Filmszene aus Luzifer
Ulrich Seidl Filmproduktion
„Luzifer“

Wo der Teufel im Fels wohnt

Eine gar zu intime Mutter-Sohn Beziehung, eigenwillig gedeutete katholische Frömmigkeit, wunderschöne Südtiroler Berglandschaft und Franz Rogowski, der als grobschlächtig wirkender, aber entwicklungsverzögerter und vernachlässigter Johannes brilliert – das sind die Zutaten von Peter Brunners „Luzifer“, der vergangenes Jahr beim Filmfestival Locarno den Preis der Auslandspresse gewann und nun im Rahmen der Diagonale erstmals in Österreich zu sehen ist.

Hoch oben im Gebirge leben Johannes und seine zum Glauben bekehrte Mutter Maria (Susanne Jensen). Johannes, ein kräftiger Mann mit einer Entwicklungsstörung, geht mit seinem Adler auf die Jagd und übernimmt als Faktotum alle beschwerlichen Arbeiten am rudimentären Hof. Er ist kaum auf dem Kommunikationsniveau eines Kleinkindes, versucht aber Maria zu beschützen so gut es geht.

Diese, von einer ehemaligen Suchtkrankheit und innenfamiliären Missbrauch stark gezeichnet, vermittelt ihrem Sohn die Welt rundherum in stark zugespitzten religiösen Formeln. Für ihre späte Bekehrung – Frömmigkeit und Gebet statt Schnaps und Punk – war der abwesende Dritte, der verstorbene Ehemann und Vater verantwortlich. Das Vakuum, das er hinterlassen hat, füllen Mutter und Sohn in einer Beziehung, in der sich die Rollen seltsam vermischen.

Angriff der „Wucherer“

Die Gesellschaft bleibt im Leben der beiden Einsiedler in ihrem Hochmoor auf 2400 Metern Höhe vollkommen vergessen, bis sich Übergriffe – Anrufe, Nachrichte, Störaktionen und schlußendlich Gewalttätigkeiten – eines bezeichnenderweise „Wucher“ heißenden Unternehmens mehren, das Maria ihr Land für die Verwertung als Schigebiet abkaufen oder vielmehr abpressen will.

Filmszene aus Luzifer
Ulrich Seidl Filmproduktion
Selbstvergessen und verstrickt: Johannes und Maria

Es ist die große Stärke des Films, dass die sich die immer weiter zuspitzende und immer verstörendere Situation des ungewöhnlichen Paares nicht auf vorhersehbare Art entlädt. Während der erste Teil des Films in der quälenden Verdichtung der verkorksten Beziehung – fanatisch religiöse Mutter einerseits, kognitiv beeinträchtigter Sohn andererseits – ins Belanglose zu kippen droht, werden die Vorausdeutungen einer unkontrollierten Rache Johannes’, der in allem nur „den Teufel“ sehen will, geschickt unterlaufen.

Die mutige Dramaturgie, die Tschechows Gewehr – wird eine Waffe im ersten Akt eingeführt, muss sie im letzten benutzt werden – nicht auf den Leim geht, schlägt ihre Funken aus der Entfaltung des schon ganz am Anfang angelegten Konfliktes. Denn dass Maria Johannes genauso wenig Mutter, Vater, Priesterin, Lehrerin und Geliebte in einem sein kann, wie er ihr Sohn, Beschützer und Arzt, birgt genug psychoanalytischen Zunder für ein großes Feuerwerk der Stimmungen und Bilder.

Eine Pastorin als Laiendarstellerin

Regisseur Brunner setzt dabei voll und ganz auf seine Darsteller: Während Rogowski etwa für Christian Petzold (zuletzt in „Undine“) und in Sebastian Meises in Cannes mit dem Un Certain Regard Jury Preis ausgezeichnetem „Große Freiheit“ bewiesen hat, dass er einer der großen Charakterdarsteller unserer Zeit ist, spielt mit Jensen eine Laiendarstellerin mit, die in den Worten des Regisseurs als „Pastorin der Nordkirche, Missbrauchsüberlebende, Künstlerin und Ausnahmepersönlichkeit“ für die Rolle prädestiniert war.

Filmhinweis

„Luzifer“ wird im Rahmen der Diagonale noch am 10. April um 13:30 Uhr im KIZ Royale 2 gezeigt.

Regulär startet der im Rahmen des ORF-Film/Fernseh-Abkommens geförderte Film am 22. April 2022 in den österreichischen Kinos.

„Ich habe sehr lange nach einem Menschen gesucht, der die komplexe Gefühlswelt dieser unkonventionellen Mutterfigur echt machen kann und eine wahre Tiefe für diese wahre Geschichte sein kann und will,“ so Brunner, der sich in „Luzifer“ an einer wahren Begebenheit orientierte.

Technische Schwärme als Metapher

Der zweite Konflikt in diesem spannungsreichem Drama ist jener zwischen Gesellschaft und Außenseitern. Vereinzelte Figuren, wie die Tierärztin mit der Johannes eine ungewöhnliche Romanze pflegt und ein benachbarter Aussteiger vermitteln zwischen den Welten. Die kapitalistische Mehrheitsgesellschaft kommt aber dennoch nur über ihre zerstörerischen Gewinninteressen in Berührung mit den beiden beschädigten Frömmlern.

Drohnen mit Kameras, die zuerst vereinzelt, später als Schwärme als harte technologische Metapher einen Gegenpol zu Johannes’ Adler und zu seiner Isoliertheit bilden, sind nur die sichtbaren Vorboten des angedeuteten finalen Kampfes zwischen Natur und Kapital, der zum Glück nicht in aller Deutlichkeit ausgewalzt wird und so diesem schönen, fast im antiken Sinne tragischen Film nicht die Luft abschnüren kann.