Festspiele sei mit dem Wunsch an sie herangetreten, die Kostümabteilung ähnlich dem Erler Modell auf neue Beine zu stellen: „Ich habe also mein Erler Team als meine Nachfolger eingesetzt und bin nach Bregenz gegangen. Hier soll ich die Struktur der Kostümabteilung komplett umkrempeln.“

Zunächst gilt es auszuloten, was überhaupt möglich ist, wie es in Bregenz funktionieren könnte. „Fest steht, es soll ebenfalls eine fixe, ganzjährig aktive Abteilung entstehen“, erklärt die Kostümbildnerin. „Meine Vorgängerin war lediglich für die Sommermonate in Vorarlberg und hat saisonal gearbeitet. Jetzt gibt es den Wunsch seitens der Festspiele, das auf das ganze Jahr auszuweiten. Und nach alldem, was ich bis jetzt gesehen habe, bin ich mir sicher, dass es möglich ist“, ist die neue Abteilungsleiterin überzeugt. „Bis jetzt geht auch alles auf, was wir berechnet und ausgedacht haben.“

Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen

Radecky freut sich sehr auf diese Aufgabe und ihr Tatendrang stößt in Bregenz auf fruchtbaren Boden. „Die Unterstützung und die Bereitschaft, sich auf etwas Neues einzulassen, sind großartig. Ich habe ein ganz tolles Kernteam in Bregenz vorgefunden, insgesamt sind es 16 Mitarbeiterinnen und ein Mitarbeiter. Ich habe dazu noch Glück, denn mit Janina Kobinger steht mir eine tolle Geschäftspartnerin zur Seite. Sie ist Gewandmeisterin und hat in Dresden studiert – dort, wo übrigens auch meine Urgroßmutter studiert hat. Hier schließt sich ein Kreis. Und die Schneiderinnen aus Dresden können einfach etwas“, lobt sie. „Wir haben uns jedenfalls von Beginn an blind verstanden. Deshalb ist mir der Anfang hier bei den Bregenzer Festspielen auch sehr leicht gefallen.“

Materialsuche auf der ganzen Welt

Generell kommen ihr Aufbruchssituationen wie diese sehr entgegen. Radecky ist es gewohnt, Dinge neu zu erfinden: „Damit sind wir in der Kostümabteilung regelmäßig konfrontiert. Und es gibt da wirklich nichts, was es nicht gibt. Das müssen wir einfach können – neue Kombinationen schaffen, kreativ sein und von allen Seiten her denken.“

Wie bei vielen anderen Produktionen auch, übersetzen bei „Rigoletto“ und „Don Quichotte“ die jeweiligen Kostümbildner anhand ihrer Skizzen das, was die Regisseure auf der Bühne erzählen wollen. „Und wir setzen das dann um“, ergänzt Radecky. Einer der wichtigsten Prozesse für ihr Team sei die „Musterung, bei der wir weltweit – persönlich wie auch online – auf Materialsuche gehen. Das braucht Zeit, Nerven und Energie. Gerade auch in Vorarlberg, wo es nicht an jeder Ecke Geschäfte gibt, in denen wir für uns geeignete Stoffe und Materialien finden.“

140 aufwändig gestaltete Kostüme

Sind alle Materialien gefunden, erfolgt die feinere Zuteilung, sprich: Es wird entschieden, mit welchen Stoffen die Details der Kostüme gefertigt werden. „Tatsächlich kleiden wir die Darsteller von Kopf bis Fuß ein und von außen nach innen bis hin zur Unterwäsche. Wir kümmern uns um alles“, schmunzelt die Kostümbildnerin.

Heuer ist ihre Abteilung für insgesamt 140 Einzelstücke zuständig: „Nicht ganz so viele wie bei Carmen in der vergangenen Saison, dafür aber besonders aufwändig. Es sind nämlich sehr viele individuell gestaltete Kostüme im Einsatz, keine Massen.“

Wodka für den Frischekick

Einige Akrobaten benötigen bei jeder Vorstellung sogar zwei bis drei verschiedene Kostüme. Und nicht nur diese Darsteller kommen auf der Bühne ganz ordentlich ins Schwitzen, auch für die Sänger sind einzelne Szenen wahre Kraftakte. Um die Kostüme für den nächsten Auftritt wieder frisch zu bekommen, haben die Kostümbildner so ihre Tricks: „Wir sprühen die Kostüme mit Wodka ein, weil er Schweiß und Gerüche aus den Kleidern zieht. Dieses alte Hausmittelchen verwenden wir im Kostümwesen sogar sehr gerne, vor allem auch weil Wodka geruchlos ist", verrät Lenka Radecky.

