Szene aus „3 Episodes of Life“
Nurith Wagner-Strauss
„3 Episodes of Life“

Demütigungsorgie zur „#MeToo“-Debatte

Der schwedische Videokünstler Markus Öhrn thematisiert in seiner Videoperformance „#MeToo“-Momente in der Kunst: Mit Nutella als Ersatz für Kot und anderen Körperflüssigkeiten zitiert er bei der Festwochen-Uraufführung „3 Episodes of Life“ die Wiener Aktionisten – ohne formal über deren Blick hinauszuwachsen.

Öhrn sucht die Provokation. Seine Akteure und Akteurinnen, deren Köpfe er gerne unter riesigen Pappmaschemasken verschwinden lässt, bringen Verstörendes auf die Bühne. So befasste sich sein Stück „Conte D’Amour“ bei den Festwochen 2012 etwa mit Josef Fritzl, wie überhaupt Missbrauch und Gewalt wiederkehrende Themen im Schaffen Öhrns sind.

Der erste Abend seiner aktuellen, dreiteiligen Videoperformance „3 Episodes of Life“ beginnt da vergleichsweise harmonisch: Im Eingangsbereich des neuen Festwochen-Spielorts Studio Moliere empfängt die Besucherinnen und Besucher klassische Musik. In der luftigen Halle sitzt ein Maskenmann am Steinway-Flügel, neben ihm bewegt eine Frau im Minikleid die Hände vor einem kleinen Kasten, einem Theremin, das Bewegungen in Töne umwandelt.

Karneval der Sexpuppen

Die beiden spielen zwei Kapitel aus Camille Saint-Saens „Karneval der Tiere“. Ungewohnt in dieser Besetzung und berührend, gerade weil die Musiker so grotesk wirken. Ihre groben Masken mit den schlauchbootartig aufgewölbten Lippen erinnern an Sexpuppen, die nur zu einem einzigen Zweck hergestellt wurden. Doch nun sind sie hier und machen die schönste Musik.

Gegen halb neun ist Einlass in den Theatersaal. Dorit Chrysler, so heißt die wunderbare Thereminspielerin, und ihr musikalischer Partner Arno Waschk, nun am Synthesizer, stehen bereits auf der Bühne, einem weißen Guckkasten, an dessen Ende eine zuvor aufgezeichnete Videoperformance gebeamt wird. „Silent Movie Theatre“ nennt Öhrn diese Konstruktion, deren Handlung immer wieder durch englisch/deutsche Zwischentitel unterbrochen wird. Über den Bühnenboden kriecht weißer Nebel – und was folgt, ist tatsächlich eine Art Horrorfilm, der einen Teil des Publikums fluchtartig den Saal verlassen lässt.

Markus Öhrn

Schwedischer Film-, Video- und Theatermacher, geboren 1972, lebt und arbeitet im schwedischen Dorf Niskanpää, in Helsinki und Berlin. Öhrns Videoinstallationen laufen mit großem Erfolg in Museen und auf internationalen Festivals. Neben den an drei aufeinander folgenden Abenden gezeigten „3 Episodes of Life“ haben die Festwochen 2019 auch seine Installation „Bergmann in Uganda“ im Programm.

„Fickt den Boden!“

Projiziert in den weißen Raum sieht man wiederum einen weißen Raum: Hier probt ein Tanzensemble. Drei Frauen dehnen und biegen sich auf dem Boden, eine vierte, die „Neue“ (dargestellt von Florentina Holzinger), kommt dazu, will gefallen und Teil der Truppe sein. Auch sie tragen alle Pappmaschemasken mit aufgerissenen Augen und gewölbten Lippen, die die betonte „Sexyness“ ihrer Posen grotesk wirken lässt. Den Probenraum betritt nun der Regisseur „Julius Jantunen“ (dargestellt von Jakob Öhrmann), dessen fiktiven Wikipedia-Eintrag das Festwochenpublikum schon an der Garderobe ausgehändigt bekam: Jantunen, heißt es da, sei ein „Provokations-Künstler“, der „Themen der Angst, der Liebe und des Hasses von Frauen“ untersucht. Jantunen könnte mit seiner Maske und den ebenfalls langen blonden Haaren als Horror-Alter-Ego des Regisseurs Öhrn durchgehen, in dessen Onlinebeschreibungen sich ähnliche Passagen finden.

