Digitale Zeichnung von der Hofburg von außen
ORF.at/Ákos Heves
Rennen um Hofburg

Wahl in besonderem politischen Kontext

Am 9. Oktober findet die Bundespräsidentenwahl statt. Gleich sechs Bewerber treten gegen Amtsinhaber Alexander Van der Bellen an. Neben der Rekordzahl an Kandidaten macht der politische Kontext die Wahl zu etwas Besonderem, sagt die Politologin Katrin Praprotnik von der Uni Graz. Die Kandidaten sehen sich mit Faktoren wie niedriger Demokratiezufriedenheit und extremer Teuerung konfrontiert, die außerhalb der Lösungskompetenz des Bundespräsidenten liegen.

„Wir wissen aus verschiedenen Umfragen, dass die Demokratiezufriedenheit im Moment gering ist“, sagt Praprotnik, Projektleiterin des Austrian Democracy Lab (ADL). Nur noch 60 Prozent der Menschen seien zufrieden mit der Art und Weise, wie Demokratie in Österreich funktioniere, sagt die Forscherin unter Verweis auf das Demokratieradar der Uni Graz – einer der niedrigsten Werte seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2018. Zudem spreche sich eine Mehrheit für einen grundlegenden Umbau des politischen Systems aus. „Die politische Stimmung im Land ist sehr schlecht, die Zahl der Unzufriedenen hoch“, resümiert die Politologin gegenüber ORF.at.

Hinzu komme, dass der Bundespräsident die Probleme, die auf Menschen zukommen – etwa die stark steigenden Lebenshaltungskosten – nicht lösen könne. Das mache den Wahlkampf der Kandidaten schwierig: „Man möchte natürlich Lösungen präsentieren, ist aber Schluss gar nicht dafür zuständig, diese Lösungen auszuarbeiten“, fasst Praprotnik das Dilemma zusammen.

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Alexander Van der Bellen
APA/Klaus Titzer
Amtsinhaber Van der Bellen bekommt es mit sechs Herausforderern zu tun
Walter Rosenkranz
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FPÖ-Volksanwalt Rosenkranz ist bei dieser Wahl der einzige Kandidat einer Parlamentspartei
Heinrich Staudinger
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Der Unternehmer Staudinger wurde mit GEA-Waldviertler einer breiteren Öffentlichkeit bekannt
Tassilo Wallentin
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Der Jurist Wallentin genießt als ehemaliger „Kronen Zeitung“-Kolumnist ebenfalls einen hohen Bekanntheitsgrad
Gerald Grosz
APA/Eva Manhart
Grosz wirbt mit dem an US-Präsident Donald Trump angelehnten Slogan „Make Austria Grosz Again“
Michael Brunner
APA/EXPA/Johann Groder
MFG-Chef Brunner wird wohl erneut stark auf das Thema Pandemiepolitik setzen
Dominik Wlazny
APA/Eva Manhart
Wlazny alias Marco Pogo hatte mit seiner Bierpartei bei der Wiener Gemeinderatswahl Bezirksmandate errungen

Keine Kandidatin: „Demokratiepolitisch bedauerlich“

Aus „demokratiepolitischer und gesellschaftspolitischer Sicht bedauerlich“ und „überraschend für 2022“ findet Praprotnik den Umstand, dass keine einzige Frau im Rennen um die Hofburg ist. „Einerseits geht es um die faire Verteilung politischer Macht. Andererseits um effiziente Politikgestaltung“, so die Politologin. In zahlreichen Studien sei nachgewiesen worden, „dass, wenn Frauen Frauenangelegenheiten vertreten, für eine effizientere Politikgestaltung gesorgt ist“. Das gelte in abgeschwächter Form auch für die Bundespräsidentschaftswahl, wenngleich die Gestaltungsmöglichkeiten geringer seien als etwa in einem Regierungsamt.

Sieben Männer in Rennen

Neben Amtsinhaber Van der Bellen treten sechs weitere Bewerber bei der Hofburg-Wahl an: FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz, der frühere FPÖ/BZÖ-Politiker Gerald Grosz, MFG-Chef Michael Brunner, Schuhfabrikant Heini Staudinger, der Rechtsanwalt und Ex-„Kronen Zeitung“-Kolumnist Tassilo Wallentin und Musiker, Arzt und Bierpartei-Gründer Dominik Wlazny.

Eine Frage des Amtsverständnisses

Wie schon bei der vergangenen Hofburg-Wahl wird auch heuer über das Amtsverständnis des Bundespräsidenten diskutiert. Laut Verfassung kann der Bundespräsident die Regierungsspitze ohne Zustimmung des Parlaments ernennen und sie auch abberufen. Von letzterem Recht wollen die Kandidaten Rosenkranz, Grosz und Brunner Gebrauch machen, sollten sie in die Hofburg gewählt werden.

