Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat am Mittwoch in seiner gewohnt launigen Art die 75. Bregenzer Festspiele eröffnet. Die Festgäste spendeten wiederholt großen Applaus, gerade auch für sein Verhalten hinsichtlich des „Ibiza“-Untersuchungsausschusses. Den künstlerischen Auftakt des Festivals – das unter „3G-Bedingungen“ stattfindet – bildet am Abend die Premiere von Arrigo Boitos „Nero“ im Festspielhaus. Bis 22. August gibt es insgesamt 80 Veranstaltungen zu sehen.
Als Predigt angekündigte Ansprache
Wie bereits 2019 machte der Bundespräsident die Kunst nur am Rande seiner in der Anmoderation als „Predigt“ angekündigten Ansprache zum Inhalt seiner Rede. Vielmehr sprach er nach vielen Monaten der Pandemie („Lassen Sie uns gemeinsam hoffen, dass wir das Gröbste hinter uns haben“) über Zusammenhalt, Gleichberechtigung, den respektlosen Umgang mancher Politiker mit den Institutionen des Staates und – ebenfalls wie 2019 – über die Klimakrise. Es tue gut, wenn er nun wieder persönlich durch Österreich reisen und das eine oder andere im persönlichen Kontakt mit den Menschen besprechen könne, sagte das Staatsoberhaupt. Es gebe doch einiges, was man direkt aus dem Mund der Menschen hören sollte.
Van der Bellen: „Pandemie hat an vielen Frauen gezehrt“
Die Pandemie habe an vielen Frauen „wirklich gezehrt“, Betreuungsarbeit und Homeschooling seien im Wesentlichen an den Frauen hängen geblieben. „Das sollten wir nicht hinnehmen. Es braucht eine Änderung in den Köpfen aller und den Geldbörsen der Frauen“, stellte Van der Bellen fest. Er verstehe nicht, warum man es Frauen möglichst schwer mache, Chancen auf dem Arbeitsmarkt wahrzunehmen. In Sachen Politik sagte der Bundespräsident – ohne konkret zu werden, aber ganz offensichtlich in Anspielung auf den Untersuchungsausschuss zum Ibiza-Video bzw. auf das Verhalten von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) –, dass die Leute sehr unzufrieden seien, wie mit den Institutionen des Staates umgegangen werde, insbesondere mit der Verfassung. Er sei selbst erstaunt gewesen, „dass mich ein über 100 Jahre alter Artikel der Verfassung zu Tätigkeiten veranlasst hat“, so Van der Bellen.
Klimakrise bereitet Van der Bellen Sorge
Am meisten Sorge bereite aber die Klimakrise mit all den schrecklichen Hitze- und Überflutungsbildern der vergangenen Wochen. „Wir müssen uns Sorgen machen. […] Zu den Menschenpflichten gehört es, finde ich, unser Haus den nächsten Generationen in Ordnung zu übergeben“, unterstrich der Präsident. Man dürfe aber nicht in einen Fatalismus verfallen oder allzu pessimistisch werden, „wir wissen schon, dass wir das Zeug haben, mit Krisen fertig zu werden“. Es müsse aber jeder das Seine beitragen, und: „Wir werden unsere Lebensweise umstellen müssen.“ Die Ziele seien definiert, er wolle aber Maßnahmen sehen. „Wir müssen schneller ins Tun zu kommen, das schaffen wir auch“, so Van der Bellen. Die Bregenzer Festspiele, denen er zum 75. Geburtstag gratulierte, würdigte er als „das“ Festival der Zweiten Republik, das das Kulturverständnis der Republik widerspiegle.
„Immer etwas Besonderes“
Festspielpräsident Hans-Peter Metzler war als Erster ans Rednerpult getreten und hatte Eröffnungen als „immer etwas Besonderes“ bezeichnet – gerade in der aktuellen Zeit. Im Zentrum seiner Gedanken stand das 75-Jahr-Jubiläum des Festivals. „Aber 75 Jahre Bregenzer Festspiele heißt auch, 75 Jahre wissen wir, was wir tun, was wir wollen und was wir können“, so Metzler. 75 Jahre Bregenzer Festspiele bedeuteten 75 Jahre „ein höchst engagiertes Abenteuer“. Die Bregenzer Festspiele bedienten das Grundbedürfnis des Menschen nach künstlerischer Erfahrung, sowohl in der Ausübung als auch im Genießen. Dabei verwies er auch auf das verbriefte Recht auf Kunst und Kultur in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“. Kultur bleibe sinnvoll, zweckvoll, brauchbar, ja unverzichtbar, unterstrich der Festspielpräsident.
