Martin Wuttke mit gezogener Waffer vor Pferd
Reinhard Werner
Rene Pollesch

Kein Rauchverbot für Lipizzaner

Rene Pollesch sattelt die Pferde neu, ja stellt ein ganzes Stück bei der Uraufführung in Wien auf den Rücken von sieben Lipizzanern, die mit den Ohren wackeln können und aus den Nüstern rauchen. Das Publikum bekommt über 90 Minuten eine Cavalleria Rusticana durch die Bücher, die den Autor zuletzt interessiert haben – oder ihn seit den 90er Jahren verfolgen.

Was hilft alle Philosophie bei den großen Lebensfragen – zumal dann, wenn man so viele Bücher mit Ballaststoff zwischen Foucault, Lacan und anderen Großnamen gelesen hat. „Deponie Highfield“ heißt das neue Stück von Rene Pollesch, der sich gerade anschicken könnte, neuer Berliner Volksbühnen-Intendant im Urgeist der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zu werden. Und dieser Geist besagt: Großes Denken und Thesenstücke verpacke man immer in viel Slapstick – und wenn es nicht großes Denken ist, dann war es zumindest guter Slapstick oder einer, der den Besucher mit einer prallen Lade an Zitaten oder Kalauern ausstattet, mit denen man dann lustvoll in die Nacht rausziehen kann.

Wer braucht auch schon Philosophiegeschichte, wenn man doch alles ganz einfach formulieren kann: „Die ganze Entwicklung ist ein Weg nach Westen. Bis man in Kalifornien war. Dann stand man am Pazifik, nur von dort ging’s dann nicht mehr weiter.“

Kathrin Angerer im neuen Polleschstück vor weißen Pferden
Reinhard Werner
Kathrin Angerer wird schon recht bald vor den sieben Lipizzanern zum Schluss kommen: „Ich möchte lieber über Elefanten reden.“

Und am Pazifik stehen heute die Software-Giganten, die den Diskurs der Macht mit ihren Programmierungen mit stützen. Dabei will man vielleicht mit Pollesch, was Linke immer schon erträumten: anders denken, „neue Quellen anzapfen“ oder wie es Martin Wuttke mit Stetson und Cowboyboots am Rücken des weißen Gaules formuliert: „Wir müssen das Leben von der Müllkippe aus denken.“ Also runter mit den Erwartungen – und mal weg mit dem Blick, dass alles bergauf gehen oder Sinn machen müsse.

Lustvolle Sinnzerfledderung

„Deponie Highfield“ bedient Wunsch und Erwartung an diese Form von Fantheater, bei dem man über 90 Minuten in den Prozess lustvoller Sinnzerfledderungen versetzt wird und miterleben kann, wie sich sogar die Besten des Faches in der Polleschen Versatzteilwüste verheddern. Irina Sulaver kapituliert als eines von vier Cowgirls als Erste bei einem Text, der, wie er sagt, die Fragen der Repräsentation neu stellen wolle.

Repräsentation ist bei Pollesch dann aber doch etwas grundsätzlicher gefasst als in den Lektürehilfen, die er im Programmheft mit anregt: „Ich versuche die Grundzüge der Repräsentation herauszufinden, warum ich dich so schnell vergessen habe. Verstehst du?“ Nein, möchte man sagen, denn es ist so wie an einem Abend, wo man zu spät bei einem kollektiven Essen auftaucht und zwei Gäste besonders laut mit ihrem Wissen prahlen.

Hinweis:

„Deponie Highfield“ ist im Rahmen der Festwochen noch an acht Terminen zu sehen und danach Teil des regulären Spielplans von Burg- und Akademietheater.

Das Wichtige findet nebenan statt

Bei Pollesch wird aus solchen Konstellationen Theater, das noch dazu die Relevanz der ganzen Institution befragt. Ist gutes Theater nur das, bei dem man eine halbe Woche nach dem Stück noch im Bann der aufgeworfenen Themen steht, hört man da etwa. Keine Gefahr bei „Deponie Highfield“. Was auch wenig Wunder nimmt, denn: „Die Leute gehen ins Theater, doch das Wichtige findet nebenan statt.“ Das ist ein treffender Satz. Theater kann eine Auszeit sein oder auch ein Sinnloch gegen eine durch und durch auf Funktionieren getaktete Welt. Hier erlebt man ein Stück, das in der Struktur eines Vorabendwesterns gebaut ist: Intro, Auftritt starker Typen, die aber ihre Rolle nicht kennen, Befragung des Sinns der Welt – dazwischen Schießereien. Und schließlich: ein irgendwie glorreiches Ende.

Wie in jedem guten Western ist es nicht der Plot, es sind die Charaktere, die das Format tragen. Kathrin Angerer, Caroline Peters, Birgit Minichmayr und Martin Wuttke stehen mit ihren Staffage-Pferden in einem eigentümlichen Wettkampf. Wer vermag als erster über die Ziellinie zu kommen, ohne dabei vom Text abgeworfen zu werden? Am Ende sind alle irgendwie ermattet. Und ernten dennoch lebhaften Applaus.

Man bekam alles, was man erwarten durfte. Und wenn sich in diesen Tagen, „Lipica“ auf „Ibiza“ reimt, dann ist es ein besonderer Schenkelklopfer.