Filmstill aus „Erde“
NGF

Die Menschheit, eine geologische Gewalt

Nicht der Glaube versetzt Berge, es sind Bagger, Bohrer, Baumaschinen: In „Erde“ schaut Dokumentarist Nikolaus Geyrhalter genau hin, wie wir die Welt um uns verändern. Im Gespräch mit ORF.at sieht Geyrhalter zwar kein Ende der Erde – wohl aber die Zerstörung der „eigenen Lebensgrundlage“.

In einem Interview vor einigen Jahren sagte Geyrhalter sinngemäß, er drehe seine Filme gewissermaßen fürs Archiv, um späteren Generationen zu zeigen, wie unsere Welt beschaffen war und wie wir mit ihr umgegangen sind. Dass diese Nachgeborenen angesichts monumentaler Verschwendung wie in „Unser täglich Brot“ (2005) oder den nächtlichen Lebenswelten von „Abendland“ (2011) sich teils an den Kopf greifen werden, ist anzunehmen.

Filmstill aus „Erde“
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Baggerspielen im Steinbruch von Carrara

Allmählich aber schleicht sich der Gedanke ein, dass es diese Nachgeborenen gar nicht mehr geben könnte, die sich eines Tages für unsere Welt interessieren können. Bei der Diagonale erlebte der Film „Erde“ seine Österreich-Premiere, in dem sich Geyrhalter im weitesten Sinne mit der Menschheit als mächtigster geologischer Kraft befasst, die je auf die Erde eingewirkt hat. Sieben Schauplätze auf der ganzen Welt besucht der Film, wo mit Maschinenkraft Erde verschoben wird.

Jemand muss den Job ja tun

In Kalifornien etwa werden Hügel planiert und Täler zugeschüttet, um Platz für eine neue Reißbrettstadt zu schaffen. Menschen, deren Beruf der Verschub gigantischer Erdmassen ist, denken vor der Kamera darüber nach, was sie da anstellen: Dass hier noch vor kurzem Wälder waren, ist den Arbeitern wohl bewusst. Immer wieder treffen bei denen, die diese Berufe ausüben, bei Ingenieurinnen, Baggerfahrern, Steinmetzen, zwei Prinzipien aufeinander: Das der Achtsamkeit auf die Erde, die sich wehrt, aber „jemand muss den Job ja tun“ – und das der uralten Erobererlust, sich die Erde untertan zu machen.

Filmhinweis

„Erde“ startet am 17. Mai in den österreichischen Kinos.

Anders als etwa bei Geyrhalters letztem Film „Homo Sapiens“ (2016), wo unbelebte Gegenden die Protagonisten waren, steht hier auch der Mensch im Vordergrund, nicht nur seine Spuren. Dem Regisseur und seinem Team ist es dabei gelungen, fantastische Aussagen von ihren Gesprächspartnerinnnen und -partnern zu bekommen. Bei der Diagonale sagt der Filmemacher nun: „Ich bin fast erschrocken, wie sehr manche im Publikum erstaunt sind, dass auch Bergarbeiter reflektiert vor der Kamera über ihre Arbeit sprechen können.“

Die Erde wird überleben

Ein ungarischer Ingenieur, der im Braunkohletagbau arbeitet, erzählt da etwa, dass er im Urlaub mit seinen Motorradfreunden in den Alpen unterwegs war und sich angesehen hat, wie katastrophal die Gletscherzerstörung ist. „Ich habe das kaum glauben können“, sagt er. In seinen Worten schwingt die Betroffenheit mit über den Zusammenhang zwischen seiner Arbeit und dem, was mit der Welt passiert.

Wo in den menschenleeren Land- und Stadtschaften von „Homo Sapiens“ die Postapokalypse noch reizvoll fantasieanregend wirkte, wird in „Erde“ ganz konkret spürbar, wie nah das Ende der Menschheit womöglich ist. Zumindest in Kategorien von Erdzeitaltern ist das aber gar nicht so schlimm, sagt der Regisseur jetzt. „Die Erde gibt es ohnehin weiter. Wir zerstören halt unsere eigene Lebensgrundlage.“

Fasziniert von der Gewalt

Der Steinbruch in Carrara, die Bohrung des Brennerbasistunnels: Die Begeisterung für das Gewaltige, auch das Gewalttätige dieser haushohen und eisenbahnlangen Maschinen ist deutlich spürbar, vor und hinter der Kamera. Von „jungfräulichem Stein“ spricht da mit blitzenden Augen ein Marmorsteinmetz in der Bergruine von Carrara, von einem Astronautengefühl ein Ingenieur, der den Brennerbasistunnel in nie von Menschen gesehenes Gestein vorantreibt.

„Ich kann das schon nachvollziehen, diese Faszination, etwas anzufassen, das vorher noch kein Mensch gesehen hat“, sagt Geyrhalter. Er ist keiner, der aus der Distanz das Fremde filmt, er kennt sich aus mit Baumaschinen. „Ich hab selber einen Bagger daheim, und ich versteh auch dieses Dilemma. Wenn du eine Wiese aufgraben musst, weil da ein Rohr verlegt gehört, ist das am Anfang arg: Da ist die funktionierende Wiese, die noch nie aufgerissen war, und du gräbst da hinein.“

Regisseur Nikolaus Geyrhalter
Philipp Horak
Nikolaus Geyrhalter im Gespräch

Irgendwann sei das dann aber normal, und im nächsten Jahr sei der ehemalige Graben auch wieder zugewachsen. „Unser Dasein erfordert eben, dass wir solche Dinge tun, und daran gewöhnt man sich“, ob es Arbeit im Schlachthof sei, das Umgraben intakter Ökosysteme oder die Tausenden toten Insekten auf einer Windschutzscheibe. „Mit uns war nie gut zusammenleben“, sagt Geyrhalter über die Menschheit. Die Geschichte von einem Urzustand, in der Menschheit und Umwelt in friedlicher Koexistenz lebten, ist womöglich gar nicht wahr. Geyrhalters „Erde“ ist dafür ein Indiz.