Szene aus „Monument 0.6: Heterochronie“
Dirk Rose
„Monument 0.6: Heterochronie“

Mühsamer Tanz der sizilianischen Mumien

Eine Performance zwischen Leben und Tod bringt Choreografin Eszter Salamon mit „Monument 0.6: Heterochronie“ auf die Bühne. Mit drei Jahrhunderten Geschichte Siziliens als Unterbau lässt die Künstlerin ihre Performerinnen und Performer auf der Bühne recht überzeugend mumifizierte Leichen mimen – und dazu singen. Das Konzept verlangt viel Konzentration vom Publikum, nicht zuletzt weil vieles nicht nur sprichwörtlich im Dunkeln bleibt.

Denn schon in den ersten zehn Minuten in der Halle G des Wiener Museumsquartiers ist bei der Wien-Premiere der Performance alles in erster Linie finster. Sind das die Künstler, die praktisch unbeleuchtet im Hintergrund schimmern? Ist es Nebel, der sich auf die Bühne legt? Auch akustisch ist die Situation nicht ganz leicht einzuordnen, am ehesten ist wohl das Rauschen von Wellen auszumachen.

Geduld ist jedenfalls gefragt, denn Salamons „Monument“ baut sich sehr langsam auf. Schon der Einstieg bietet Gelegenheit, noch einmal die Information aus dem Programmheft zu reflektieren – hinter dem schummrigen Licht verbirgt sich nämlich ein dichtes historisches Gerüst.

Kapuzinergruft als Vorlage

Salamon, gebürtige Ungarin, die in Berlin, Paris und Brüssel tätig ist, ließ sich von Palermo inspirieren: In der dortigen Kapuzinergruft wurden über Jahrhunderte Leichen mumifiziert. „Seit 1599 folgten die Mönche des Kapuzinerordens einem eigentümlichen Brauch: Statt ihre Toten zu begraben, bestatteten sie sie mumifiziert in den Katakomben, die man noch heute besuchen kann“, so Salamon in einem Interview, das die Tanztheoretikerin Bojana Cvejic für das PACT Zollverein in Essen führte, wo „Monument 0.6“ uraufgeführt wurde. Bis 1920 wurde diese Praxis fortgeführt – nicht nur für die Mönche, sondern später auch für wohlhabende Bürger.

Das titelgebende „Monument“ bleibt den Abend hindurch im Verborgenen. „Eigentlich handelt es sich bei allen Performances um Anti-Monumente“, sagt Salamon auch im Interview mit der APA. „Wir feiern historische Phänomene, die aus dem großen Narrativ herausgefallen sind.“

Sardonisches Lachen und „The Walking Dead“

Nach und nach wird die Bühne heller und offenbart acht mumifiziert wirkende Darstellerinnen und Darsteller, die stets in einer Reihe stehen. Ihre Körper sehen fast verformt aus, die Gesichter verzerrt: Es soll an das „sardonische Lachen“ erinnern, jene Zerrung der Gesichtsmuskeln, die auch durch den Tod entstehen kann. Ihre Bewegungen sind dermaßen langsam, dass sie kaum auszumachen sind. Akustisch abgerundet wird die leicht schaurige Atmosphäre durch zischende Geräusche, die die Künstler machen – ganz so, wie man sich das auch in einem Zombiefilm erwarten würde.

Darüber hinaus lässt Salamon ihre Performer aber auch singen – sizilianische Lieder, ausgesucht aus dem Zeitraum vom 12. bis zum 19. Jahrhundert. Die Musik ist Salamons zweiter großer Pfeiler, auf dem ihr „Monument“ steht. Mehrstimmig vorgetragen haben sie etwas Hymnisches, Rituelles und sind mit Abstand die stimmigsten Elemente des Abends.

Erzählelemente, die an der Gegenwart streifen

Neben Bewegung und Gesang setzt „Monument“ auch auf eine Erzählstimme aus dem Off, die den Abend damit etwas gliedert. Einmal werden Briefe an Tote vorgelesen, einmal einfach alle menschlichen Knochen aufgezählt. Am wirkungsvollsten sind jene Passagen, die wohl nicht zufällig einen gewissen Bezug zur Gegenwart haben: „Gestern war wieder ein Boot in Seenot, anscheinend waren 120 an Bord“ heißt es an einer Stelle, an einer anderen „Sie sagen, dass es noch immer überall ist, dass man an einem sicheren Ort bleiben muss.“

Hinweis

„Monument 0.6: Heterochronie“ ist im Rahmen der Festwochen noch am Montag und Dienstag um 19.30 Uhr in der Halle G des Wiener Museumsquartiers zu sehen. Im Anschluss an die Vorstellung am Montag findet ein Publikumsgespräch statt.

Geduld wird auf die Probe gestellt

Das alles sind Assoziationen, für die Salamon schon während der Aufführung viel Raum lässt – oder salopper formuliert: Streckenweise ist die knapp zweistündige Performance praktisch im Stillstand. Das zeigt sich etwa an minutenlanger Dunkelheit, die – gemessen am Husten und Räuspern im Saal – auch die Geduld des Publikums auf die Probe stellte. Auch sonst bleibt die Bühne bis zum Schlussapplaus stets so schummrig ausgeleuchtet, dass oft nicht klar ersichtlich ist, was gerade genau passiert.

Ein paarmal ist plötzlich ein neunter Performer auf der Bühne, er trägt einen Kapuzenpulli und könnte damit den Tod gleichermaßen wie einen Kapuzinermönch verkörpern – ganz klar ist seine Rolle nicht. Und auch sonst vermisst man Elemente, an denen man sich festhalten kann. Ohne Vorwissen zum historischen Hintergrund des Stücks wäre man wohl über lange Strecken recht ratlos.

Auch akustisch wirkt Salamons „Monument 0.6“ oft unausgewogen: Erst verleitet das Dunkeln zum stillen Reflektieren der Handlung, einen Moment später holt einen die Stimme aus dem Off ruckartig und ohne Vorwarnung zurück ins Bühnengeschehen. Und auch wenn die Bewegungen der Performerinnen und Performer durchaus beeindruckend den Tod und das Leben danach mimen – die einzelnen Bewegungsabläufe geraten durch ihre Langatmigkeit fast zum Hintergrundrauschen.

Applaus, aber keine Performance für alle

Am Ende liegen die acht Performer vom Anfang auf dem Boden, Botschaft aus dem Off inklusive: „Im Tod sind wir gleich, vor dem Tod aber nicht.“ Das Publikum, das das Museumsquartier dem Public Viewing des EM-Finales im Prater vorzog, holte Salamons Performance ganz offensichtlich ab. Es belohnte nicht nur die Darsteller mit Applaus, sondern auch die ungarische Choreografin. Klar ist aber auch, dass „Monument 0.6“ nicht alle erreichen wird – das langsame Gleiten zwischen dem Hier und Jetzt, der Geschichte und dem Jenseits verlangt dem Zuschauer viel ab. Darauf muss man sich einlassen wollen – und damit Salamon die Chance geben, ihr „Monument“ in Ruhe aufstellen zu lassen.