Diagonale Panel „Female Gaze“
Diagonale/Silvia Hoedl
„Female Perspectives“

Das Korsett der Kaiserin

Von selbst wird die Arthouse-Filmlandschaft nur sehr zögerlich diverser, immer wieder sind es ähnliche Geschichten, ähnliche Protagonistinnen und Protagonisten, vor und hinter der Kamera. Wie es anders gehen kann, wurde bei der Diagonale intensiv diskutiert.

Das Bild, das andere sich von ihr machten, war hochpolitisch: Die historische Kaiserin Elisabeth stand ihr Erwachsenenleben lang unter dem Druck, Erwartungen an ihre Schönheit erfüllen zu müssen. Manche davon hatte sie selbst durch das sorgfältige Kuratieren ihres Äußeren geweckt, ihre berüchtigt schmale „Wiener Taille“ etwa, die Betonung ihrer hohen, schlanken Figur, ihre Sportlichkeit und die legendären Haare.

Irgendwann einmal passten das öffentliche Bild der Kaiserin und ihr Selbstbild jedoch nicht mehr zusammen mit den körperlichen Begebenheiten einer älter werdenden Frau. Unter anderem von diesem Konflikt handelt der Film „Corsage“, der am 10. Juni ins Kino kommt. Die kaiserliche Hauptrolle spielt Vicky Krieps, von der auch die Idee zu einem Film über die ältere Kaiserin stammte, Regie führte Marie Kreutzer („Der Boden unter den Füßen“).

„Mich hat daran interessiert, dass man sie auf ein ein Bild reduziert hat. Sie war die einzige, die Macht über dieses Bild hatte, aber irgendwann eben nicht mehr“, so Kreutzer bei der Diagonale über ihren Film. Anlass war eine vom Verein „FC Gloria – Frauen Vernetzung Film“ initiierte Diskussionsveranstaltung über feministische Filmsprache und darüber, welche Bilder und Gestaltungsmittel es braucht, um die Welt auch in Filmen vor und hinter der Kamera so vielfältig abzubilden, wie sie in Wirklichkeit ist.

Besser interessant als sympathisch

Der Filmfigur Elisabeth werde von manchen, die den Film bereits gesehen haben, vorgeworfen, sie sei nicht sympathisch genug, so Kreutzer. „Aber mir ist das Wichtigste bei jedem Film, nicht großartige Heldinnen zu zeigen, sondern widersprüchliche Figuren.“ Um dafür die geeignete Bildsprache zu finden, ging Kreutzer hier einen drastischen Weg: Für eine realistische Darstellung der Zwänge, denen die Kaiserin ausgesetzt war, ließ sich Hauptdarstellerin Krieps jeden Drehtag in ein Korsett einschnüren.

„Sie konnte darin kaum die Arme heben, sie konnte in den Pausen nicht sitzen, nur liegen, und an manchen Tagen bekam sie kaum Luft. Es war sehr heftig“, so Kreutzer. Nicht nur Krieps’ Körperhaltung, sogar ihre Stimme veränderte sich durch die Schnürung. Doch die brutale Einschränkung war sowohl Krieps als auch Regisseurin Kreutzer wichtig, als Metapher auch für das Korsett des höfischen Reglements.

Eingeengt durch Konventionen

Die deutsche Dokumentarfilmregisseurin und Mitdiskutantin Isa Willinger erinnerte an die ukrainische Regielegende Kira Muratova und deren These, dass Regisseurinnen die härteren, unerbittlicheren Filme machen, auch aufgrund der Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen vieler Frauen. Die Strenge des Korsetts in „Corsage“ erinnert hier auch an das unausgesprochene Regelwerk einer Filmsprache, die gesellschaftliche Normen reproduziert.

Ausstellungshinweis

Diagonale Panel „Female Gaze“
Forum Startpark

Dieses Plakat hängt in der Ausstellung „Film und Kino in der Steiermark“, die begleitend zur Diagonale stattfindet, und wirkt wie ein historischer Kommentar zur aktuellen Debatte. Bereits bei den „5. Grazer Filmtagen“ im November 1977 gab es ein Programm zu „Frauensprache – Männersprache. Männerfilm – Frauenfilm“.

