Aleksander Petrovic mit den Jugendlichen im „Bau“
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„Fuchs im Bau“

Ein Lehrer lernt fürs Leben

In Arman T. Riahis bemerkenswertem neuen Spielfilm „Fuchs im Bau“ lernt ein ehrgeiziger Lehrer in einer Wiener Jugendstrafanstalt mehr von seinen Schülerinnen und Schülern als diese von ihm.

Ein neuer Job kann das ganze Leben verändern. Den Mittelschullehrer Hannes Fuchs (Aleksandar Petrovic) führt seine neue Stelle an einen ungewöhnlichen Arbeitsplatz – die Gefängnisschule im Jugendtrakt einer Wiener Haftanstalt. Der ehrgeizige, gleichzeitig aber desillusionierte Enddreißiger tritt den Job mit bestimmten Erwartungen an.

Er will den Teenagern etwas beibringen und ganz normalen Regelunterricht abhalten. Doch bald merkt er, dass der Unterricht im Gefängnis wenig mit Normalität zu tun hat. Das liegt nicht nur an den Schülern, die weniger für ihre Zukunft als für die Ablenkung vom monotonen Zellenalltag die Schulbank drücken, sondern vor allem an der unkonventionellen Lehrerin Berger (Maria Hofstätter), einer Veteranin in Sachen Pädagogik, der er zur Seite gestellt wird.

Maria Hofstätter und Aleksander Petrovic
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Fuchs (Aleksandar Petrovic) soll an der Seite der erfahrenen Gefängnislehrerin Berger (Maria Hofstätter) unterrichten

Unbeholfen und überfordert sitzt Fuchs anfangs neben Bergers Pult und versteht die Welt nicht mehr. In Bergers Unterricht wird gemalt, gerauft und auch mal (unerlaubt) Apfelstrudel gebacken, Herzensbildung ist wichtiger als Geometrie, es herrscht ein ruppiger, aber freundschaftlicher Umgangston, Augenhöhe statt Hierarchie scheint die Devise zu sein.

Mikrokosmos Haftanstalt

Als Fuchs seine erste Klassenaufsicht hat, kommt es zu einem Übergriff auf die introvertierte Schülerin Samira (Luna Jordan). Nach einer Prügelei mit einem anderen Häftling landet Samira in Isolationshaft. Fuchs fühlt sich verantwortlich und sucht nach Möglichkeiten, seinen Fehler wiedergutzumachen. Von der Sozialarbeiterin Tara (Sibel Kekilli) erfährt Fuchs Details über Samiras Geschichte.

Von diesem Moment an verschieben sich die Parameter. Fuchs ergreift die Gelegenheit, etwas im starren Mikrokosmos der Haftanstalt in Bewegung zu setzen und wächst über sich selbst und seine eigene tragische Vergangenheit hinaus.

Großer Film, großartiges Ensemble

Mit „Fuchs im Bau“ ist Regisseur Riahi ein großer Wurf gelungen. Anders als in Genrefilmen wie „Club der toten Dichter“ (1989) und „Dangerous Minds – Wilde Gedanken“ (1995), wo pädagogische Überflieger Jugendlichen souverän den Weg ins Leben weisen, inszeniert Riahi das Scheitern des Lehrers als Chance und demontiert klischeehafte Rollenbilder. Beim diesjährigen Max-Ophüls-Preis wurde der Film für die beste Regie, mit dem Preis der Jugendjury und dem Fritz-Raff-Drehbuchpreis ausgezeichnet.

Maria Hofstätter brilliert in der Rolle der abgebrühten Häfnlehrerin, die auf Konventionen pfeift und das Herz am rechten Fleck hat. Aleksandar Petrovic spielt einen traumatisierten Mann, der ausgerechnet in der schwierigsten aller Schulen nach Vergebung für seine vergangenen Fehler sucht, dort seine eigene, verschüttete Kreativität und Lebenslust wiederentdeckt und daran erinnert wird, warum er eigentlich Lehrer ist.

Luna Jordan als Samira
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Samira (Luna Jordan) schreit ihren Schmerz in die Welt – die nur bis zu den Gefängnismauern reicht – hinaus

Das junge Ausnahmetalent Luna Jordan verkörpert die 16-jährige Samira, die zunächst keinen Ton von sich gibt, außer wenn sie ihren Schmerz in die Welt hinausschreit. „Luna war die Idealbesetzung. Sie hat als Mensch etwas Geheimnisvolles und ist selbst gerade mitten in ihrer Identitätsfindung“, erzählt Riahi im Gespräch mit ORF.at.

Falls Netflix anklopft

Eine Fülle von Themen und Charakteren wird in „Fuchs im Bau“ verhandelt und zusammengewürfelt, jede Figur hat ihre eigene Geschichte, und so würde es nicht verwundern, wenn ein bekannter Streaminganbieter Interesse am Stoff bekunden und den Spielfilm zu einer Serie ausbauen wollen würde.

„Der Film erzählt auch von den Schwächen des institutionalisierten Strafvollzugs, wo eine ordentliche Qualitätskontrolle fehlt, und soll darüber hinaus die grundlegende Frage stellen, wie der österreichische Strafvollzug mit Jugendlichen umgeht“, so Riahi.

Porträt Arman T. Riahi
ORF.at/Sonia Neufeld
Arman T. Riahi wurde 1981 im Iran geboren und ist in Wien aufgewachsen, wo er bereits als Schüler seine ersten Kurzfilme gedreht hat.

Drama und Humor

Obwohl er nach seiner Komödie „Die Migrantigen“ (2017) eine neue, ernstere Tonalität anschlägt, ist Riahis zweiter Spielfilm bei all der Dramatik auch humor- und hoffnungsvoll. Der Regisseur dazu: „So schlimm kann es gar nicht sein, dass nicht auch das Lachen seinen Platz findet. Mir war es sehr wichtig, dass der Film nicht nur düster und auf keinen Fall hoffnungslos ist. Ich will in Nuancen erzählen, und deswegen ist in den schlimmsten Situationen der Humor oft essenziell.“

Er sei stolz, dass „Fuchs im Bau“ die diesjährige Diagonale eröffnen werde, so Riahi. Und: „Ich glaube, dass es zwischen dem Film, dem verdammten Virus und dem Lockdown, der jetzt vorbei ist, Gemeinsamkeiten gibt. Der Film spielt im Gefängnis, aber er endet nicht dort. Und weil wir alle jetzt wieder zu einer gewissen Freiheit zurückkehren, ist das eine schöne Parallele zwischen Fiktion und Realität.“