Szene aus „Rigoletto“
Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
Spiel auf dem See

Rigoletto lässt die Puppe tanzen

Mit der Premiere von Giuseppe Verdis „Rigoletto“ haben am Mittwoch die Bregenzer Festspiele begonnen. Die Inszenierung von Regisseur Philipp Stölzl verlegt das höfische Melodram in den Zirkus und stellt einen Puppenkopf auf den See, der mehr ist als bloße Effekthascherei. Eine ordentliche Portion Horrorfilm-Flair und viel Akrobatik stoßen am Premierenabend in Bregenz schon früh auf Szenenapplaus.

Stölzl ist ganz offensichtlich mit einer großen Idee nach Bregenz gekommen: Der 13 Meter hohe und 35 Tonnen schwere Kopf, der hier über Monate aufgebaut wurde, ist das Gegenteil von minimalistischem Understatement. Auf dem darunterliegenden Kragen ist genug Platz für das gesamte Ensemble, eine der zwei Hände auf der Bühne ist voll beweglich, die andere hält einen Heißluftballon, der fliegen kann – und im Verlauf des Abends auch wird.

Weil es in Bregenz aufgrund der Eigenart der Bühne keinen Vorhang gibt, spielt Stölzl gleich bewusst mit dem Anfang seiner Inszenierung: nicht nur, dass schon vor dem Festspielhaus die Zirkustruppe, die wenig später auf der Bühne stehen wird, „La donna e mobile“ zum Besten gibt. Auch der Hinweis, dass das Handy lautlos geschaltet werden soll, wird zur Selfie-Gelegenheit mit Borsa-Darsteller Paul Schweinester umfunktioniert, der aus einer Klappe auf der Oberseite des Puppenkopfes steigt.

Szene aus „Rigoletto“
Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Ohne Augäpfel bietet der Puppenkopf eine „Loge“

Erst dann heißt es „Manege frei“ – und Stölzl spart schon in den ersten Minuten nicht mit Pomp: Schauspieler, die ins Wasser fallen, Feuer auf der Bühne, Räder, die über einen schmalen Steg über den See geschlagen werden. Dass das Geschehen vom Hof in den Zirkus wandert, spiegelt sich vor allem in der Farbenpracht der ersten Minuten wider – schon zu diesem Zeitpunkt hat Stölzl das Publikum auf seiner Seite.

Eine Oper zwischen Macho-Gehabe und „#MeToo“

„Rigoletto“, einst Wegbereiter für Verdis Ruhm, gehört zum Repertoire zahlreicher Opernhäuser und ist wohl eine der bekanntesten Opern überhaupt. In dem in Bregenz rund zwei Stunden dauernden Werk dreht sich alles um die Liebe, aber wenig um Romantik: Der Herzog von Mantua, hier in Gestalt des Zirkusdirektors (Stephen Costello), wechselt Frauen wie andere Menschen Unterwäsche, sein Hofnarr – oder Clown – Rigoletto (Vladimir Stoyajov) unterstützt ihn bei seinen moralisch fragwürdigen Vorhaben.

Ein Fluch, der deshalb für die beiden ausgesprochen wird, entpuppt sich vor allem für Rigoletto als verhängnisvoll. Als dessen von der Außenwelt praktisch abgeschottete Tochter Gilda (Melissa Petit) – nicht zuletzt, um sie vor den Männern zu schützen – auf den Charme des Herzogs hereinfällt, entwickelt sich die Oper zur Tragödie, die Gilda am Ende das Leben kostet. Dass der mächtige Herzog ungestraft davonkommt, ist trotz des Alters der Oper, die 1851 uraufgeführt wurde, in der „#MeToo“-Ära unverändert aktuell.

Oper mit „Nahaufnahmen“

Während die von den Wiener Symphonikern begleitete Oper musikalisch allen Erwartungen gerecht wird (musikalische Leitung: Enrique Mazzola), tobt sich der deutsche Regisseur auf der Bildebene umso mehr aus. Dass Verdi in seiner Oper einmal die ganze höfische Gesellschaft auftreten lässt, in der nächsten Szene aber zum Dialog wechselt, lässt die Größenverhältnisse zur Herausforderung werden – insbesondere dann, wenn das Publikum durch den See ohnedies verhältnismäßig weit vom Geschehen entfernt ist.

