Szene des Films „Ein Clown | Ein Leben“ mit Roncalli-Gründer Bernhard Paul in der Manege
Neue Vitaskop Film
„Ein Clown, ein Leben“

Auf den Spuren eines Zirkus-Revolutionärs

45 Jahre ist es her, dass Bernhard Paul den Zirkus revolutionierte. In „Ein Clown, ein Leben“ porträtiert Filmemacher Harald Aue nun vielschichtig den schillernden Roncalli-Chef und stimmt zugleich auf die Magie einer vergangenen Ära ein, zum Sound von Ernst Molden und Der Nino aus Wien. Dass Paul heute eine zentrale Figur in der Zirkuswelt ist, war alles andere als vorbestimmt – als Quereinsteiger gab es zunächst einige Ressentiments.

Irgendwann 1976, des Nächtens auf der „Club 2“-Couch: Neben den gediegenen Zirkus-Standesvertretern sitzt da ein lässiger 30-Jähriger, die Haare eine klassische 68er-Mähne, mit Schnauzbart und getönten Brillen: Bernhard Paul. „Man kann nicht von heute auf morgen Zirkus machen“, hört man Elfi Althoff-Jacobi, damals Leiterin des Österreichischen Nationalzirkus, in seine Richtung sagen. Der Neo-Zirkusdirektor hatte gerade mit seiner gefeierten Zirkustournee Österreich in Aufruhr versetzt.

Der Fernsehausschnitt ganz zu Beginn von „Ein Clown, ein Leben“ kommt für Uneingeweihte ziemlich überraschend: der Zirkus, ein Politikum? Zur Debatte kam es, weil Paul damals gleich doppelt mit den Gepflogenheiten brach. Er machte Zirkus, obwohl er nicht aus einer alteingesessenen Zirkusfamilie stammte. Und er setzte mit seinem Roncalli-Projekt statt – in eigenen Worten – „sabbernder Kamele und nach Schweiß stinkenden Synthetikkostümen“ auf ein neuartig-altmodisches Programm, das viel Poesie mit Nostalgiecharme verband.

Szene des Films „Ein Clown | Ein Leben“ mit Roncalli-Gründer Bernhard Paul
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Zirkusdirektor, Unterhaltungsimperiumsmanager, Anarcho-Clown und Society-Größe: der heute 74-jährige Bernhard Paul

Hinter den Kulissen des Vergnügungsimperiums

Mit „Ein Clown, ein Leben“ geht es nun auf mehrfache Weise hinter die Kulissen des Betriebs, der nach dem Zerwürfnis mit Kurzzeitpartner Andre Heller 1977 nach und nach zum Vergnügungsimperium geworden ist – trotz Netflix, YouTube und dem großen Zirkussterben. 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind heute bei den Dinnershows, auf Kreuzfahrtschiffen oder bei der Zirkustournee beschäftigt. Der Roncalli-Jahresumsatz beträgt 25 Millionen Euro, so die Zahlen aus Vor-Coronavirus-Zeiten, in denen der Film auch spielt.

Der Filmemacher Aue begleitete den exzentrisch-sympathischen „Zirkuskönig“ und seine Mitstreiter über zwei Jahre hinweg. Mit einer losen Rahmenhandlung führt er nun in eine ganz eigene, familiäre Welt zwischen Kölner Winterquartier, Zirkusshows und dem niederösterreichischen Heimatort Wilhelmsburg.

Comeback von Clown Zippo

Der Direktor, mittlerweile 71-jährig, im gleichen Look wie damals, aber doch deutlich vom Alter gezeichnet, zieht hinter den Kulissen immer noch die Fäden und kümmert sich um das Management. Als legendärer Clown Zippo ist er aber schon lange nicht mehr aufgetreten. Was sich nun ändern soll.

