Stefanie Sargnagel vor einem Gemeindebau
Golden Girls Filmproduktion/Filmladen
„Sargnagel – Der Film“

Echte Sargnagel in falscher Doku

Mit der Mockumentary „Sargnagel“ schildern Sabine Hiebler und Gerhard Ertl gemeinsam mit Autorin Stefanie Sargnagel, wie Leben und Karriere der Autorin Sargnagel ganz wirklich und echt wahr ablaufen: ein authentischer Fantasyfilm im Kulturprekariat.

„Ich zerfick dich mit meinem Binnen-I“, liest sie, und die Schulklasse staunt. Die Steffi Sargnagel ist längst ein Star, mit ihrer urargen Fäkalsprache, dem Menstruationsvokabular und dem wilden Feminismus. Und wer nach der Lesung nicht um ein Selfie fragt, hat nichts kapiert. Immerhin der Filmproduzent (Thomas Gratzer) hat verstanden, dass hier der Stoff auf der Straße liegt, nach dem die Jugend giert. Gelesen hat er die Sargnagel zwar nie, aber egal, das wird ein Hit.

„Sargnagel – Der Film“ ist das Filmporträt einer Kunstfigur, eine Fake-Doku, eine „Dokumödie“, ein Filmdreh-im-Film, inszeniert/dokumentiert vom Regie- und Lebensduo Hiebler und Ertl. An der Kunstuni in Linz hatten die beiden Ende der 80er Jahre mit Aventgardefilmen begonnen, seit fast zwanzig Jahren drehen sie nun miteinander Spielfilme. 2012 inszenierten sie in „Anfang 80“ Karl Merkatz und die diesjährige Diagonale-Preisträgerin Christine Ostermayer als gebrechliches Hals-über-Kopf-Liebespaar.

Filmhinweis

„Sargnagel – Der Film“ wird bei der Diagonale am 9.6. um 19.00 Uhr in der Helmut List Halle und am 11.6. um 10.30 Uhr im KIZ Royal gezeigt.

Der im Rahmen des ORF-Film/Fernseh-Abkommens geförderte Film kommt am 20.8. in die österreichischen Kinos.

Komplizierter Prozess

2015 war ihnen mit Cornelia Travniceks „Chucks“ schon einmal die Verfilmung junger Wiener Literatur gelungen, dort allerdings in klassischer Spielfilmform, wenn auch mit dem Willen zum Experiment. Auch Travnicek war intensiv in die Drehbucharbeit der Romanverfilmung eingebunden. Bei „Sargnagel“ sei dieser Prozess allerdings komplizierter gewesen, wie Hiebler und Ertl gegenüber ORF.at betonten.

Als sie begonnen hatten, sich für die Texte von Sargnagel zu interessieren, war das nämlich für ein ganz anderes Filmprojekt, bei dem es um eine Frau im Prekariat ging, so Hiebler. „Da haben wir ihre Callcenter-Dialoge gelesen – ‚Fitness‘ und ‚Binge Living‘ – und haben das super gefunden. Wir waren der Meinung, dass wir diese Figur, die Stefanie Fröhlich, nicht besser erfinden können, die ist schon perfekt.“ Das Glück war, dass die Buchrechte noch zu haben waren, Sargnagel war damals noch nicht annähernd so bekannt wie heute. Zugleich war das jedoch auch Pech, die Finanzierung zog sich über Jahre.

Sargnagels Unbekanntheit war jedoch nicht die einzige Herausforderung. Wie soll man die Texte einer Autorin verfilmen, die Autobiografisches und Fiktion zur Kunst erhöht, bei der zum Schreien komische, präzise Beobachtung, politischer Scharfsinn und Slackertum zu einer radikal unterhaltsamen Melange werden? Und wie soll dieses überhöhte Kunstfigurendasein, das sich zu einem beträchtlichen Teil in Grindbeisln abspielt, während eines Lockdowns glaubhaft inszeniert werden?

Grenzen verwischen

„Es gab bei diesem Projekt viele Höhen und Tiefen“, so Ertl, „und ab einem bestimmten Punkt haben wir gesagt, okay, das nehmen wir mit hinein in die Geschichte – natürlich in überhöhter Form und zugespitzt.“ Das Ergebnis ist nun ein Film, bei dem die Grenzen zwischen Realität, überhöhter Realität, Ironisierung und Fiktionalisierung verschwimmen. Der Inhalt ist rasch erzählt: Es soll einen Sargnagel-Film geben, weil die Autorin ja jetzt so erfolgreich ist. Doch das Projekt beginnt mit Komplikationen: Die karrieregeile Schauspielerin Hilde Dalik (gespielt von Dalik) spricht als Hauptdarstellerin vor, ist aber vor allem irritiert von Sargnagels Texten.

