Man war ein bisschen gewarnt nach dem sehr durchwachsenen „Pierrot lunaire“, den es neulich in einer Form von szenischer Zerlegung bei den Festwochen zu sehen gab. Die Moderne, mit ihr ist kein Spaß zu treiben – und man kann sie, gerade durch ihre Bauform, nicht immer auf die Fragestellungen hinunterbrechen, die uns in der Gegenwart umtreiben. Nun könnte man einwenden, Grundfragen des Lebens änderten sich nie; doch auch wenn man dem zustimmen mag, dann ist die Moderne doch immer noch zu dicht, um als Schablone über die Mega-Pixel-Welt, in der wir umherirren, gelegt zu werden.
Wiener Festwoche: „Das Lied von der Erde“
Es ist bereits die zweite Produktion, die das renommierte Klangforum Wien heuer bei den Wiener Festwochen spielt: „Das Lied von der Erde“, ein symphonischer Liederzyklus von Gustav Mahler in einer kammermusikalischen Bearbeitung.
Quesne, der Regisseur, der bei den Festwochen so etwas wie einen festen Platz gefunden hat, weil Festivals dieser Art Nischen und Bühne für seinen Ansatz der theatralen Grundbefragung sind, will sich bei seiner Umsetzung von Mahlers Krisensymphonie gar nicht lange verkopfen: Er entscheidet sich gemeinsam mit dem argentinisch-italienischen Dirigenten und Komponisten Emilio Pomarico für einen Mahler, der auf das Fundament seiner späten Musik zurückgeführt wird. Das ist in diesem Fall Arnold Schönbergs kammermusikalische Bearbeitung von Mahlers Neunter, die spätestens im sechsten Teil zu einer musikalischen Meisterprüfung im Fach der Moderne wird. Und das darf man an diesem Punkt beantworten: Das Klangforum Wien zaubert einen Mahler auf den Punkt.
Eindrückliches Finale
Wenn man die Ideen von Hoffnung, Abschied und auch Erlösung verstehen will, dann liegt es in der Orchestrierung und Umsetzung dieses gut 24-minütigen Teils. Pomarico lässt am Ende seine Hand so langsam sinken, dass das Publikum innehalten muss zu dem, was es davor vor allem musikalisch erleben durfte. Alle Worte sind sinnlos nach diesem Ende, so intensiv ist die Begegnung mit der Musik Mahlers, die ja bekanntlich von einer tiefen Krise getrieben wurde. Würde man an diesem Punkt die Frage zum ersten Rang unter den Künsten beantworten wollen – hier gäbe es keinen Zweifel, warum es die Musik ist und immer sein wird.
Hinweis
Mahlers „Lied von der Erde“ ist am Montagabend noch einmal bei den Festwochen im Wiener Volkstheater zu erleben. Anschließend stellen sich Regisseur und musikalische Leitung dem Dialog mit dem Publikum.
Quesne als Regisseur fügt sich dem – Gott sei dank, muss man sagen. Denn die Idee, aus Mahler so etwas wie eine Öko-Oper zu machen, wäre zum Scheitern verurteilt. Die Grundlage dieser Lieder ist nun einmal Lyrik und kein dramatisches Gedicht. Ganz wird man zu Beginn freilich nicht die Befürchtung los, dass Michael Pflumm (Tenor) und Christina Daletska (Sopran; in der Reihenfolge ihrer Auftritte) in einen Art Mahler-Enactment-Parcours geschickt werden. Doch bald geht viel Theaternebel über das Dunkel nieder – und im Hintergrund entstehen Landschafts-Capricios, die einmal hinauf-, einmal herunter gezogen werden. Leuchtende, schrille, ja kitschige Tableaus sind es, vor denen gesungen wird.
Das Beben bei Mahler
Es regnet, es schneit – doch zentral ist Quesne das Beben, das unter der Musik Mahlers liegt. Mehr als einmal wird sich die Erde in dieser apokalyptischen Landschaft zwischen Ideal und Abgrund blähen. Der Bühnenboden wölbt sich, doch es ist keine Mutter Erde, die uns hier willkommen heißt. Eher eine Erde, die den Menschen abwerfen könnte – und die ihm für immer den Platz nimmt, auf ihr all die zentralen Fragen überhaupt stellen zu können, die den Menschen seit je umtreiben. Die Poesie der Szenerie, sie ist meist Täuschung. Trost gibt es hier keinen, eher eine (in-)ständige Warnung.
Man kann dieses zum apokalyptischen Tableau umgeformte „Lied von der Erde“ ablehnen, geht es doch bei Mahler sehr um eine zerrüttete innere Landschaft. Doch macht genau diese fast schon platte Spiegelung und das Vorführen, dass letztlich alles Schimäre sei, den Reiz dieser seltsamen Produktion aus. Die Königin dieser Schöpfung bleibt die Musik. Ohne Raum wird aber auch sie sinnlos. Das ist keine schöne Botschaft, mit der man aus diesem gut einstündigen Abend entlassen wird. Das „Ewig … ewig …“ des Schlusses, es muss nicht unbedingt Trost bedeuten.