Schinwald Danse Macabre
Nurith Wagner Strauss
„Danse Macabre“

Der mit dem Tod tanzt

Mit Pauken und Trompeten inszeniert der Künstler Markus Schinwald in „Danse Macabre“ einen zeitgenössischen Totentanz. Die wuchtige Musik, irgendwo zwischen Richard Wagner, Ennio Morricone und „Twin Peaks“, schrieb der junge US-Komponist Matthew Chamberlain. Der Sensenmann bändelt darin leichtfüßig mit Sterblichen an.

Der Spielort könnte passender nicht sein: Die Premiere fand in der aufgelassenen Sargfabrik Atzgersdorf statt. Die Wiener Festwochen haben den Künstler bereits vor drei Jahren eine Carte blanche für ein neues Stück gegeben. Damals besann sich Schinwald auf ein faszinierendes Bild aus der Zeit der Pest: Der „Basler Totentanz“ aus dem 14. Jahrhundert zeigt Skelette, die Vertreter aller Stände zum finalen Reigen führen. Zwar verhinderte die CoV-Pandemie im Vorjahr die Uraufführung, aber sie verlieh dem Memento-mori-Motiv neue Brisanz.

Das Bild des Toten- oder Makabertanzes wurde zuerst von mittelalterlichen Künstlern entworfen und entwickelte sich erst später zum dramatischen Musikspiel. „Mitten im Leben sind wir von Tod umgeben“, schrieb schon Martin Luther und mahnte Frömmigkeit ein. Schönheit, Jugend, Reichtum und Macht sind einerlei, wenn die Knochenhand zupackt. Dass der Sensenmann den Kaiser ebenso wenig verschont wie den Bettler, gehört zu den zentralen Aussagen der Totentänze. Aber könnte der „Gleichmacher Tod“, indem er gesellschaftliche Hierarchien ignoriert, nicht auch ein Vorbild für das Leben sein?

Bühne voller Tricks

Wohin Schinwalds Reigen führt, daran lässt schon die Bestuhlung in der ehemaligen Werkshalle wenig Zweifel. Auf den Stoffüberzügen der Hocker lodern höllische Flammen. Auch Oleg Soulimenko als Tod lässt eher an einen charmanten Teufel als an den Sensenmann denken. Mit dem russischstämmigen Tänzer und Choreografen hat Schinwald in den letzten 20 Jahren immer wieder zusammengearbeitet. Dabei spielten die Skulpturen und Installationen des geborenen Salzburgers, der 2011 auch auf der Biennale von Venedig vertreten war, eine maßgebliche Rolle.

Schinwald Danse Macabre
Nurith Wagner Strauss
Zur raffinierten Bühne zählen skulpturale Boxen, zwischen denen der Tod (Soulimenko) und sein Opfer (Rameses) performen

Schinwalds raffinierte Bühne beweist Hintersinn. Er hat sie als Laufsteg konzipiert, während das Publikum in der Raummitte sitzt. Die umlaufende weiße Wand wird durch Auslassungen, Drehtüren oder gigantische Schubladen animiert. Hinter und auf dieser Barriere sitzen die Mitglieder des auf Neue Musik spezialisierten Ensembles PHACE, das von Matthew Chamberlain auf spezielle Weise herausgefordert wird. „Ich mag Unvollkommenheit. Für die Musiker ist es aber freilich eine Überwindung, so schleppend und ‚fehlerhaft‘ wie ein Jugendorchester zu spielen“, umschreibt der US-Amerikaner gegenüber ORF.at seine Anforderung.

Jogginghose und Halskrause

Der Sensenmann erhält von Chamberlain ein Kennmotiv in „einer Art heruntergekommenem Big-Band-Stil“. Anfangs räkelt er sich noch auf einer erhöhten Plattform und lässt Knochen schweben, ehe er sich zu Hausbesuchen bei Ritter, Narr und Edelfrau aufmacht. Schinwalds Kostümentwürfe verknüpfen Gegenwart und Mittelalter. Zu zeitgemäßen Trainingsanzügen tragen die neun Charaktere Umhänge, Brustpanzer oder Halskrause. Auch religiöse Elemente kommen zum Einsatz. Man muss allerdings schon gelernte Katholikin sein, um mit einem blauen Cape einen Marienmantel oder mit einer lila Decke ein liturgisches Tuch zu assoziieren. Die Hoffnung auf ein Jenseits klingt kurz in sphärischen Musikelementen an.

Schinwald Danse Macabre
Nurith Wagner Strauss
Eine rot gelackte Frauenfigur (Alice Schneider) auf einer Drehbühne lässt den erotischen Gegensatz zum Sensenmann anklingen

Auch das große Sterben bleibt indes aus. Anstelle von Exitus drehen sich die Sterblichen auch nach der Tuchfühlung mit dem Sensenmann weiter. Sie erinnern ein wenig an ein Glockenspiel – allerdings mit dem Unterschied, dass die individuellen Performances auch noch in ihrem finalen Tanz einen Spannungsbogen bieten. Die unterschiedlichen Stile zitieren Modern Dance, ebenso wie Posen des japanischen Kabuki-Theaters oder exaltiertes Vogueing, das queere Subkulturen im New York der 1970er Jahre erfunden haben. Besonders stechen dabei die Performances von Imani Rameses und Philippe Riera heraus. Figuren wie Bettler oder Blindem, die in altmeisterlichen Totentänzen vorkommen, gibt Schinwald jedoch keine Bühne.

Bis Atlas kollabiert

Zwischen Hochamt und High Noon lässt Komponist Chamberlain auch die (Spiel-)Uhren ticken. Die knapp einstündige Aufführung verrinnt wie im Flug. Schinwalds Bühnenidee geht auf: Das Publikum hat einen aktiveren Part als sonst, muss sich herumwenden und kann doch nie alles sehen, was simultan geschieht. Bläser und Pauken sorgen immer wieder für Bombastik, ohne dass die darstellerische Performance derart dramatisch wäre.

Schon ist der Tod bei dem alten Mann angelangt, der seit Anbeginn des Stücks mit seinem Rücken eine schiefe Wand stützt. Jack Hauser als Atlas trägt die Welt so lange auf seinen Schultern, bis sie Gevatter Tod aus den Fugen geraten lässt. Schinwald hat gut daran getan, seiner Aktualisierung des Makabertanzes keinen offensichtlichen CoV-Ballast aufzubürden. Dass er die Frage nach gesellschaftlicher Gleichheit nur indirekt adressiert, ist eine vertane Chance.