Szene aus „Die Farbe des Chamäleons“
Feiner Film Kunst Verein/Jakob Creutzburg
Vorschau

Vorhang auf für Festivalgefühle

Am Dienstag rückt Graz in den Mittelpunkt der österreichischen Filmlandschaft: Die Diagonale ist nach der Absage im Vorjahr zurück und lädt nach der pandemiebedingten Pause endlich wieder ins Kino. Abstand, Masken, aber vor allem Filme werden in den kommenden Tagen das Geschehen in der Landeshauptstadt bestimmen. Es werde eine „außergewöhnliche“ Diagonale, versprechen auch die Intendanten.

„Es war ein Filmjahr, in dem kein Stein auf dem anderen blieb“, fassten die Intendanten Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger bei der Programmpräsentation Ende Mai das vergangene Pandemiejahr aus Sicht der Filmbranche zusammen. Die Diagonale musste damals abgesagt werden – und auch dieses Jahr sind die Auswirkungen noch zu spüren.

Das zeigt sich schon am späteren Starttermin und nicht zuletzt an der Organisation: Die 108 Filme des Festivals werden erstmals in neun Sälen gezeigt, um zumindest auf 70 Prozent der Kartenkapazität zu kommen. Selbstverständlich werden die Plätze im Schachbrettmuster besetzt, und auch sonst gelten die nun üblichen Vorschriften, was den Besuch der Diagonale anbelangt – Stichwort: „3-G-Regel“.

„Fuchs im Bau“ im Doppelpack

Alles ist heuer also ein bisschen anders: „Es ist eine außergewöhnliche Diagonale im positivsten Sinn“, sagten Schernhuber und Höglinger gegenüber ORF.at. Auch, weil es viel aus dem Vorjahr nachzuholen gibt. So wird es gleich am Dienstag zwei Galapremieren geben: Beide Male wird der Eröffnungsfilm „Fuchs im Bau“ gezeigt, ein einfühlsames Sozialdrama mit Schmäh von Arman T. Riahi über Leben und Bildung in einer Jugendhaftanstalt. In der ersten Vorstellung wird die Diagonale-Preisträgerin von 2020, Ursula Strauss, nachträglich geehrt, beim zweiten Mal dann die diesjährige Gewinnerin Christine Ostermayer.

Filme mit Stefanie Sargnagel und Voodoo Jürgens

Das Filmangebot lockt heuer wieder mit großen Namen, auch abseits der Filmwelt: Mit dabei ist etwa „Sargnagel – der Film“ von Sabine Hiebler und Gerhard Ertl, in dem die Autorin Stefanie Sargnagel gleich die Hauptrolle übernimmt. Verfilmt wurde dafür ihr Buch „Fitness“, das Einblicke in ihr Leben gibt – auch der Film wird zum Teil aus echtem und zum Teil inszenierten Dokumaterial bestehen.

Die Musik für den Sargnagel-Film steuerte Voodoo Jürgens bei, der wiederum in einem Film von Hannes Starz eine wesentliche Rolle übernimmt. In „Another Coin for the Merry-Go-Round“, der von FM4 präsentiert wird, spielt Jürgens an der Seite von Valerie Pachner: eine Coming-Of-Age-Story über an sich junggebliebene Dreißiger und die Auswirkungen eines folgenschweren Ereignisses inmitten der Wiener Gürtellokal-Szene.

Starke Persönlichkeiten im Porträt

In der Dokumentationsschiene stechen im heurigen Programm vor allem Porträts starker Persönlichkeiten hervor. „Ein Clown/Ein Leben“ von Harald Aue ist Roncalli-Chef Bernhard Paul gewidmet, „Highfalutin“ von Hans Broich beschäftigt sich mit dem legendären Fassbinder-Schauspieler Volker Spengler. „Eva-Maria“ von Lukas Ladner erzählt die Geschichte einer Frau mit körperlicher Beeinträchtigung, die sich von ihrem Kinderwunsch nicht abbringen lässt.