Doch ganz anders als der androgyne Öhrn, gibt sich seine Kunstfigur Jantunen ungeniert als Macho, der sich breitbeinig vor die Performerinnen stellt und (via Zwischentitel) ruft: „Lasst alles raus! Fickt den Boden! Braves Mädchen!“ Der Theatermacher als Kraftgenie, das die Performerinnen zur Grenzüberschreitung zwingt. Jantunen tätschelt die Tänzerinnen. Bald fallen die Oberteile. Dann die Hosen.

Die in New York lebende, gebürtige Österreicherin Dorit Chrysler gilt als eine der besten Thereminspielerinnen der Welt. Der von ihr gemeinsam mit Arno Waschk (Klavier) komponierte Soundtrack ist der eigentliche Höhepunkt des Abends.
Maya McKechneay
Die in New York lebende, gebürtige Österreicherin Dorit Chrysler gilt als eine der besten Thereminspielerinnen der Welt. Der von ihr gemeinsam mit Arno Waschk (Klavier) komponierte Soundtrack ist der eigentliche Höhepunkt des Abends.

Ein türkisfarbenes Tamponbändchen baumelt zwischen den Beinen einer Tänzerin. Und während der Macho-Darsteller sich zufrieden den Schritt reibt, versuchen sich die Frauen gegenseitig zu überbieten: Welche ist enthemmter, welche geht weiter aus sich heraus? Die Zuschauer im Studio Moliere fühlen sich unwohl, man hört es tuscheln und schnaufen. Die Kamera, die die Tänzerinnen umkreist, blickt unverhohlen in alle Öffnungen und macht sich so zum Komplizen des Regisseurs.

Hinweis

„3 Episodes of Life – Episode 1“ ist noch am 17., 24. und 31. Mai jeweils um 20.30 Uhr im Studio Moliere zu sehen. „Episode 2“ wird am 13., 18. und 25. Mai gezeigt, „Episode 3“ am 14., 19. und 26. Mai sowie am 2. Juni. Am 9. Juni um 16.00 Uhr sind alle drei Episoden am Stück zu sehen.

Scheitern wie Otto Mühl

Nur einmal folgt der Kamerablick der Neuen (Holzinger) aufs Klo, wo diese pisst, kackt und heult. So hat sie sich ihren neuen Job nicht vorgestellt. In diesem jammervollen Zusammenbruch konzentriert sich Öhrns Kritik an den partriarchalen Machtstrukturen der freien Theaterszene. Am Ende des Videos bleibt ein Schlachtfeld aus Nutella, Kunstblut und Sperma (Sirup?). Allesamt Substanzen, die die Performerinnen sich während der rund 45 Minuten gegenseitig in ihren Körperritzen verteilt haben.

Rückblickend erinnert dieser Abend, an dem nackte Frauenkörper unter männlicher Anleitung mit Lebensmitteln bestreut, bespritzt und beschmiert wurden, an die Materialaktionen Otto Mühls in den 60er Jahren. Gedacht als revolutionäre Befreiungspose replizierten sie damals unwillkürlich die alten Machtstrukturen: Der männliche Künstler unterwarf das weibliche Modell seiner Vision.

Szene aus „3 Episodes of Life“
Nurith Wagner-Strauss

Kritik repliziert das System

Nun sind Öhrns Performerinnen (Florentina Holzinger, Netti Nöganen, Antonia Steffens, Janet Rothe) selbst Künstlerinnen von Rang und Namen. Und gerade Holzinger, die die Hauptrolle des „neuen Mädchens“ spielt, und als Shootingstar der neuen Tanzszene Wiens gilt, geht in ihren eigenen Performances ebenso wenig zimperlich mit ihrem Körper um.

Und trotzdem: Man wird (zumindest bis zum Ende der ersten Episode) den Eindruck nicht los, dass hier etwas wiederholt wird, was man kennt. Dass sich nämlich in der Kritik an den patriarchalen Macht und am Missbrauch das System repliziert: Frauen überschreiten ihre Körpergrenzen. Doch im Programmheft steht zuoberst der Name des männlichen Künstlers. Wie die Geschichte in Episode zwei und drei weitergeht, und ob die Kritik dort besser greift, bleibt abzuwarten.