Birgit Minichmayr
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Großer Preis für „bockige“ Minichmayr

Mit der Verleihung des Großen Schauspielpreises an Birgit Minichmayr ist die Diagonale 2019 am Dienstagabend in der Grazer Helmut-List-Halle eröffnet worden. Die Ausgezeichnete bekannte sich dazu, „sehr bockig“ zu sein, zeigte sich aber überaus gerührt.

Gerührt wurde sie von den Worten der Schauspielerin Johanna Orsini-Rosenberg und der Regisseurin Veronika Franz, die zusammen im Namen der Jury die Laudatio hielten. Franz erzählte die launige Geschichte, wie Minichmayr eine bezahlte Hauptrolle bei ihr abgelehnt, später aber eine unbezahlte, undankbare Nebenrolle angenommen hatte.

Allenthalben wurde mit Superlativen und Komplimenten nicht gespart. Sie sei stets „da und wahr“, es gebe kaum jemanden, komme welche Rolle auch wolle, der stets so authentisch agiere wie sie. In „Knochenmann“ habe sie in eine winzige Geste, ein einzelnes Räuspern, so viel Gefühl gelegt, sie habe damit so viel erzählt, dass sie „tiefste Empathie“ ausgelöst habe. Dann wurden noch überschäumende Grußworte von Regisseurin Barbara Albert und Kameramann Martin Gschlacht verlesen.

Ashley Hans Scheirl und Birgit Minichmayr
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Ashley Hans Scheirl (l.) schuf den Preis für Minichmayr: Symbolische „Eier“

Minichmayrs „hoffnungsvolle Utopie“

Augenzwinkernd und mit belegter Stimme beschwerte sich Minichmayr: „Das war gemein. Ich bin so gerührt.“ Worte fand sie dann doch. In Sachen Eigenwerbung sei sie „sehr bockig“, das gehöre eher zu den weniger angenehmen Aspekten ihres Berufs. Resümee ziehen wolle sie nicht, weil sie eine Freundin des „Flüchtigen, des Moments“ sei. Gerade deshalb liebe sie den Beruf der Schauspielerin so – es sei der schönste Beruf für sie, und das seit 20 Jahren.

Angesichts der Radikalisierung der Gesellschaft – Minichmayr erwähnte den Terroranschlag in Neuseeland und die Kontakte des Attentäters nach Österreich – und der Tatsache, dass viele momentan so gerne „nach unten treten“ würden, plädierte Minichmayr für eine "hoffnungsvolle Utopie: „Ich will die Herzen der Menschen so sehr rühren, dass sie sich politisch anders verhalten.“ Minichmayr ist bei der Diagonale in dem Film „Die Sünderinnen vom Höllfall“ (Veronika Franz und Severin Fiala) zu sehen.

„Nationalismus ist Gift“

Die Intendanten Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber betonten in der Eröffnungsrede die Bedeutung der Genauigkeit für jene Filme, die sich ideologischen Fixierungen verweigern. „Nationalismus ist Gift für die Gesellschaft“: Den Titel des diesjährigen Diagonale-Trailers, der von Johann Lurf gestaltet wurde, setzten die Intendanten an den Beginn ihrer Rede. Die Diagonale folge keinem Motto, „nimmt man jedoch die eingangs zitierte Warnung ernst, so kann sie nur unter dem Ehrenschutz von Humanität, Egalität, Geschwisterlichkeit und Solidarität stattfinden“, hieß es.

Plädoyer für öffentlich-rechtlichen Rundfunk

„Möglicherweise liegt das größte Potenzial zur Provokation für die Kunst gegenwärtig im Beharren auf Genauigkeit, in der Verweigerung vorschneller, populistischer Urteile, im vehementen Dranbleiben und unbequemen Nachfragen, in der entschleunigten Beobachtung“, meinten die beiden Filmexperten. Der Kinofilm sei dazu in seinen stärksten Momenten fähig.

Schernhuber, Höglinger
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Die Diagonale-Intendanten Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger

Das teile er sich „auch mit dem Qualitätsjournalismus und einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich nicht andauernden populistischen Angriffen widersetzen muss oder mit voreiligen parteipolitischem Gehorsam beschäftigt ist. Wir brauchen öffentlich-rechtliche Medien, die politisch und finanziell unabhängig sind.“

Unbeeindruckt von „Reizthemen“

So wie die Bilder im Kino in Bewegung bleiben, so sollte es auch mit den Gedanken sein, hofften die Intendanten. „Lassen Sie uns den Begriff der Genauigkeit also gerade auf jene Filme richten, die sich politischer Hysterie und fetischisierter Bekenntniskultur verweigern. Die ideologische Fixierungen gekonnt aufbrechen oder vorab umschiffen. Filme, die sich von Schlüsselworten und Reizthemen, die gerade jetzt wichtig erscheinen, unbeeindruckt geben, dafür umso inniger und mit größter Zuwendung ihrer künstlerischen Vision folgen.“

Kunst sei widersprüchlich und müsse auch widersprüchlich bleiben, hieß es in der Rede. „Wo divergierende Meinungen hingegen unterdrückt, zensiert oder gar geahndet werden, droht die Gefahr der Polarisierung und in der Kunst die Propaganda. Film und Kino haben mehr als einmal unter Beweis gestellt, als gut geölte Propagandamaschinen imstande zu sein, falsche Versprechen glaubhaft zu vermitteln und trübe Wahrheiten wie Blaupausen über unsere Gesellschaft zu legen“, warnten Höglinger und Schernhuber.