Stefanie Sargnagel, Michael Ostrowski und Hilde Dalik
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Die echte und die falsche Steffi: Sargnagel und Dalik im Wettkampf, wer authentischer ist

Dann kommt der Regisseur abhanden, und Daliks penetrantem Lebensgefährten Michael Ostrowski (Ostrowski) gelingt es, sich beim Produzenten als Regisseur anzudienen. Unterdessen folgt ein Dokufilmteam der echten Stefanie Sargnagel (gespielt von Sargnagel) indiskret von der Lesung über ihr Stammbeisl bis in ihr verstopftes Klo zu jeder einzelnen Lebensstation. Irgendwann fällt die Entscheidung, dass die echte Sargnagel auch die Sargnagel im Film spielen soll.

Dalik ist sauer, dafür sieht Sargnagels beste Freundin Mercedes rein zufällig aus wie Dalik (von der sie auch gespielt wird). „Die Mockumentary ist auch ein Pendant zu ihrer literarischen Form“, so Hiebler. „Steffi hat ja immer schon ihre Biografie in einer völlig überspitzten, sich selbst erfindenden Weise als Grundlage für ihre Literatur verwendet.“ Auch in Sargnagels „Statusmeldungen“ ist da Selbsterlebtes literarisch verfremdet.

So viel Zucht muss sein

Zwischendurch besucht der Film das Callcenter, in dem Sargnagel früher ihr Geld verdiente, zeigt eine Sonntagsgrillerei daheim bei Sargnagels Familie (mit Margarethe Tiesel als Mutter), man sieht sie mit ihrem motorsportbegeisterten Nichtstuer-Freund im Bett herumfläzen. Das Kamerateam kommt mit auf Lesereise in österreichische und deutsche Provinznester, ist im legendären „Cafe Weidinger“ genauso dabei wie beim Fortgehen im „Schmauswaberl“. Lediglich in den festlichen Räumlichkeiten der „Burschenschaft Hysteria“ darf nicht gefilmt werden, so viel Zucht muss sein.

Hilde Dalik und Voodoo Jürgens
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Mercedes (Dalik) ist frisch verknallt in Voodoo Jürgens (Voodoo Jürgens)

Dem Schmäh und dem Tempo des Films komme zugute, dass Sargnagel viel Erfahrung mit ihren eigenen Texten vor Livepublikum habe, so Hiebler, „weil sie sie bei ihren Lesungen immer auch variiert“. Beim Dreh hatte Sargnagel für ihre eigene Rolle Improviationsfreiraum, davor hatte sie am Drehbuch mitgearbeitet, Anmerkungen geschrieben, Szenen diskutiert. „Sie hat uns Sachen dazuerzählt, die sie bei ihren Lesungen in den Überleitungen bringt, und wo sie wusste, dass das beim Publikum immer ein Lacher ist. Das haben wir eingebaut.“

Drehen in der Pandemie

Die dokumentarische Form – „wir hatten ja auch nur ein Dokubudget“, so Hiebler – war für den Dreh während des Lockdowns im November 2020 eine spezielle Herausforderung. In einem anderen Jahr hätten sich Hiebler und Ertl leichtgetan, Party- oder Demoszenen zu filmen, in der Pandemie mussten alle getestet sein. „Die Lokale hatten zu, wir konnten auf keiner echten Demo drehen, weil es keine gab, wir mussten wirklich alles komplett bespielen und befüllen. Da sind dann auch viele Freunde eingesprungen."

Nicht nur in den Hauptrollen spielen sich viele selbst, von Sargnagel über Voodoo Jürgens bis hin zu Dalik und Ostrowski. In Nebenrollen sind Wiener Kulturmenschen zu entdecken, da ist Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler als Hausmeisterin, Karl Merkatz als grantiger Nachbar und verschiedene Personen aus der Kulturbranche wie Claus Philipp, Alexander Horwath und viele andere, sogar der Sohn von Hiebler und Ertl und seine halbe Schulklasse haben mitgemacht.

Was ganz genau so passiert ist, was hier echt ist und was nur gut erfunden, ist völlig egal, auch wenn vielleicht ein paar Metaebenenschmähs ein wenig gar schwerfällig sind. Das Ergebnis ist ein hinreißend unterhaltsamer, detailverliebter Film, bei dem sich Sargnagel-Fans aller Altersstufen königlich amüsieren werden.