Szene des Films „Ein Clown | Ein Leben“ mit dem Team des Zirkus Roncalli
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Einblick in das Roncalli-Imperium: Paul mit seiner im barocken Retrocharme ausgestatteten Crew

Die Kamera verfolgt von der Anbahnung bis zu den ersten Proben, wie Paul an der Seite des neuen, mexikanischen Clowns Chistirrin sein Bühnencomeback wagen will. Diese Storyline ist aber vor allem dazu da, verschiedene Tiefenbohrungen vorzunehmen: Wie kommt es überhaupt dazu, dass ein „Fachfremder“ auszieht, um sich den Traum vom eigenen Zirkus zu verwirklichen? Was ist anders am Roncalli-Zauber, und wie tickt so ein Clown überhaupt?

Als Bub vom Zirkusfieber ergriffen

Antwort auf diese Fragen findet Aue vor allem in Pauls früher Kindheit. Der Film verwebt Archivmaterialien mit Aufnahmen vom Direktor, der über einen Friedhof streift und aus seinem Leben erzählt: Schon von klein auf machte Pauls Mutter keinen Hehl daraus, dass er im Gegensatz zum älteren Bruder unerwünscht war.

Die heile Kindheitswelt, die er im echten Leben nicht erfuhr, findet Paul anderswo: Als er als Sechsjähriger die märchenhafte Show im „Williams“-Zirkus sieht, ist es um ihn geschehen. Für seinen selbstgebastelten Modellzirkus zerschneidet er zum Ärgernis der Eltern seine Lederhose, um eine kleine Elefantenfigur auszustaffieren. Jetzt lässt er sie vor der Kamera tanzen.

In Alltagsszenen mit der Zirkusbelegschaft lernt man Paul als charismatischen Strippenzieher und Macher kennen, der trotz einer gewissen Entrücktheit genau weiß, was er will – und was eben nicht. Umso überraschender sind da die intimen Einblicke, die er im Film zulässt: Richtig rührend ist es, wie Paul in die alte, elterliche Wohnung führt, die er vor einigen Jahren durch unzählige Flohmarktbesuche bis auf den letzten Silberlöffel genau wie früher einrichtete, um endlich doch die Anerkennung der Mutter zu bekommen.

Spaghetti aus dem Hemdsärmel

Die Leute brauchen keinen Nervenkitzel, sondern wollen sich gut fühlen, nennt Paul einmal das Roncalli-Credo. Und er sagt: „Die Clowns sind mir das Wichtigste.“ In „Ein Clown, ein Leben“ gibt es daher auch einen Crashkurs in Sachen Clowngeschichte: In Gesprächen beim Schminken oder vor historischen Gemälden führen die aktuellen Roncalli-Clowns in die Spielarten des traditionellen Trios Weißclown, August und Contra-August ein, das seine Ursprünge in der Commedia dell’arte hat.

Die Rezeptur der Roncalli-Clownnummern ist oft simpel, entscheidend ist das Wie: Da wird gesteppt und mit Seifenblasen hantiert, Schabernack mit Stinkesocken getrieben oder Spaghetti aus den Hemdsärmeln gezogen. Die Archivaufnahmen lassen den herzerwärmenden Zauber der Manegenwelt auferstehen – der Film versteht es aber gut, nicht zu lange darin zu schwelgen. Das richtige Gespür für Einfühlung und Distanz zeigt sich auch gegenüber dem Direktor selbst, dessen „schwierige“ Seiten als Zirkuspatriarch eher angedeutet als ausbuchstabiert werden.

Soundtrack von Molden und Nino aus Wien

„Warat i a Clown, dann hätt‘ ich zwanzig Frauen“, hört man es aus dem Off singen. Als Klammer des Films fungiert die beschwingt-melancholische Musik von Ernst Molden und vom Nino aus Wien. Für „Ein Clown, ein Leben“ haben die beiden Liedermacher erstmals eigene Songs geschrieben, deren Austropop-Sound auch insofern gut in die Roncalli-Zeitkapsel passt, weil Paul noch heute aus der Zeit schöpft, in der Danzer und Co. einst große Nummern waren.

Mit sicherer Hand gelingt es Aue, Magie und Alltag, Figur und Person, Schein und Realität einzufangen. „Ein Clown, ein Leben“ zeichnet ein vielschichtiges Porträt eines vielschichtigen Mannes, der stets mit richtigem Gespür, Mut und lässiger Hand sein Lebensprojekt verfolgte. Der Film soll voraussichtlich im Herbst ins Kino kommen.