Diesen Konventionen entsprechend sind Frauenfiguren eher passiv und über ihre Beziehungen zu Männern dargestellt, während männliche Helden aktiv und über ihre Taten definiert werden. Als erste identifiziert hat diesen „male gaze“, den männlichen Blick des Kinos, die amerikanische Filmwissenschafterin Laura Mulvey im Jahr 1975 in ihrem berühmten Aufsatz „Visuelle Lust und narratives Kino“. Wirksam sind diese Regeln bis heute in vielen Filmen.

Gemeinsam ist vielen Filmemacherinnen bis heute die Forderung nach einer „neuen feministischen Grammatik des Filmschaffens“, wie es die französische Regisseurin Céline Sciamma ("Porträt einer jungen Frau in Flammen“) in vielziterten Interviews formuliert hat. Bei der Diagonale drehte sich die Diskussion immer wieder um die Kenntnis von Lebensrealitäten, die zum Verfassen eines Drehbuchs ebenso hilfreich und sinnvoll ist wie zur Darstellung einer Figur.

Dabei geht es nicht darum, Tabus aufzustellen, sondern darum, die Diversität jener Gruppe zu erweitern, die vor und hinter der Kamera zu Wort kommt. Auf die Publikumsfrage, ob es auch in Österreich schon „so weit gekommen sei, das nichtjüdische Schauspieler keine Juden spielen dürfen, oder nichtlesbische Regisseurinnen keine lesbischen Liebesszenen inszenieren“, reagierte Kreutzer belustigt: „Ich werde viel öfter gefragt, ob das ein Problem ist, als es das tatsächlich ist.“

Drehbücher auf Herz und Nieren prüfen

Schauspielerin Marie Noel ergänzte, „Prinzipiell ist es natürlich der Job von Schauspielerinnen und Schauspielerin, andere Menschen darzustellen. Österreich ist aber [in Sachen Diversität, Anm.] ohnehin zehn Schritte hinter anderen Ländern.“ Noel ist Ko-Initiatorin des Schreibkollektivs „Melanin Scripts“ und wurde für eine große Warner-Kinoproduktion als Sensivity Reader engagiert, soll also ein Drehbuch auf rassistische oder sonstwie diskriminierende Aspekte überprüfen.

Diagonale Panel „Female Gaze“
Diagonale/Silvia Hoedl
Produzent Frank Buchs mit Schauspielerin Marie Noel, Filmvertriebs-Chefin Salma Abdalla und Regisseurin Elisabeth Scharang

Noel berichtete davon, dass sie oder ihre Kolleginnen von „Melanin Scripts“ immer wieder sehr kurz vor Drehstart als Diversity Consultant engagiert werden, um ein Drehbuch zu begutachte, „oft erst eine Woche vor Drehstart, was nur Stress verursacht und wenig bringt." Dabei ließe sich gerade mit Filmprojekten, die nicht nur pro forma sondern tatsächlich auf Diversität achten, durchaus Geld verdienen, sagte Salma Abdalla, die als Geschäftsführerin des Dokumentarfilmvertriebs Autlook die wirtschaftliche Perspektive vertrat.

Abdalla stellte vor allem den Streamingplattformen in Sachen Diversität ein gutes Zeugnis aus, gerade weil die nach wirtschaftlichen Kriterien agieren, denn „offenbar gibt es ein Publikum, das das will.“ Streamer haben den Vorteil, so Abdalla, mit viel Geld Dinge schnell umsetzen zu können. „Im Arthousebereich ist man da im Vergleich sehr behäbig“ – zum einen, weil es sehr viel weniger Geld gebe, zum anderen weil die arrivierte Filmschaffende ihre Plätze an den Fördertöpfen nicht aufgeben wollen. Zumindest bei einem Teil der Branche war bei der Diskussion der Wille zur Veränderung spürbar.