Christine Ostermayer in „Ein bisschen bleiben wir noch“
Wegafilm
Porträt Christine Ostermayer

Hauchzart und in Flammen

Der Große Diagonale-Schauspielpreis geht in diesem Jahr an die Film- und Theaterschauspielerin Christine Ostermayer – einer „Sonne der Schauspielzunft“, wie es in der Jurybegründung heißt.

Sie ist eine Oma wie eine Fee, zerbrechlich und lieb, verschmitzt und unendlich kostbar in ihrer Fragilität. Sie verkörpert eine Vergänglichkeit, mit der behutsam umgegangen werden muss. Das ist etwas, das ein seelisch beschädigtes Kind besser versteht als eine überforderte Erwachsene. So zart hat die große Schauspielerin Christine Ostermayer die Oma in „Ein bisschen bleiben wir noch“ (2020) angelegt, dem Publikumshit von Arash T. Riahi.

Die beiden tschetschenischen Geschwister Oskar und Lilli verlieren da ihre Mutter im Rahmen einer Abschiebung beinahe durch einen Suizidversuch und werden daraufhin getrennt voneinander in Pflegefamilien untergebracht. Die Oma in Oskars Pflegefamilie wird eben verkörpert von Ostermayer, als lichte Präsenz neben dem lauten, überforderten Pragmatismus der Pflegemutter.

Zwar hat die Oma nicht mehr alle Tassen im Schrank, aber die, die noch übrig sind, sind metaphorisch aus hauchdünnem Porzellan mit Blumerlmuster. Zwischendurch, wenn die Dinge familiär eskalieren, fällt Oma nämlich aus der Rolle, die ihr Schwerhörigkeit und Demenz vorschreiben, und wird zur Komplizin des neu angekommenen Kindes. So eine ist das nämlich, diese Oma.

„Sie machen sich lächerlich!“

Diese Großmutter ist die jüngste Rolle von Ostermayer und eine, die den ganzen Film zum Schweben bringt. Es ist kein Zufall, dass die Schauspielerin ausgerechnet im Jahr nach diesem Film den Großen Diagonale-Schauspielpreis’21 „für Verdienste um die österreichische Filmkultur“ erhält. „Sie machen sich lächerlich, wenn Sie mich auszeichnen!“ , soll sie gesagt haben auf die Nachricht, doch so wahrhaftig sie bei ihren Darstellungen ist, hier liegt sie falsch: Die Rollen, die Ostermayer in Filmen gespielt hat, sind in den letzten Jahren nicht oft Hauptrollen gewesen, aber nie war sie auswechselbar, meist unbedingt auszeichnungswürdig.

Ihre bislang letzte Hauptrolle war in „Anfang 80“ (2011) an der Seite von Karl Merkatz, unter der Regie von Sabine Hiebler und Gerald Ertl, die dieses Jahr mit der Mockumentary „Sargnagel“ im Diagonale-Programm vertreten sind. Sie spielt Rosa, die späte Liebe auf den ersten Blick eines Mannes, wieder so eine Zerbrechliche, eine Mädchenhafte, wie das seltsamerweise bei manchen älteren Schauspielerinnen genannt wird.

In dem Film ist sie wie ein sanftmütiges Gegenstück zu ihrer um elf Jahre älteren Kollegin Erni Mangold, die ihre sprichwörtliche Widerborstigkeit mit Wonne pflegt. In „Anfang 80“ stellt Mangold sogar ihre direkte Konkurrentin dar, von der sich Bruno (Merkatz) trennt, um seine Rosa aus dem Pflegeheim zu holen und sie in einer gemeinsamen Wohnung zu umsorgen, weil die Liebe so groß ist, aber der Alltag dann zu schwer. Schon damals bekam Ostermayer bei der Diagonale den Schauspielpreis.

Enkelin einer Zirkustänzerin

So ist sie in den Filmen, für die sie einem jüngeren Publikum bekannt ist, manchmal auch nur eine flüchtige Präsenz im Hintergrund. Sonst ist nicht viel geläufig über die 84-Jährige, die 1936 in Wien geboren wurde, sie gibt nur selten und ungern Interviews, erzählt aber dann doch hübsche Details – etwa dass ihre Großmutter venezianische Zirkustänzerin war – „Vielleicht habe ich von ihr etwas mitbekommen?“ – und dass sie als Kind den Ausdruckstanz liebte.

In einem Porträt, das in der Süddeutschen Zeitung zu Ostermayers 80. Geburtstag erschien, schildert die Theaterkritikerin Christine Dössel ein Zusammentreffen mit der großen Schauspielerin, „La Ostermayer“, bei dem diese sich bitterlich beschwerte, dass Dössel während einer Premierenvorstellung Notizen gemacht habe. „Ob man schon jemals in einer Theatervorstellung gewesen sei?! Ob man nicht wisse, welch zerstörerische Wirkung das für ihren Auftritt habe?!“

Diva kann sie auch

Dass sie auch divenhaft sein kann, ist ihren Filmfiguren nicht anzumerken, da ist sie zurückhaltend, still schmunzelnd. Es war jedoch immer eher die Bühne, auf der sie zuhause war. Schon als Siebenjährige spielte sie Kindertheater, begann dann eine Tanzausbildung und wurde im Alter von 16 Jahren am Max-Reinhardt-Seminar aufgenommen, ihr erstes Engagement hatte sie an den Städtischen Bühnen in Essen, wo sie als „Julia“ debütierte, später spielte sie in Wuppertal und am Münchner Residenztheater.

Von 1963 bis 1984 gehörte sie dem Ensemble des Bayerischen Staatsschauspiels an und verkörperte so gut wie alle großen klassischen Rollen, die die Weltliteratur zu bieten hat, Schillers Luise, Goethes Gretchen, Ibsens Nora. In München ist sie auch bis heute geblieben. Vor der Kamera stand sie in dieser Zeit nur sporadisch, immer wieder oft für Otto Schenk als Regisseur in Verfilmungen österreichischer Theaterstoffe, gelegentlich für einen Fernsehkrimi.

Christine Ostermayer in „Die Notlüge“
epo-film/Stefan Haring
Auch in Fernsehfilmen ist Ostermayer zu sehen. Hier an der Seite von Brigitte Hobmeier und Josef Hader in Marie Kreutzers Stadtkomödie „Die Notlüge“ (2017).

Vielfach setzte sie ihre stimmliche Vielfalt in Hörspielen ein, erst spät wurde sie dann wieder fürs Kino entdeckt. „Ihre Karriere umspannt eine ganze Ära und ein breites Feld an Theater-, Fernseh-, Film- und Hörspielrollen, in denen sie – als Leading Lady genauso wie in Charakterrollen – ihren Figuren eine innige Tiefe verleiht“, heißt es in der Begründung der Jury für den Preis: „Eine Menschendarstellerin, die leuchtet, ohne ständig prunken zu müssen.“

In „Ein bisschen bleiben wir noch“ hat Ostermayer als Oma einen finalen Auftritt in Flammen, der so mythisch, wüst, brutal und zauberhaft ist, wie es der gesamten Bandbreite der großen Schauspielerin entspricht und ihrer Fähigkeit, bei anderen Begeisterung zu entfachen. Bei der Diagonale-Eröffnung holt sie sich den Preis persönlich ab, ein verschmitztes Kunstobjekt von Verena Dengler – einen goldenen Selfiestick aus Bronze.