Szene aus „Sopro“
Filipe Ferrreira
„Sopro“

Die Sanftheit des Soufflierens

Schon 2016 zeigte der portugiesische Theatermacher Tiago Rodrigues bei den Wiener Festwochen, wie man mit wenigen Mitteln die Wundermaschine Theater zum Laufen bringen kann. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten ist das auch bei „Sopro“ nicht anders: Ein Stück als zarte Würdigung des Theaters und jener Menschen, die dort arbeiten – mit einer Souffleuse als Heldin des Abends.

Weiße Vorhänge, eine rote Chaiselongue, dazwischen ein paar Büschel hohes Gras, die andeuten, dass sich die Natur wieder ihren Raum zurückerobert hat: In diesem dürftig-reduzierten Bühnenbild hat Tiago Rodrigues, Regisseur und Intendant des Lissabonner Teatro Nacional sein neues Stück „Sopro“ angesiedelt, das am Freitag seine Österreich-Premiere am Theater an der Wien feierte. Warum das so aussieht, wird etwas später erklärt: So stellt sich Rodrigues das europäische Nationaltheater von 2080 vor – als eine Ruine, von Kürzungen ausgehöhlt, ein Ort der Gespenster.

Wiederbelebung des Theaterzaubers

Um den Theaterzauber wiederzubeleben und die zerfallene Theaterfamilie zu beschwören, hat Rodrigues die Souffleuse Cristina Vidal gewählt. Sie arbeitet seit 1978 am Lissaboner Theater und federt einiges an Sentimentalität ab, die in der Grundidee des Stücks begraben liegt: Vidal – ca. 60, kurze, grau melierte Haare, im weit geschnittenen schwarzen Hosenanzug – ist weit von so etwas wie Bühnen-Glamour entfernt und zieht mit ihrer Mischung aus Resolutheit, gewissenhafter Zurückhaltung und offenkundiger Lebenserfahrung dennoch gleich in den Bann.

Szene aus „Sopro“
Filipe Ferrreira
Vidal spricht konsequenterweise selbst keinen Text, als ihr Sprachrohr fungiert ein junger Schauspielertrupp

Das Prinzip von „Sopro“ ist ähnlich wie das von Hans Andreas Guttners Burgtheater-Doku „Die Burg“, die Anfang des Jahres im Kino zu sehen war: Vor den Vorhang holen, was sonst im Dunklen bleibt und damit den Theaterbetrieb gebührend zu würdigen. Was „Die Burg“ über die Darstellung der vielen ineinandergreifenden Zahnrädchen machte – vom Billeteur über die Maskenbildnerin bis hin zur Schauspielerin – wird bei „Sopro“ über Vidals Erinnerungen aufgerollt, die von einem Trupp fünf junger Schauspielerinnen und Schauspieler zum Leben erweckt werden.

Hermetische Originaltextszenen, lustige Anekdoten

Alle fünf schlüpfen hier in die Rolle der Souffleuse – und in die der anderen Figuren, von denen sie erzählt. Vidal zieht die Fäden im Hintergrund. Wie auch sonst in ihrem Beruf flüstert sie ihnen den Text ins Ohr, haucht ihn ihnen zu – vom portugiesischen „Hauch“ leitet sich übrigens der Titel „Sopro“ ab.

Hinweis

„Sopro“ ist bei den Festwochen noch am 8. Juni um 20.00 Uhr im Theater an der Wien zu sehen. Im Anschluss an die Vorstellung findet ein Publikumsgespräch statt.

Das junge Ensemble ist es auch, das einem zu Beginn ein wenig Durchhaltevermögen abverlangt: Denn Vidal gibt Anekdoten aus 41 Berufsjahren in Form von nacherzählten Szenen zum Besten, aus „Antigone“, „Drei Schwestern“ oder Antonio Patricios „Dinis e Isabel“. Für alle, die sich nicht zu totalen Theaterinsidern zählen – wer kennt schon diesen portugiesischen Symbolismusvertreter? – präsentieren sich diese Fragmente als eher hermetisch-zäh: zu unentschieden ist die Vortragsart.

Fahrt nimmt das Stück dann auf, wenn es von seiner Entstehungsgeschichte erzählt, von den Kaffee-geschwängerten Versuchen Rodrigues’, Cristina Vidal von seinem Projekt zu überzeugen. Die Gespräche ziehen sich über Jahre, die Souffleuse zeigt sich lange unbeeindruckt von den Ideen des „Intendanten ihres Theaters“, wie sie ihn nennt: Distanzen weiß die Frau, die auch sonst oft den Ton angibt, klar abzustecken.

„Der Atem, das Gedächtnis und die Lunge des Theaters“

„Du bist der Atem, das Gedächtnis und die Lunge des Theaters“, zitiert Vidal einen der Überzeugungsversuche. Was damit gemeint ist, vermitteln verschiedene Szenen, bei denen es mitunter richtig lustig wird: Es gibt zum Beispiel einen Schauspieler, der weder Regieanweisungen noch Text beachtet und schon einmal skrupellos Tschechows Wortlaut killt. Die Souffleuse muss ihn rennend hinter den Kulissen verfolgen und sich vor Augen halten, was man ihr am Tag ihrer Einstellung eingebläut hat: „Die Diskretion der Souffleuse muss proportional zur Indiskretion der Schauspieler sein.“

Andere Stellen setzen weniger auf Komik: Als die Schauspielerin und frühere Theaterdirektorin zum allerersten Mal den Text vergisst, steht eine Krebsdiagnose im Hintergrund. Bei ihrem letzten gemeinsamen Auftritt versagt schließlich auch Vidal, der „Lunge des Theaters“, die Stimme.

Souffleuse als Schanierstück zwischen Theater und Leben

Die Souffleuse des portugiesischen Nationaltheaters ist, so wird hier nüchtern vorgerechnet, in den Jahrzehnten ihrer Karriere letztlich nur 18 Minuten und 23 Sekunden im Einsatz. Und dennoch: Gäbe es sie nicht, so würde die Illusionsmaschine Theater öfter als solche überführt werden. Der zirka zweistündige Abend präsentiert Cristina Vidal als Rettungsanker, heimliche Seele und Schanierstück zwischen Theater und Leben, bei der letztlich alles zusammenläuft. Eine schöne, zarte Ehrung des gesamten Theaterbetriebs, auch zum Gefallen des Wiener Premierenpublikums: Es dankte mit lauten Bravo-Rufen.