Szene aus „The bubble“
Catpics/Golden Girls Film
„The Bubble“

Schöne, heile Pensionistenwelt

Eine Stadt so groß wie Salzburg, nur ganz ohne Junge: „The Villages“ heißt die gigantische Pensionistenenklave in Zentralflorida, in der sich zahlungskräftige Ältere versammeln, um sich nach Jahren harter Arbeit das Leben zu versüßen. Mit starken Bildern und empathischen Interviews lässt Valerie Blankenbyl in die ungewöhnliche Community blicken. Es wäre alles so schön, wäre da nicht eine Kleinigkeit: eine ökologische Katastrophe hinter den Schranken des expandierenden Projekts.

Das Bild macht automatisch gute Laune: An die hundert quietschfidele Seniorinnen schlagen mit vollem Einsatz und viel Lebensfreude mit Trommelstöcken auf große Gymnastik-Bälle ein. Wie dieser Sport heißt erschließt sich nicht – die vergnügliche, schweißtreibende Einheit ist jedenfalls Teil des riesigen Freizeitangebots von „The Villages“, das über stolze 54 Golfplätze, 70 Swimmingpools und über 3000 Freizeitaktivitäten verfügt.

150.000 Einwohnerinnen und Einwohner wohnen hier in „Floridas Friendliest Active Adult 55+ Retirement“, zu Deutsch „Floridas freundlichstem Aktivruhestand für die Generation 55 Plus“, wie es in einer Werbung für die weltweit größte Seniorenstadt heißt. Unter der strahlenden Sonne Floridas gibt es ab 80.000 Dollar ein Haus, 150 Dollar kommen monatlich an Infrastruktur-Fixkosten dazu. In Valerie Blankenbyls Film führen nun Kamerafahrten über glattgestriegelte Vorgärten, in der Mitte die klassisch pastellfarbenen Villen, umrandet von breiten Straßen. Eine Retortenstadt, die fast surreal anmutet.

Szene aus „The bubble“
Catpics/Golden Girls Film
„Another day in Paradise“: Seniorinnen und Senioren beim Treffen im Vorgartenparadies

Siedlung ohne Alter

Die meisten, die hier wohnen, haben ihr Leben lang im kalten Norden gearbeitet und wollen nun endlich Spaß haben. „Ich habe heute fast mehr zu tun als in meinen Berufsjahren“, sagt Terry, einer der „Silver Ager“. Ein Vorteil: Man ist hier ganz unter sich, alle sind in etwa gleich alt. „Das Thema Alter existiert hier nicht“, so fasst es Toni zusammen, die seit 17 Jahren hier wohnt. Beim Synchronschwimmen zeichnen die Junggebliebenen nun akrobatische Bilder ins Wasser, sie wedeln mit Cheerleader-Puscheln und toben sich beim Karaoke aus. Jeannie, seit einer fehlgelaufenen Operation mit einseitiger Gesichtslähmung, blüht derweil beim Bauchtanzen auf.

Eine Handvoll Einwohnerinnen und Einwohner konnte die 1984 geborene Wienerin Blankenbyl in „The Village“ begleiten. In beschwingten Szenen und Interviews geben sie nun ein sympathisch-erfrischendes Bild ab. Das Management hatte die Leute eigentlich aufgefordert, den Kontakt mit der Filmcrew zu meiden, Angestellte durften nicht sprechen. Von oben gibt man sich zugeknöpft.

Unter dem Glassturz

Der Titel „The Bubble“ passt: „The Villages“ wirken ein bisschen wie ein Ableger von Peter Weirs „Truman-Show“. Die Welt hier ist schön, heil und homogen. Wenn der Krankenwagen kommt, wird die Sirene ausgeschaltet. 98,4% sind weiß, zwei Drittel haben Trump gewählt. Der „Village“-eigene Radiosender ist Partner von Fox News, die Zeitung berichtet unkritisch. Was draußen, im näheren Umfeld passiert, bekommt kaum einer mit; etwa was Lauren Ritchie, die Kolumnistin der Lokalzeitung „Orlando Sentinel“ schreibt.

Ritchie ist in „The Bubble“ die kritische Stimme, die das, wie sie sagt, „sehr merkwürdige soziale Experiment“ schon lange beobachtet. In ruhigem, bestimmtem Ton und immer auch mit leichtem Schmunzeln erzählt sie von den Anfängen des Unternehmens, das einst als kleiner Trailerpark gegründet in den 80er Jahren auf das Luxussegment umsattelte. Heute zählt die Besitzerfamilie Morse zu den Superreichen. Ihre „Villages“ stoßen auf ständig wachsende Nachfrage: Auf mittlerweile 142 Quadratkilometer erstreckt sich die Anlage, in den nächsten Jahren will man verdoppeln.

Szene aus „The bubble“
Catpics/Golden Girls Film
Terry, seit 12 Jahren Präsident des Waffenclubs, ist einer der zehn Protagonisten von „The Bubble“

Verdrängung und Umweltzerstörung

Im Gegensatz zur landläufigen Meinung der „Village“-Bewohner befindet sich im umliegenden Land aber keine „Terra Nullius“, also nicht einfach „nichts“. Die lokale Bevölkerung wird zusehends verdrängt, die uralten, mit Flechten bewachsenden Baumriesen werden gerodet. Das Projekt ist dabei, die einzigartige Flora und Fauna in Floridas Sumter County zu zerstören.

„Hier gibt es keine Moskitos“, freut sich eine Seniorin. Damit die gezähmten Naturüberbleibsel keine unerwarteten kreuchenden und fleuchenden Überraschungen bieten, wird „gesprüht“, wie es heißt. Angesichts der extensiven Lebensweise ist der Grundwasserspiegel in der Region bereits um drei Meter gesunken. Wachsende Probleme sind vorprogrammiert.

Mit ihrem Film ist Blankenbyl eine tolle Mischung aus Unterhaltung und Aufklärung gelungen. Mit starken Bildern porträtiert die Filmemacherin empathisch eine Gruppe, deren naive komme-was-da-wolle-Vergnügungslust bitter aufstößt. Während die elitäre Pensionistenwelt ein fröhliches Stelldichein feiert, sind es alle anderen, die die Folgen dieser himmelschreienden Ignoranz zu tragen haben.