In „I Am The Tigress“ porträtieren Philipp Fussenegger und Dino Osmanovic die 48-jährige Tischa Thomas in ihrem Leben zwischen Domina, Bodybuilderin, Großmutter und Freundin. „The Bubble“ von Valerie Blankenbyl wirft unterdessen einen Blick auf die „Villages“ in Zentralflorida, riesige Seniorenenklaven, die versprechen, den Anrainerinnen und Anrainern ihren Lebensabend zu versüßen.

„Glory to the Queen“ ist die Geschichte von georgischen Schachmeisterinnen. Eine weitere Dokumentarfilmpremiere ist „Der schönste Tag“ von Fabian Eder. Der Film zeigt eine Reise mit einem Schoah-Überlebenden an die Orte der NS-Gräuel und hinterfragt die Geschichtsschreibung.

Hausner und Jelinek in eigener Programmreihe

In der Reihe „Zur Person“ wird heuer Regisseurin Jessica Hausner gefeiert. An sich hätte die Werkschau schon im Vorjahr gezeigt werden sollen. Nun findet sie – ergänzt um ein Attwenger-Musikvideo und eine Buchpräsentation – doch noch statt.

Elfriede Jelinek wird unterdessen anlässlich ihres 75. Geburtstags geehrt. Ein historisches Special gibt es zum Thema „Sehnsucht20/21 – Eine kleine Stadterzählung“, in dem es um das Wechselspiel zwischen gebauter und gelebter Stadt geht. Parallel dazu wird „Displaced Persons: Keine Heimat, nirgendwo!“ zu sehen sein, das unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse einen Blick auf historische Migrationsbewegungen richtet.

Sitzkonzert statt Partynacht

Während Kinogänger und Filmjournalistinnen sowie -journalisten aus dem ganzen Land nun den Komfort des Kinosessels nach langer Pause neu entdecken werden, gehört zu einem richtigen Festival freilich auch das Drumherum. Auch wenn es für Partys noch zu früh ist – Rahmenprogramm bietet die Diagonale dennoch.

An zwei Tagen spielt der Club Diagonale nun im Grazer Orpheum Sitzkonzerte, eröffnet werden die Abende von einem Musikvideoprogramm. Mitwippen im Einklang mit den geltenden Regeln ist vermutlich kein Problem, auf der Website der Diagonale sieht man die Idee als „Dazwischen von Club und Kino“ – nach der Zwangspause in den letzten Monaten vielleicht ein entspannter Ausgangspunkt, um Lust auf mehr zu machen.

Diagonale für Daheim

Ein positiver Nebeneffekt der Pandemie ist sicher ein Umdenken in der Branche, dass sich nämlich auch all jene am Festivalgeschehen beteiligen dürfen, die nicht an Ort und Stelle sein können oder wollen. „Canale Diagonale“ nennt sich das Digitalangebot für die Bundesländer, das als Streamingfestival ab 11. Juni zu sehen sein wird.

Im Streamingdienst Flimmit wird es damit praktisch ein einmonatiges Onlinefestival geben. Mit dabei: Highlights der Diagonale sowie eine umfassende Personale zu Jessica Hausner und eine Retrospektive mit Diagonale-Filmen aus den vergangenen Jahren.

Großes Finale im Livestream

Auch das große Schlussevent ist diesmal als Livestream ausgelagert: Die jährliche Preisverleihung wird diesmal von Regisseur Sebastian Brauneis gestaltet und in Livestreams in tvthek.ORF.at sowie in fm4.ORF.at gezeigt. Wer es am Sonntag nicht um 20.15 Uhr vor den Computer schafft, kann das große Finale auch in ORF III um 0.10 Uhr nachholen. Eines steht jedenfalls schon unmittelbar vor Beginn der Diagonale fest: Das Kino ist auch hierzulande nun endlich zurückgekehrt.