Szene aus „Rigoletto“
Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Die überdimensionale Hand ist voll beweglich

So kommt dem Puppenkopf eine wesentliche Funktion zu: Ist er in großen Szenen in erster Linie Bühne, so dient er in den kammerspielartigen Momenten als „Nahaufnahme“ von Rigoletto. Die beweglichen Augen und der sich öffnende Mund machen die Gefühlswelt der Figur auch in der letzten Reihe sichtbar.

Das ist ein geschickter Kunstgriff, der sich wohl aus Stölzls Lebenslauf ableitet – denn der Regisseur kommt ursprünglich vom Film. Wer um die Jahrtausendwende MTV geschaut hat, kennt die Arbeit des Deutschen wahrscheinlich sehr gut: Er führte bei zahlreichen Musikvideos Regie, egal ob Rammstein („Du Hast“, „Du Riechst So Gut“), Evanescences Grufti-Hymne „Bring Me To Life“, das Video zum Bond-Titelsong „The World Is Not Enough“ und gar Madonnas „American Pie“.

Szene aus „Rigoletto“
Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
Inszenierung inklusive Ballon

Augen raus, Nase ab

Deshalb ist Stölzls gemeinsam mit Heike Vollmer gebaute Bühne natürlich nicht nur ein schlaues Erzählelement – sondern sehr wohl auch tonnenschwere Bildgewalt. An einer Stelle wird dem Puppenkopf die Nase abgeschlagen, ein anderes Mal kullern riesige Augäpfel über die Bühne. Dass die Hand einmal den Mittelfinger zeigt, gehört für jemanden, der die MTV-Generation mitgeprägt hat, wohl einfach dazu.

Hinzu kommt, dass viele Szenen zum stimmigen Wimmelbild werden: Selten spielt die Handlung nur auf einer einzigen Ebene, oft zahlt es sich aus, mit den Blicken kurz abzuschweifen, um ein Detail an anderer Stelle ausmachen zu können. Abgerundet wird die Optik durch stimmiges Licht, das die Bühne einmal tiefrot einfärbt, einmal ein Gewitter so täuschend echt simuliert, das im Publikum kurz Unsicherheit herrscht, ob das Wetter vielleicht doch kurzfristig gedreht hat.

Ganz ohne Preis ist das mechanische Schwergewicht auf dem See jedoch nicht. Gerade in ruhigen Szenen ist das Motorengeräusch doch deutlich wahrnehmbar – selbst im Hintergrund der durch zig Lautsprecher verstärkten Akustik. Wenn im Zuge der Entführung Gildas aber die Darstellerin von einem fliegenden Heißluftballon in einen Augapfel des Puppenkopfs abgeseilt wird, ist das kein alltäglicher Anblick und damit die zusätzliche Geräuschkulisse wert – dem Regisseur gibt wohl auch der Szenenapplaus des Publikums recht.

Hinweis

„Rigoletto“ ist bei den Bregenzer Festspielen täglich außer Montag bis 18. August zu sehen. ORF2 überträgt die Oper am 19. Juli um 21.15 Uhr live.

MTV trifft Oper

Und: Natürlich rückt die Bühne die Leistung der Darstellerinnen und Darsteller in den Hintergrund. Dem Applaus tut das am Premierenabend jedoch keinen Abbruch. Am lautesten wird Petit für ihre stimmliche Leistung als Gilda bejubelt, auch Stoyanov und Costello wurden im Effektgewitter offenbar nicht überhört und mit Beifall bedacht.

Ein bisschen MTV schadet der Oper offenbar überhaupt nicht – ganz im Gegenteil: Stölzl kümmert sich erfrischend wenig um Konvention. Das Ergebnis ist eine äußerst zugängliche „Rigoletto“-Fassung, die allein durch ihre Bildgewalt eine Einführung eigentlich überflüssig macht – und damit dem Musikvideo wohl nicht so unähnlich ist.