Szenenbild aus Sibylle Bergs und Edsan Mandags Hass Triptychon
© Judith Buss 2019
Sibylle Berg und Ersan Mondtag

Fröhliche Hassorgie der Abgehängten

Wenn Ersan Mondtag zur Welturaufführung auf der Bühne mit einem Sibylle-Berg-Text lockt, sind die Erwartungen hoch. Doch das ersehnte Highlight der Festwochen erfüllte die Hoffnungen nicht ganz: Die pointierten Szenen gingen auf Kosten der Handlung in diesem Spiel zwischen Depression, heiterem Musical-Modus und Hassorgie.

Ersan Mondtag spaltet die Gemüter. Seine spezielle Ästhetik setzt lieber auf opulent-magische Bühnenbilder als auf ausgefeilte Psychologie, was auch schon in seiner ersten Zusammenarbeit mit Sibylle Berg mit dem Titel „Wonderland Ave“ bemäkelt wurde: Das grandios anspielungsreiche Museum, das Mondtag da im Vorjahr auf die Bühne gestellt hatte, konnte dem Gros der Kritiker zufolge nicht über eine schablonenhafte Inszenierung hinweghelfen. In Sachen Ausstattung schürt „Hass-Triptychon“ schon vor Beginn ähnliche Erwartungen: Zehn Skelette sitzen im Zuschauerraum verteilt, flankiert von mächtigen, blutrot beleuchteten Strommasten.

Das Horrorkabinett, das hier auf der Volkstheater-Bühne steht, ist jedoch überraschend reduziert: ein Papp-Spukschloss wie aus Hollywoods Trash-Kiste, im billigen Geisterbahnstil, stilecht mit einem lauten Donnergrollen eingeführt. Alles nur (billige) Fassade? Wer will, kann das Bühnenbild als Metapher einer grotesk-dystopischen Welt lesen, die hier zur Aufführung gelangt – ganz in Sibylle-Berg-Manier. Nicht erst seit dem brutalen Kulturpessimismus-Roman „GRM“ ist die deutsch-schweizerische Autorin berüchtigt für solche und ähnliche Gegenwartsdiagnosen. Und auch in „Hass-Triptychon“ mangelt es nicht an Brutalitäten, die jedoch deutlich abgefedert zur Geltung kommen.

Sibylle Berg bei den Wiener Festwochen

Sybille Bergs „Hass-Triptychon – Wege aus der Krise“ ist bei den Festwochen in der Inszenierung von Regisseur Ersan Mondtag zu sehen.

Schräge Troll-Truppe, Generation Hoffnungslosigkeit

Passend zur Horror-Trash-Bühnenästhetik – das wiederum ganz typisch Ersan Mondtag – werden zu Beginn sechs einschlägige Gestalten vorstellig: Die Kreaturen im Troll- und Kobold-Stil mit überdimensionierten Ohren, ausgestopften Körpern und bunter Hautfarbe wirken nur einen kurzen Moment schreckenerregend.

Rasch entpuppt sich die heterogene Truppe als altersübergreifende Generation Hoffnungslosigkeit: Da ist eine „Alkoholikerin der Herzen“, für die kein Platz mehr vorgesehen ist, ein Mann in den besten Jahren (aber „die fühlen sich geht-so an“), der „Content für die Wasserwerke“ herstellt, oder ein Homosexueller, der einst ein guter Kindergärtner war, aber jetzt von einer Reihe „Teilzeitscheißjobs“ lebt.

Dieser Chor jämmerlicher Menschleins steht für die abgestiegene Mittelschicht, die, durch Digitalisierung, Outsourcing und Arbeitslosigkeit perspektiven- und hoffnungslos geworden, den Schein kaum mehr aufrechterhalten kann. Sie wohnen nahe einem Autozubringer, in einem Ort, in der die Fußgängerzone das „architektonische Highlight“ ist, wo kaum etwas über die eigene Verlorenheit hinweghelfen kann.

Benny Claessens schillert als „Hassmaster“

„Hallo, ich bin nichts“: Dass die Tristesse dieser gebrochenen Gesellschaft dennoch kaum über die Bühnenrampe kommt, liegt an der grotesken Zuspitzung, die letzten Endes auch zum Problem des Abends wird. Als „Hassmaster“ führt ein schillernder Benny Claessens durch den Abend, angesiedelt zwischen Eso-Guru, Bühnentyrann und verständnisvollem Gruppenleiter. In Gestalt einer queeren Drag-Diva treibt er den schrägen Troll-Chor über die Drehbühne, durch Musical-Einlagen und die drei Flügel des „Hass-Triptychons“, die im Skript als Anamnese, Diagnose und Therapie gelistet sind.

Ganz so klar vermittelt sich nicht, was die Abschnitte eins und zwei voneinander trennt – und auch so manch anderes bleibt im Unklaren. Handlung und Textverständnis verpuffen bisweilen im Äther der Pointierung: Die Performance ist stellenweise doch zu schrill, der postdramatisch vorgetragene Text zu erratisch und die vorgetragenen Songs immer wieder nur dank der englischen Übertitel verständlich, was in den zwei Stunden zu gewissen Ermüdungserscheinungen führt.

Eine Parabel auf Soziale Medien

Als Befreiungsschlag präsentiert sich dann die abrupt einsetzende Schlusssequenz – für die Troll-Truppe wie für das Publikum gleichermaßen. „Mit jedem Tag werden wir wütender“, heißt es plötzlich. Das Stichwort für den „Hassmaster“, der hier seine brachiale Therapie ansetzt: die Bewaffnung dieser abgeschlagenen Mittelschicht. Eine vormals eingeschüchterte Truppe zieht nun gelöst mit Gewehren oder gezücktem Zeigefinger über die Drehbühne und metzelt jeden nieder, die ihr in die Quere kommt.

„Hass-Triptychon“ im Wiener Volkstheater

Er wird vom Publikum und seiner Kritik geliebt wie gehasst: der deutsche Theatermacher Ersan Mondtag.

Eine Gesellschaft ohne Hoffnung, in der Gewalt letztlich die einzige Lösung bleibt: Sibylle Bergs Gegenwartsdiagnose ist wie gewohnt fatalistisch und treffsicher zuspitzt. Wer will, der kann das abgedreht-bunte „Hass-Triptychon“ auch als Parabel auf Digitalisierung und Soziale Medien lesen. Jeder produziert Content, jeder palavert vor sich hin, und irgendwann explodiert es. Die Trolle, sie treten dann nicht mehr nur als ärmliche Gestalten in Erscheinung, sie geben sich auch als digitale Störenfriede zu erkennen.