Szene aus „Contes Immoreaux“
Jean-Luc Beaujault
„Contes Immoraux“

Eine Superheldin für Europa

Im unmittelbaren Vorfeld der EU-Wahl am Sonntag hat das Festwochen-Gastspiel der documenta14-Produktion „Contes Immoraux – Partie 1: Maison Mere“ geradezu ideal seinen Platz gefunden. Die französische Transgenderkünstlerin Phia Menard baut in der Performance als „Wonder Woman“ mit bloßen Händen ein gewaltiges Schutzhaus für Europa.

Menard – Tänzerin, Jongleurin, Schauspielerin – wurde als Mann geboren und thematisierte ihre Auseinandersetzung mit der Geschlechteridentität und ihre 2008 schließlich umgesetzte Geschlechtsumwandlung immer wieder in ihren Arbeiten. Für die documenta14 2017 in Kassel und Athen konzipierte sie ihre Arbeit „Contes Immoraux – Partie 1: Maison Mere“ und stellte Überlegungen zu politischen Fragen ins Zentrum.

Das Motto der documenta hätte „Von Athen lernen“ gelautet – also sei sie in die griechische Hauptstadt gefahren, so Menard in einem Interview mit dem Sender Arte zu ihrer Arbeit. Der Parthenon habe sie schließlich zur Entwicklung ihres documenta-Konzepts inspiriert, erklärt sie. „Für mich ist der Parthenon ein Symbol. Die Göttin Athena beschützt mit diesem Haus die Stadt Athen. Zugleich benützt die UNESCO den Parthenon als ein starkes Bild für Europa, das weltweit für einen geschützten Raum steht.“ Es steht für Menard aber nicht nur für Europa, sondern soll auch Assoziationen mit behelfsmäßigen Unterkünften von Obdachlosen und Flüchtlingen erinnern.

Hausbau mit Kettensäge und Gafferband

Der Parthenon in ihrer Inszenierung muss nun aber erst einmal geschaffen werden. In einem Superheldinnenkostüm – einer wilden Mischung aus Wonder Woman, Sciencie-Fiction-Pallas-Athene gleichend – wuchtet Menard riesige Kartonteile über die Bühne. Was an sich wenig ereignisreich klingt, lässt doch über eine Stunde lang gebannt mitfiebern. Immer wieder steht das Projekt auf der Kippe – im wahrsten Sinne des Wortes. Immer wieder stellt sich die Frage, ob manche Missionen nicht zum Scheitern verurteilt sein könnten oder ob der programmierte Kraftakt nicht einfach überfordert.

Hinweis:

„Contes Immoraux – Partie 1 : Maison Mere“ ist bei den Festwochen noch am 24. und 25. Mai, jeweils um 20.30 Uhr in der Halle G im MuseumsQuartier zu sehen. Am 24. Mai findet im Anschluss an die Vorstellung ein Publikumsgespräch statt.

Menards Hausbau ist sorgfältig choreografiert und doch unberechenbaren Materialien ausgesetzt. Die von Raummikrophonen echoartig gespiegelten Geräusche des Hausbaus – das Abreißen des Klebebandes, das Wuchten der riesigen Kartonteile und die geübte Führung der Kettensäge – bilden den Soundtrack zum Abend.

Am Aufbau der Performance lässt sich die Vergangenheit der Künstlerin in der Zirkusszene erkennen – scheitern, scheitern, scheitern – das ewige Clownmotiv setzt hier seine volle Entfaltung ein. Und auch das Ende nimmt Anleihen bei der clownesken Tradition – dann, wenn das Haus trotz aller Umsicht untergehen muss.