Filmstill aus „Bewegungen eines nahen Bergs“
Diagonale

Wer die Zettelchen in Autotüren steckt

Sebastian Brameshuber entführt die Zuseher in eine Welt, über die man schon immer mehr wissen wollte: das Reich der Afrikaner, die kleine laminierte Zetterl an Autos stecken. Seine Doku mit gescripteten Elementen, die gar kein „echter“ Spielfilm sein will, auch wenn sie bei der Diagonale als solcher firmiert, ist sehenswert, nicht nur, aber auch, weil sie die Neugier befriedigt.

Gleich vorweg das Businessmodell, mit dem Cliff am Fuße des Erzbergs arbeitet: Er verteilt diese Zettelchen und kauft Autos, egal wie schlecht sie beieinander sind, solange der Preis passt. Was noch fährt, wird überholt, alles andere auseinandergeschraubt. Einzelteile, Reifen und die funktionierenden Autos werden nach Nigeria gebracht oder gleich hier in Österreich weiterverkauft, etwa an ungarische Roma, die dann ihrerseits damit handeln.

Die Verhandlungen klingen beinhart, fast hat man als stiller Zeuge Sorge, es würde gleich eine Schlägerei ausbrechen. Doch das ist „Business“, und ganz egal, ob aus dem Geschäft etwas wird oder nicht, am Ende schnorrt man einander Zigaretten und plaudert über dies und das. Zum Beispiel über Afrika. Cliff friert und erzählt, dass man in seiner Heimat sogar im Dezember mit Shorts herumläuft.

Das Tatooine am Fuße des Erzbergs

Ein wenig scheint es, als könnte Cliff mit demselben Einsatz an Arbeitskraft und Kapital in einer anderen Branche mehr herausholen. Aber wer weiß, die Bilanzen werden hier nicht präsentiert, vielleicht ist das Verschachern von 20 Jahre alten VWs auch eine Goldgrube. In dem Fall weiß Cliff es gut zu verbergen. Er befindet sich an der Peripherie des Kapitalismus, an der Peripherie der Steiermark und handelt mit ungarischen Roma und mit Nigeria, also gleichsam der Peripherie der Weltwirtschaft.

Wäre das „Star Wars“, Cliff und seine Handelspartner befänden sich samt seiner räudigen Halle im „Outer Rim“, wo sie havarierte Miniraumschiffe für Rennen tunen würden. Das ramponierte Industriegelände am Fuße des Erzbergs ist das Tatooine Österreichs.

Filmstill aus „Bewegungen eines nahen Bergs“
Diagonale
Zangeln, schleppen, schweißen: Cliffs Arbeitsalltag

Träume vom „Big Business“

Eines der Mädchen in der benachbarten Paintball-Area könnte Cliff gefallen. Sie sieht gut aus, sagt er zu seinem Kollegen – ob Mitarbeiter, Freund oder tatsächlich „brother“, wird nicht ganz klar. Das Mädchen ist tough – nicht so wie ihr weinerlicher Freund, der dauernd abgeschossen wird. Die Stimmung in der Halle ist „gechillt“. Ein kleiner Traum von so etwas wie Zukunft kommt auf: Das Gelände der Paintballer kaufen, um eine richtige Verkaufsfläche neben der Straße zu haben, mit leuchtendem Schild? Ein fettes Grinsen macht sich breit.

Oder doch nach Nigeria zurückgehen und mit zehn in Eisenerz zusammengebastelten Toyota Camrys ein Taxibusiness starten? „Nah. Are there even roads in Nigeria?“ Der Freund ist sich sicher: Wenn sie ihn Nigeria regieren lassen würden, wäre alles gut. So flachsen die beiden tagein, tagaus vor sich hin. Und sie arbeiten, denn ohne Arbeit kein Essen.

Filmstill aus „Bewegungen eines nahen Bergs“
Diagonale
Am Ende wird wieder gefeilscht, diesmal in Nigeria

„A Wahnsinn, I’m telling you“

Cliff füttert die Katze, kocht auf dem Griller, rasiert sich, holt Wasser vom Fluss, der an der Halle vorbeifließt: Er verbringt einen Gutteil seiner Tage hier. Wenn er mit seinem Freund plaudert, vermischen sich mitunter Englisch und Deutsch: „A Wahnsinn, I’m telling you!" Cliff ärgert sich über einen geplatzten Deal, der ihm außer Spesen nichts eingebracht hat.“ Der andere darauf: „Amazing, the whites are mean!“ Doch das lässt Cliff nicht gelten. Andere Länder, andere Sitten. Und in Österreich sei ein mündliche Vertrag eben nicht verbindlich, anders als in Nigeria.

Filmhinweis

„Bewegungen eines nahen Bergs“ läuft auf der Diagonale am Donnerstag um 20.30 Uhr und am Freitag um 10.30 Uhr.

Und dann begleitet man Cliff tatsächlich nach Nigeria, wo er seine Motoren und Autos abliefert. Es gibt da offenbar wirklich außerhalb der großen Städte kaum befestigte Straßen. Wie auf einem Flohmarkt breitet Cliff auch die Kleinteile von ausgeschlachteten österreichischen Pkws aus. Ähnlich wie in der Steiermark wird auch hier wieder hart verhandelt. Zu verschenken hat keiner was. Die Gewinnspanne für Cliff scheint zu passen, irgendwie zumindest.

Kein Verrat am Subjekt

Brameshuber ist mit „Bewegungen eines nahen Bergs“ ein liebevolles Porträt gelungen. Und er schafft, was auch eine der Aufgaben von Film sein kann: die Neugier zu befriedigen, ohne Verrat am Subjekt zu begehen. Wer will nicht wissen, was es mit den lästigen Karterln auf sich hat, die mancherorts an jeder zweiten Autotür stecken? So mysteriös ist das gar nicht, wie man denkt. Aber spannend. Wie dieser Film, trotz seiner Langsamkeit.