Er wolle im Hinblick auf das 75-jährige Bestehen nicht das Heute mit dem Damals vergleichen. Aber er könne nachvollziehen, was vielleicht unbewusst in den Köpfen der Festspielgründer vorgegangen sei, sagte Metzler. Die damaligen Proponenten hätten scheinbar Unmögliches geschaffen, dazu müsse vieles zusammenkommen. „In einem Wort: Engagement. Auch von Seiten der Politik, von Sponsoren und von Ihnen, unserem geschätzten Publikum“, betonte der Festspielpräsident. Es gehe auch um die nächsten 25 Jahre. „Wir sind vernünftig und verantwortungsvoll, weil wir heute zu ‚Unvernünftigem‘ stehen, uns dazu bekennen: Ja, wir wollen Festspiele!“, so Metzler.
„Wir brauchen das Schöne…“
Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) unterstrich in ihrer Ansprache ebenso die Bedeutung von Kunst und Kultur. „Wir brauchen das Schöne, das Menschliche, den Widerspruch, die Reibung, das Verblüffende, die Fantasie, den kritischen Blick. Ohne Kunst können wir überleben, aber unser Menschsein kann das nicht“, stellte sie fest. Aus der Seebühnen-Produktion „Rigoletto“ zitierte sie den Herzog von Mantua: „Ohne Freiheit gibt es keine Liebe.“ In den vergangenen eineinhalb Jahren seien wir nicht frei gewesen, „manche wissen erst jetzt, was wir verloren hatten“, so die Staatssekretärin. Ohne Freiheit aber gebe es die Kunst nicht.
Die Bregenzer Festspiele symbolisierten, „was das Beste an unserem Land, an Österreich ausmacht“, sagte Mayer. Die Gründung vor 75 Jahren sei ein Signal für die Loslösung von den dunklen Zeiten des Nationalsozialismus gewesen, die Abwendung vom „Ende der Kultur“ hin zur Wiedergewinnung von Frohsinn und Glück. Eingebettet in die Weite des Sees eröffne die Bregenzer Seebühne die große Perspektive.
Zusammenarbeit mit den Wiener Symphonikern gelobt
Besonders erwähnt wurde von Metzler und Mayer die Zusammenarbeit der Festspiele mit den Wiener Symphonikern, die seit Anbeginn der Festspiele 1946 Bestand hat. Diese könnten sich zu einem Sechstel auch „Bregenzer Symphoniker nennen, verlegen sie doch in den Sommermonaten neben ihrem musikalischen Engagement auch die gesamte Verwaltung aus dem Wiener Stadtbüro an den See“, fand die Staatssekretärin, die von einem Zwischenapplaus für die Symphoniker unterbrochen wurde. Metzler betonte, dass die Symphoniker die 1946 in die Bundeshauptstadt geschlagene Brücke „von Anfang an tatkräftig mit hohem Engagement […] mitgestaltet und mitgebaut haben“.
80 Kulturveranstaltungen in diesem Festspielsommer
Nach einjähriger Corona-Pause – und entsprechenden Einbußen auf der Einnahmenseite – zeigten sich die Festspiel-Verantwortlichen im Vorfeld der Eröffnung sehr zufrieden mit dem Ticket-Absatz. Insgesamt stehen 80 Veranstaltungen auf dem Programm, für die 212.000 Karten aufgelegt wurden. Mindestens 85 Prozent der Tickets waren zu Festspiel-Beginn bereits gebucht. Für die 28 Aufführungen von Giuseppe Verdis „Rigoletto“ auf der Seebühne gelangten 192.000 Karten in den Verkauf. Die „Rigoletto“-Premiere wird am Donnerstagabend gefeiert.