Wallentin erklärte, er halte nichts davon, bereits jetzt die Entlassung der Regierung zu versprechen, und würde erst konkrete Krisenbewältigungsvorschläge von der Regierung einfordern. Wlazny sieht einen solchen Schritt als „falschen Weg“, Staudinger sprach gar von einer „hirnrissigen“ Idee. „Das riecht ein wenig nach Putsch und Willkür eines Einzelnen“, sagte Amtsinhaber Van der Bellen im August der „Kleinen Zeitung“, nachdem Rosenkranz das Thema bei einer Pressekonferenz aufgebracht hatte.

Das Amt des Bundespräsidenten sei von „Rollenverzicht“ geprägt, sagt die Politologin. In der Vergangenheit hätten die Bundespräsidenten die Amtsführung „sehr zurückhaltend gelebt“. Zudem stehen dem Bundespräsidenten ein gewählter Nationalrat und die Regierung gegenüber; Dazu komme der internationale und vor allem europäische Rahmen, in dem sich die Politik bewegt, so die Forscherin.

Politik der Bilder

Gerade in Wahlkampfzeiten verkaufen Politiker und Politikerinnen ihre Inhalte auch stark über Bilder, derzeit wieder im Bundespräsidentschaftswahlkampf. Ob bei Wahlkampfinszenierungen, über Plakate oder in sozialen Netzwerken, man kommuniziert mit dem Publikum immer mehr auch auf visueller Ebene.

Bekannte Gesichter – aber nicht aus Politik

Dass viele von Van der Bellens Herausforderern Quereinsteiger oder politische Neulinge sind, passt für Praprotnik zu den Entwicklungen der vergangenen Jahre. Der Anteil von Stammwählerinnen und Stammwählern sinkt, eine wachsende Zahl an Menschen ist bereit, von Wahl zu Wahl unterschiedlichen Parteien ihre Stimme zu geben. Im europäischen Schnitt hielten sich solche Parteien etwa zwei Legislaturperioden im Parlament, ehe viele wieder verschwinden, so Praprotnik.

„Für die Hofburg-Wahl passt das insofern, als auch diese neuen Parteien meistens von einer bekannten Person getragen werden und der Erfolg sehr stark von dieser Person abhängig ist“, so die Wissenschaftlerin. In Zeiten hoher Unzufriedenheit und sinkender Stammwählerschaft könnten diese Personen mit Glaubwürdigkeit punkten.

Die Bekanntheit aus anderem Kontext als der Politik sei wichtig, weil der Vorsprung politisch etablierter Kandidaten „von der Startlinie kaum aufzuholen ist“, sagt Praprotnik. Diese Beschreibung trifft etwa auf Wallentin zu, der als ehemaliger „Kronen Zeitung“-Kolumnist ein riesiges Publikum erreichte. Wlazny machte sich als Marco Pogo als Frontman der Band Turbobier einen Namen, Staudinger für die von ihm gegründete Schuhmarke und sein soziales Engagement.

Wahlbeteiligung als Fragezeichen

Ein großes Fragezeichen ist die Wahlbeteiligung. Der bisherige Negativrekord wurde 2010 aufgestellt, als der damalige Bundespräsident Heinz Fischer wiedergewählt wurde. Bei Wiederwahlen falle die Beteiligung meist geringer aus, sagt Praprotnik. Allerdings sieht sich der Amtsinhaber dieses Mal gleich mit sechs Gegenkandidaten konfrontiert. „Das bietet ein recht breites alternatives Angebot für Menschen, die nicht den Amtsinhaber wählen wollen“, und könnte eine geringere Wahlbeteiligung auffangen, so die Politologin.

Vieles werde vom weiteren Wahlkampf abhängen. Vor allem Van der Bellen müsse mobilisieren, da ihm eine niedrige Wahlbeteiligung schaden könne. Umfragen sehen den Amtsinhaber deutlich voran. Ob er sich eine Stichwahl ersparen kann, sei aber noch keine ausgemachte Sache, so Praprotnik. Aussichtsreichster Herausforderer ist FPÖ-Kandidat Rosenkranz, der in den Umfragen auf Platz zwei liegt. Sollte Van der Bellen in die Stichwahl gezwungen werden, wäre das ein Novum: Alle fünf Bundespräsidenten, die sich um eine zweite Amtszeit bewarben, schafften die Wiederwahl im ersten Wahlgang.