Premiere „Wunderwandelwelt“ bei den Bregenzer Festspielen
©anja koehler | andereart.de
Bregenzer Festspiele

„Wunderwandelwelt“ – Fantastische Parallelwelt

Mit der Uraufführung „Wunderwandelwelt“ gehen die 74. Bregenzer Festspiele zu Ende. Autor, Komponist, Bühnenbilder und Filmemacher in einer Person ist dabei der Multikünstler Francois Sarhan.

Er sitzt an einem alptraumhaft steil nach oben ragenden Schreibtisch und plaudert mit seinem Alter Ego auf einer Leinwand darüber, was an diesem Abend in der Wunderwandelwelt alles geschehen wird: François Sarhan breitet einen Kosmos aus historischer Realität (Prager Frühling, Londoner Terroranschläge Juli 2009), fiktiven Erzählungen (der arrogante Manager Bobok, der verrückte Professor Glaçon) und seltsamen enzyklopädischen Einträgen aus: Klangtüftler lassen mit einem Likör Instrumente so klingen, wie sie vor Jahrhunderten tönten. Herr und Frau Tournesol schaffen eine zahlenbasierte Irrsinnsmusik. Es gibt den rhythmisch hinreißenden Pilastro Pipironiro und eine sehr elegante Dame (Janina Ahh), die über die Transzendenz von Flip Flops philosophiert. Auf der Leinwand spielt sich unterdessen eine Art Krimi ab. Es geht um einen Koffer, der in alle möglichen Hände gerät, es geht um Erpressung und Mord und einige nicht eben intelligente Männer.

Premiere „Wunderwandelwelt“ bei den Bregenzer Festspielen
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Sarhan führt als Erzähler durch all diese Geschichten, verschlauft sie lose ineinander, während seine beiden musikalischen Ensembles sich mit atemberaubender Sicherheit durch die Genres bewegen. Da gibt es einerseits das zehnköpfige „Ensemble Phace“, das sich als Rockband ebenso bewährt wie im romantisch-symphonischen Schönklang – etwa wenn zu einem langen Streifzug durch Prag plötzlich die Panzer aus dem Jahr 1968 auffahren. Und es gibt vis à vis das von Sarhan gegründete Ensemble „Something Out There“.

„We creative, let’s unite in the world"

“We creative, let’s unite in the world!" singen die sechs von “Something Out There" zur Melodie von “Die Arbeiter von Wien“. Um sich umgehend in eine Percussion-Group der Sonderklasse zu verwandeln. Er wolle ein Fresko zeigen, sagt Sarhan, eine unendliche Geschichte, so endlos wie die Soap operas. Nur eben wilder, freier und begleitet von einem Ästhetik-Essay. Sarhan kombiniert Versatzstücke aus seinen älteren Shows zu einem Best of, das es in sich hat. Er sucht Analogien zwischen den Musiken und Geschichten, und wer durch seinen Kosmos wandelt, ist gefordert! Mitdenken, mitspringen, mitempfinden – dann stellt sich der Zauber ein.

Premiere „Wunderwandelwelt“ bei den Bregenzer Festspielen
©anja koehler | andereart.de

Nach etwa eineinhalb Stunden hält es das Publikum nicht länger auf den Kartonsesseln. Leise, mit gespitzten Ohren erkunden die ZuschauerInnen die Wunderwandeltwelt, denn jetzt ist klar: Niemand kann diese Welt ganz erfassen, es geht darum, Fragmente aufzunehmen und sie selber zu kombinieren. Vielleicht das unendlich filigrane Rhythmusspiel von Jennifer Torrence und Adam Rosenblatt mit den Klangräumen des Gitarristen Samuel Toro Perez? Oder die stupende Vielseitigkeit der Geigerin Sophia Goidinger-Koch mit den expressionistischen Filmsequenzen ? Und welche Rolle spielt Edgar Allan Poe in dieser Welt? Warum hat Adorno recht?

Vielleicht fährt man als ZuschauerIn am besten mit Verspieltheit und Humor, denn Sarhan sitzt der Schalk im Nacken. Ein-Sekunden-Songs für alle Lebenslagen lässt er performen und betont sehr ernst, die ließen sich auch zu Zwölf-Stunden-Songs ausbauen, bittet Primož Sukicˇ zu einer schweißtreibenden Demonstration. Und während das Publikum noch lacht und sich amüsiert, erklingt minimal music – endlos variabel wie Sarhans „Wunderwandelwelt“.