„La donna e mobile“, „Caro nome“ und „Bella figlia dell’amore“ aus der Feder von Giuseppe Verdis „Rigoletto“ gehören zu den bekanntesten Melodien der Musikgeschichte. Weltweit eine der meistgespielten Opern wird sie auch in Bregenz einem Massenpublikum gezeigt, allein für heuer werden über 200.000 Zuschauerinnen und Zuschauer erwartet.
Wenig an der Inszenierung von 2019 hat sich verändert – so auch nicht Stölzls Idee, das Publikum nicht erst mit Vorstellungsbeginn, sondern schon während des Einlasses in die mit Patina überzogene Zirkuswelt zu lotsen, in der er seinen „Rigoletto“ angesiedelt hat. Die Verortung ist stimmig – dass der Herzog von Mantua zum Zirkusdirektor, Rigoletto zu seinem Clown wird, braucht keine weiteren Erklärungen.
Triggerwarnung für Menschen mit Coulrophobie
Für massig Spielmöglichkeiten im Artisten-Tiere-Attraktionen-Universum sorgt ohnehin der bereits angesprochene 13 Meter hohe und 35 Tonnen schwere Kopf, den Stölzl gemeinsam mit Bühnenbildnerin Heike Vollmer kreierte. Was Menschen mit Angst vor Clowns (Coulrophobie) möglicherweise zittern lässt, gibt eine großartige Bühne ab: Ein breiter bespielbarer Kragen, zwei riesige Hände und ein Gasballon bieten zusätzliche Auftrittsmöglichkeiten, die der Regisseur, wie auch den See, ausführlichst nutzt.
Hinweis
„Rigoletto“ ist bei den Bregenzer Festspielen bis 22. August noch 27-mal auf der Seebühne (bei Schlechtwetter im Festspielhaus) zu sehen. Einen Blick hinter die Kulissen gibt die Dokumentation „Rigoletto – Zirkusspektakel am Bodensee“, die am Sonntag um 9.05 Uhr in „matinee“ in ORF2 zu sehen ist.
Als wäre der Aufbau nicht eindrucksvoll genug, sind die einzelnen Teile dank hydraulischer Pumpen hochgradig beweglich – und während der zweistündigen Aufführung auch permanent in Verwandlung: Der Kopf blinzelt, nickt und dreht sich, fährt in die Höhe und senkt sich in den See.
Musikvideo-Background hilft
Der Regisseur, der neben Opern auch Spielfilme („Nordwand“, „Der Medicus“), Werbung und Musikvideos (unter anderem für Rammstein und Madonna) inszeniert, nutzt diese Funktionalität recht gezielt: Weil die intimen Szenen – gar nicht so wenige im ganzen Stück – auf der großen Bühne leicht verloren gehen könnten, nutzt er den Clownskopf quasi als Brennglas für Rigolettos Emotionen.
Die Bandbreite davon ist bei Verdi groß: Rigoletto genießt mit seinen Scherzen in und um die Manege Narrenfreiheit – und macht sich gern auch über die Ausschweifungen des Herzogs lustig. Weil dieser aber Rigolettos Tochter Gilda nachstellt, ist der Spaß für Rigoletto trotzdem enden wollend. Um sie vor den Übergriffen in Sicherheit zu bringen, sperrt er sie erfolglos weg: Gilda wird ent- und verführt. Rigolettos Racheplan scheitert – der Auftragsmörder Sparafucile tötet nicht den Herzog, sondern Gilda.
Und so verwandelt sich auch das freundliche Clownsgesicht nach und nach, weint ganze Wasserfälle und wird zu einer bedrohlichen Totenmaske – mit leeren Augenhöhlen und abgeschlagener Nase.
Hohe Töne in großer Höhe
Während die Bühne somit dem Ensemble quasi permanent die Show stiehlt, leistet dieses – gemeinsam mit dem Technikteam der Festspiele – auf den kaum irgendwo waagrechten Bühnenbrettern im See Enormes. Bariton Vladimir Stoyanov überzeugte als routinierter Rigoletto, Long Long mit facettenreichem Tenor als Herzog, der Arien selbst auf dem schwindelerregend hohen Scheitel des Bühnenkopfs stehend meistert. Ekaterina Sadovnikova lieferte eine Gilda, die mit ihrem Sopran in jede Höhe führte – und das selbst halb aus einem 15 Meter hohen Gasballon hängend.
Die erste Frau am Pult
Für die musikalische Leitung war am Premierenabend erstmals in der Seebühnengeschichte eine Frau verantwortlich: Die Britin Julia Jones führte die aus dem Festspielhaus ins Freie übertragenen Wiener Symphoniker sicher und auf dem Punkt.
Wie schon 2020 sind der Prager Philharmonische Chor und der Bregenzer Festspielchor wieder im Einsatz. Als musikalische Ergänzung wählte Stölzl zudem den Einsatz zweier Blasmusik-Bandas – von denen eine fix beim Orchester platziert ist, die andere im Zuschauerraum und auf der Bühne stilgerecht die Zirkusmusik zum Klingen bringt.
Jetzt schon eine Ikone
Das Publikum auf der vollbesetzten 7.000-Plätze-Tribüne feierte die Leistungen aller Beteiligten am Premierenabend mit Begeisterung. 27 weitere Aufführungen werden folgen, bevor dieser „Rigoletto“ nun nach zwei Saisonen und einer Pandemiepause abgespielt ist. Und am Ende der Saison wird sich der Clownskopf einreihen in die vielen vergangenen Bodenseebühnenbilder, die sich ins Gedächtnis eingebrannt haben – wie das „Tosca“-Auge und die Karten der „Carmen“.
Mit dem Ende des Clowns beginnt jedenfalls die Ära des Schmetterlings: Die eigentlich für 2021 angekündigte und nun ebenfalls um ein Jahr verschobene „Madame Butterfly“ wird die nächste Seeoper in Bregenz werden.