"Wir nutzen den Wodka verdünnt bis pur, je nachdem in welcher Intensität wie wir ihn brauchen“, schmunzelt sie. „Der aufgesprühte Wodka hält uns jedenfalls die Kostüme frisch! Wenn es zusätzlich noch die Möglichkeit gibt, die Kleidungsstücke an die Sonne zu hängen, dann haben wir doppeltes Glück: dann ist es fast so, als würden die Kostüme aus der Reinigung zurückkommen.“

Zirkuswelt der 30er-Jahre

Allein schon was die Kostüme betrifft, ist „Rigoletto“ in Bregenz besonders „zauberhaft“, schwärmt Radecky: „Es ist eine Produktion, die sich in einer Zirkuswelt der 30er-Jahre abspielt. Mit äußerst wundersamen Gesellen, die da über die Bühne schweifen. Traumhaft!“ Und um diesem Zauber das passende Aussehen zu verleihen, muss Radecky mit ihrem Wissen der jeweiligen Kostümdesignerin (für „Rigoletto“ verantwortlich ist Kathi Maurer) zur Hand gehen und Lösungen vorschlagen. „Da gibt es verschiedene Techniken, die man anbieten kann, mitunter auch mit unkonventionellen Materialien.“

Rigoletto in Coco Chanel

Radecky hat beispielsweise maßgeblich zum Kostüm der Hauptfigur – „Rigoletto“ – beigetragen: „Ich habe vorgeschlagen, für sein Kostüm eine Technik aus den 30er-Jahren zu verwenden, die von Coco Chanel für das Ballets Russes in Paris entwickelt worden ist: eine Art Jersey, der zu damaligen Zeiten wie ein Strick ausgesehen hat. Die Schneider hatten damals natürlich noch nicht die Maschinen, die das so fein fertigen konnten wie heute unsere Poloshirts. Diese Art Stoff ist erst kurz zuvor, nämlich 1908, in England erfunden worden. Die pfiffige Coco Chanel hat sich dieser Grundtechnik bedient und es in Ballettkostüme umgewandelt. Ich habe vorgeschlagen, das doch einmal für Rigoletto auszuprobieren. Und es hat funktioniert!“

Hauptfigur „Rigoletto“ schwebt mit einem Ballon über die Bregenzer Seebühne
Bregenzer Festspiele/Karl Forster
Die Hauptfigur „Rigoletto“ trägt in Bregenz ein Kostüm à la „Coco Chanel“

Umstände der Zeit in Stoffen einfangen

Der Stoff sollte der Vorgabe nach nämlich so aussehen, als ob sich die Gesellen aus dem Zirkus die Kostüme in ihren Waggons selbst genäht hätten. „Dort hatte man ja nicht die Möglichkeit, richtig zu waschen“, weiß die Kostümbildnerin aufgrund ihrer Recherchen. „Die Kleider haben zwar gepflegt ausgesehen, aber mit jenen Spuren, die die damaligen Umstände eben hinterlassen haben. Dieses Gefühl zu vermitteln, ist die große Herausforderung.“

Bühne ohne Dach

Dazu kommen noch jene Herausforderungen, die es eben speziell auf der Bregenzer Seebühne zu bewältigen gilt: die riesige Distanz zwischen Bühne und Publikum beispielsweise, das Wetter, das besondere Licht und vieles mehr. Das war für Radecky eine große Umstellung: „Ich bin Häuser gewohnt, die ein Dach drüber haben“, lacht sie. „Ich habe zunächst sogar den Sonnenschutz für mich vergessen, weil wir ja sonst nie so viel im Freien gearbeitet haben. Und ich habe gemerkt: hier läuft mit hohen Absätzen an den Schuhen gar nichts. In diese Gegebenheit musste ich erst reinwachsen. Es war mir natürlich theoretisch klar, aber praktisch lange nicht.“

Sie habe übrigens nur ein müdes Lächeln der angestammten Crew erhalten, als sie zu Beginn einmal gefragt habe, ob wegen des einsetzenden Regens jetzt nicht abgebrochen werden müsste. „Da muss man in Bregenz einfach ein bisschen sportlicher denken.“

Die Leiterin der Kostümabteilung bei den Bregenzer Festspielen, Lenka Radecky, sitzt vor der Seebühne der Bregenzer Festspiele 2019
ORF Vorarlberg/Angelika Schwarz

Ein Festival für die Bevölkerung

Und noch etwas hat Radecky neu für sich entdeckt: nämlich dass eine Bühne ganz eng mit der Umgebung und den Menschen verbunden sein kann. „Ich habe gelernt, dass es ein Festival der hiesigen Bevölkerung ist, die sich damit tatsächlich identifiziert. Ich habe mich kürzlich einfach so als Touristin auf die Bühne gesetzt und nur zugehört, was über die Festspiele, die Inszenierungen und über das Bühnenbild gesprochen wird. Da wurde richtig gefachsimpelt, gelobt, kritisiert und verglichen. Toll. Die Menschen sprechen über Oper! Da wird einem bewusst, was ein Kulturauftrag ist.“

Wert in die Welt tragen

Radecky ist der Ansicht, dass dieser kulturelle Wert, den sie hier erfahren hat, ruhig noch ein bisschen mehr in die Welt hinausgetragen werden könnte: „Ein wenig mehr Stolz zeigen, wäre kein Schaden. Finde ich. Da war ich schon ein bisschen irritiert in den ersten drei Monaten.“ Die neue Leiterin der Kostümabteilung in Bregenz liebt zwar die Ehrlichkeit und die direkte Art der Menschen in ihrer neuen Heimat. „Das hat etwas Erfrischendes und ist mir tausendfach lieber als falscher Hochmut.“ Aber manchmal sei ihr das Glas in Vorarlberg doch ein wenig zu sehr „halb leer“. „Wo es doch mindestens halb voll sein könnte! Wir leben im Herzen Europas an einem so wunderbaren See. Da darf man sich doch auch darüber freuen und es als etwas Positives in die Welt hinausrufen.“