Filmstill aus „Die Kinder der Toten“
Ulrich Seidl Filmproduktion

Jelineks Zombie-Opus als Stummfilmorgie

„Die Kinder der Toten“ wird gerne als Elfriede Jelineks Opus Magnum bezeichnet: Eine Abrechnung mit Österreichs Geschichte und der fehlenden Aufarbeitung des Nationalsozialismus, verpackt in einen grausigen Horrorroman. Kein leichter Stoff für einen Film – schon gar nicht für den gleichnamigen Stummfilm, der nun im Rahmen der Diagonale seine Österreichpremiere feierte.

666 Seiten zählt Jelineks Roman, „Die Kinder der Toten“ kommt auf der Leinwand aber gänzlich ohne Worte aus. Dass man für die filmische Umsetzung eines Jelinek-Werks ausgerechnet auf die Sprache verzichtet, kann man durchaus als „gewagt“ bezeichnen – passt aber in das schräge Gesamtbild der Produktion des Nature Theater of Oklahoma, einem New Yorker Künstlerkollektiv, das normalerweise auf der Bühne zuhause ist.

Denn auf den ersten Blick wirkt der Film wie ein Urlaubsvideo aus den 70ern, in der – zunächst – steirische Idylle auf körnigen Super-8-Film trifft. Analog zu Jelineks Seitenzahl wurden nach eigenen Angaben 666 Filmrollen für den Dreh verwendet, die dem Film einen eigenen optischen Charme verpassen.

Laiendarsteller spielen die Zombie-Apokalypse

Auch auf ein herkömmliches Ensemble wurde in den 28 Drehtagen im Rahmen des steirischen herbst 2017 verzichtet, stattdessen standen unzählige Laiendarstellerinnen und -darsteller vor der Kamera. Dass Kelly Copper und Pavol Liska von dem New Yorker Künstlerkollektiv Jelineks Werk zwar nicht gelesen haben, es sich aber ausführlich erzählen ließen, rundet die eigenwillige Entstehungsgeschichte des Films ab.

Dass „Die Kinder der Toten“ auf der Leinwand amerikanische Wurzeln hat, merkt man dennoch nicht: Im urigen Gasthof Alpenrose in der Steiermark wird die österreichische Seele so porträtiert, wie in einem Ulrich-Seidl-Film (hier als Produzent tätig). Das Spektrum der Stereotype reicht dabei von Fremdenfeindlichkeit bis Alkoholismus.

Filmhinweis

„Die Kinder der Toten“, der im Rahmen des ORF-Film/Fernseh-Abkommens gefördert wurde, startet am 5. April 2019 in österreichischen Kinos.

Vom Heimat- zum Zombiefilm

Alsbald mischt sich der Tod dazu: Ein Unfall, bei dem ein Autobus aus Holland mit einem Pkw zusammenstößt – inklusive Schaulustiger – ist Ausgangspunkt für die Wandlung vom grindigen Heimatfilm in einen ebensolchen Zombiefilm. Karin Frenzel, wenige Szenen zuvor noch am Tisch gemeinsam mit ihrer Mutter, von der sie sich nicht geliebt fühlt, stirbt dabei und sieht sich nun als Untote mit einer Doppelgängerin konfrontiert.

Auch sonst wird nicht mit komplexen Figuren gegeizt – mangels Dialog bleibt es aber bei Skizzierungen, die oft nahe an der Karikatur sind. So wird etwa ein Förster von seinen zwei toten Söhnen im Wald verfolgt, allerlei Grauslichkeiten inklusive.

Blasmusik mit Gruselstimmung

Wie im klassischen Stummfilm findet Sprache nur in den Zwischentiteln Platz. Ganz still ist es dennoch nicht: Die Geräuschkulisse reicht von Wirtshausatmosphäre bis zu authentischer Blasmusik, die der Zombie-Apokalypse bei aller akustischer Heiterkeit einen beunruhigenden Unterton verleiht.

Filmstill aus „Die Kinder der Toten“
Ulrich Seidl Filmproduktion
Film mit Retrocharme: „Die Kinder der Toten“ wurde auf Super-8-Film gedreht

Umso spektakulärer wirkt die Auswahl der Schauplätze: Eine Fabrikshalle wird zum Kino „666“, in der kollektiv der „guten alten Zeit“ nachgeweint wird, eine andere Szene führt, wohl nicht zufällig, zum Wasserfall „Totes Weib“, der auch in Wirklichkeit so heißt.

Wenn die Palatschinke zur Maske wird

Die Handlung bleibt eineinhalb Stunden episodisch und fragmentartig, dafür überschlagen sich die skurrilen Ereignisse auf der Leinwand. Im Wirtshaus werden Palatschinken zur gruseligen Gesichtsmaske, ein Umzug berühmter toter Österreicher, in der Hitler genauso wenig fehlt wie Briefbombenattentäter Franz Fuchs, zur Horrorparade.

Dass plötzlich syrische Dichter im Gasthaus stehen, weil „Styria“ mit „Syria“ verwechselt wurde, überrascht letztlich auch nicht mehr. Der Film kratzt streckenweise an Klamauk, doch oft bleibt das Lachen im Halse stecken.

Spätestens wenn Untote in Nazi-Uniformen mit Trägern von Judensternen Hand in Hand tanzen, wird klar, dass zumindest das Potenzial für heftige Diskussionen aus Jelineks sprachgewaltigem Roman übernommen wurde. Rund eineinhalb Stunden nach dem ersten Zwischentitel ist vielleicht nicht klar, wovon „Die Kinder der Toten“ letztlich handelt – eine Meinung darüber hat man sich bis zum Abspann aber zweifellos gebildet.