Bild vom Wolkenturm am Abend
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Beethoven in Bestbesetzung

Comeback für den Chor in Grafenegg

Konzertstücke mit Chorbegleitung stellen ob der Coronavirus-Pandemie selbst bei Freiluftkonzerten Programmplaner und Sänger vor große Herausforderungen. Trotzdem wagt sich Grafenegg nach dem pandemiebedingt ohne Chormitwirkung gebotenen Verdi-Requiem wieder an die Aufführung eines Chorwerks: Ludwig van Beethovens oft unterschätzte „Chorfantasie“ mit dem Arnold Schoenberg Chor – ein Stück mit einer mehr als abenteuerlichen Aufführungsgeschichte.

Beethovens „Chorfantasie“ erklingt nach zwei Klavierkonzertklassikern – Haydns „Konzert für Klavier und Orchester D-Dur Hob. XVIII:11“ und Mozarts „Konzert für Klavier und Orchester C-Dur KV 467“ – als Schlusspunkt. Festival-Gastgeber Rudolf Buchbinder hält bei allen drei programmierten Stücken sowie Beethovens „Fantasie für Klavier, Chor und Orchester in c-Moll op. 80“ vom Klavier aus die musikalischen Fäden fest in den Händen.

Diese Fäden entglitten Beethoven noch bei der Uraufführung des Chorwerks im Winter 1808, da es an der nötigen Zeit für Proben fehlte. Nachdem das musikalische Chaos ausgebrochen war, sah sich der Komponist genötigt, mitten in der desaströsen Aufführung sogar abzubrechen und neu beginnen zu lassen.

Chorstück mit langen Solopartien

Diese Gefahr besteht nicht, wenn dieses Werk am Samstagabend in Grafenegg über die Bühne geht: Neben Buchbinder versprechen die ihm zur Seite stehenden Festival Strings Lucerne, die seit mehr als 60 Jahren als Orchesterformation bestehen und als eines der brillantesten Kammerorchester Europas gelten, wieder ein Konzert der Extraklasse im Wolkenturm.

Beethovens Chorwerk stellt mit seinen rund 22 Minuten Dauer in erster Linie ein Konzertstück mit langem Klaviersolo dar, bei dem Buchbinder vom Piano aus das Orchester leiten wird, das erst danach einsetzt. Der Einsatz der chorischen Frauen- und Männerstimmen mit dem jubelnden Hymnus auf die Kunst wird schließlich wieder vom Klavier vorbereitet und begleitet.

Hinweis

Der Auftritt von Buchbinder und den Festival Strings de Lucerne findet am Sa., 21.8., 19.30 Uhr, im Wolkenturm statt.

„Hauptsächlich waren die Musiker aufgebracht“

Bei seiner Uraufführung im Rahmen einer großen musikalischen Akademie am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien improvisierte Beethoven noch völlig frei vom Klavier aus. Es bildete den Schlusspunkt eines Beethoven-Monsterkonzerts, bei dem zuvor seine fünfte und sechste Sinfonie, das vierte Klavierkonzert, seine Konzertarie „Ah perfido“ op. 65 sowie einzelne Abschnitte seiner Messe op. 86 erklangen.

Die Länge dieses Mammutprogramms überforderte schlichtweg das Publikum von damals und brachte auch die Orchestermusiker in die Bredouille, wie Beethoven in seinem Brief vom 7. Jänner 1809 an den Verlag Breitkopf & Härtel in Leipzig gestand: „Hauptsächlich waren die Musiker aufgebracht, dass indem aus Achtlosigkeit bei der einfachsten plansten Sache von der Welt gefehlt worden war, ich plötzlich stille ließ halten, und laut schrie: Noch einmal.“

Warum es immer auch um Beethoven gehen muss

Untergeordnete Bedeutung hat der Tondichter offensichtlich dem unterlegten Text der „Chorfantasie“ – beigemessen, wie der Beethoven-Schüler und Pianist Carl Czerny berichtet: „Als Beethoven 1808 das große Konzert im Theater an der Wien geben wollte, kam ihm kurz vorher die Idee, ein glänzendes Schlussstück für diese Akademie zu schreiben. Er wählte ein schon viele Jahre früher komponiertes Liedermotiv, entwarf die Variationen, den Chor usw., und der Dichter Ch. Kuffner musste dann schnell die Worte (nach Beethovens Angabe) dazu dichten.“

Umdichtung in der DDR

Wie unzufrieden Beethoven mit dem Text des Wiener Dichters Christian Kuffner (1780–1846) war, zeigt der Umstand, dass Beethoven seinen Namen verschwieg und auch nicht in der gedruckten Erstausgabe erwähnte. Er schlug in seinem Brief vom 21. August 1810 vor, der Komposition einen anderen Text zu unterlegen: „Bei der Fantasie mit Chören wollen sie vielleicht einen andern Text unterlegen, da der Text wie die Musik das Werk einer Nacht war, so daß ich nicht einmal eine Partitur schreiben konnte, doch müßte bey einer andern Unterlegung das Wort Kraft beibehalten werden oder ein andres äußerst ähnliches dafür an die Stelle kommen.“

Diesen Versuch unternahm man übrigens 1951 bei den in Berlin (Ost) stattfindenden Weltfestspielen der Jugend: Damals dichtete der spätere DDR-Kulturminister Johannes R. Becher den Text kurzerhand um.

Chor und Pandemie

Der Kurzauftritt des Schoenberg-Chores mag ja manchen als purer Luxus erscheinen. Für die Choristen ist jedenfalls zu hoffen, dass sie zum Zug kommen und nicht – wie die leidgeprüften Mitglieder des Wiener Singvereins – kurz vor dem Konzert – pandemiebedingt passen müssen. Alle zwei bis höchstens drei Tage unterzogen sich die enthusiastischen Amateure einem verpflichtenden PCR-Test, bei den Proben mussten die Chormitglieder schon beim Betreten bis zum Platznehmen die FFP2-Maske tragen, die erst beim Singen abgenommen werden durfte.

Beim Proben wurden überdies immer Zweimeterabstände untereinander eingehalten. Durch Fotodokumentation hatte man in Grafenegg auch festgehalten, wer wo bei der Probe gesessen hat. Zudem waren fast alle Sänger und Sängerinnen schon zweimal geimpft. Große Traurigkeit und Enttäuschung machte sich im Wiener Singverein breit, als man den Chor nach dem Bekanntwerden einer Infektion eines vollimmunisierten Chormitglieds wieder ausladen musste. Es bleibt daher allen Chören zu wünschen, was Kuffner für diese „Chorfantasie“ dichtete: „Wenn der Töne Zauber walten und des Wortes Weihe spricht, muss sich Herrliches gestalten, Nacht und Stürme werden Licht.“