Mann steht mit Mikrofon auf einer Bühne und singt, Szene aus „Rimini“
Ulrich Seidl Filmproduktion
„Rimini“

Einsame Herzen im Schneeregen

Er ist Entertainer, unwiderstehlicher Witwentröster und zärtlicher Riese im Pelz – doch dann trifft Schlagersänger Richie Bravo auf die Frau, die ihn zu Fall bringt. Was ursprünglich von Ulrich Seidl als Filmprojekt „Böse Spiele“ angekündigt war, hat sich im Schnitt zu zwei Filmen über zwei Brüder entwickelt: „Rimini“ erzählt als erster Teil von Einsamkeit und enttäuschter Liebe an der Adria.

In seinem alten Kinderzimmer hängt noch ein Bud-Spencer-Poster, im Keller stehen der Dreiradler und der Wuzeltisch, und auf dem Konzertflügel im Wohnzimmer liegt ein Spitzendeckerl, als Richie Bravo (gespielt von Michael Thomas) zurückkehrt in sein Elternhaus. Nur noch sein jüngerer Bruder Walter (Georg Friedrich) ist auch zu Besuch da. Der Vater (der 2017 verstorbene Hans-Michael Rehberg in seiner letzten Rolle) ist längst im Pflegeheim, schwer dement. Jetzt ist die Mama gestorben, die drei Männer stehen bei ihrer Verabschiedung verloren herum.

„Rimini“ beginnt nicht an der Adria, sondern im Waldviertel, mit Schneeregen, Schnaps und Trauer um etwas Verlorenes. Vielleicht ist das Verlorene die Geborgenheit, vielleicht hat diese auch nie existiert. Dabei versteht Richie viel von der Liebe, von allen möglichen Arten, besonders von der enttäuschten, der zerbrochenen, der vorgegaukelten Liebe.

Richie ist ein versoffener Schlagersänger für ergraute Damen, ein Mann mit dem verbrauchten Charme und dem robusten Körper eines Praterboxers, der im winterlichen Rimini vor ältlichen Bustouristinnen Liebeslieder singt. Die treuesten und spendabelsten Fans laden ihn danach auf ihr Hotelzimmer ein, die Konzertgage allein langt nicht für all den Schnaps, den Richie gegen die Einsamkeit trinkt.

Filmhinweis

„Rimini“ ist bei der Diagonale am Mittwoch um 20.00 Uhr in der Helmut List Halle zu sehen.

Regulär startet der im Rahmen des ORF-Film/Fernseh-Abkommens geförderte Film am Freitag in den österreichischen Kinos.

Vaterliebe, finanziell

Eines Abends steht dann aber eine Frau vor Richie, die jünger ist als seine sonstigen Bewunderinnen. Tessa (Tessa Göttlicher) ist Richies fast vergessene Tochter und verlangt finanzielle Wiedergutmachung für die vielen Jahre entgangener Vaterliebe – was Richie in noch größere existenzielle Bedrängnis bringt, als er sie ohnehin schon erlebt.

Wie Seidl gegenüber ORF.at erzählt, ist Michael Thomas die Rolle von Richie Bravo auf den Leib geschrieben. Während des Casting-Prozesses für „Import/Export“ (2007) hatte sich Thomas bei Seidl vorgestellt, und der hatte dann eigens für ihn eine Rolle umgeschrieben. Während der „Import/Export“-Dreharbeiten in der Westukraine legte Thomas dann eines Abends in einem Restaurant spontan einen Gesangsauftritt hin – und die Idee zu einem Film mit ihm als Entertainer und Witwentröster wurde geboren.

Von Rimini bis Sparta

Ursprünglich sollte Richie in einer Episode eines Films über Massentourismus auftauchen, doch wurde er Teil des Filmprojekts „Böse Spiele“ über einen Mann, der Geschäfte in Rumänien macht, und seinen Bruder, der als Schlagersänger an der Adria auftritt. Der Film über beide Brüder wurde zwischen April 2017 und Mai 2018 gedreht, am Schneidetisch entschied sich Seidl jedoch anders. Das Ergebnis sind nun zwei Filme geworden, „Rimini“ ist der erste, der zweite Film „Sparta“ mit Friedrich in der Hauptrolle ist so gut wie fertig und soll ebenfalls noch in diesem Jahr seine Uraufführung erleben.

Filmszene aus Rimini
Ulrich Seidl Filmproduktion
Frieren am Adria-Strand: Mit Schnaps und bezahlter Liebe hält sich Richie die Tristesse vom Leib

Die stellenweise Rumpfhaftigkeit des Films und manche offenen Fragen, die „Rimini“ hinterlässt, sind auf diese Entstehungsgeschichte zurückzuführen. Seidl hat sich für die Trennung entschieden, „weil ich der Überzeugung war, dass zwei Einzelfilme die bessere Lösung sind, weil man da als Zuschauer dem jeweiligen Protagonisten viel näher kommt“. Es ist nicht das erste Mal, dass Seidl so entscheidet, schon die „Paradies“-Trilogie „Glaube“, „Liebe“ und „Hoffnung“ aus den Jahren 2012 und 2013 war zunächst als ein Episodenfilm geplant.

Zärtlichkeit am Abgrund

„Rimini“ ist ein auf Ästhetik versessener Film, mit farblich durchkomponierten Tableaus von artifizieller Schönheit. Die aus dem vorgeblich Alltäglichen weiterentwickelte Künstlichkeit der Innenräume ist beredtes Abbild der seelischen Zuständen ihrer Benutzer, ob das die Pflegeheimtristesse des Vaters ist, der Siebzigerjahre-Provinzbarock in Richies Elternhaus oder sein „Villa Bravo“-Bungalow in Rimini.

Die Abgründe sind tief, und ihre Erkundung ist dort am wahrhaftigsten, wo nicht viel geschieht. Ab dem Moment, wo Richie aus Geldnot vom sympathischen, abgehalfterten Strizzi zum Täter wird und die Handlung in eine dramatische Richtung eskaliert, beginnt sich der Film jedoch von der inneren Wahrheit seines zärtlichen, wuchtigen Protagonisten zu entfernen. Vielleicht fügt sich das dann im Bruderfilm „Sparta“ zusammen.