Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer
APA/Helmut Fohringer
Hofburg-Wahl 2016

Ein Drama in drei Akten

Selten hat Österreich so gebannt auf eine Hochrechnung gestarrt wie am 4. Dezember 2016 um 17.00 Uhr. Damals wurde Amtsinhaber Alexander Van der Bellen zum Bundespräsidenten gewählt – nach einem rund achtmonatigen Wahldrama in drei Durchläufen, das sich immer weiter zum Nervenkrieg auswuchs. Ein Rückblick auf eine wilde Wahl zwischen Anfechtungen und Aufhebungen, einem hauchdünnen Duell, „Klebergate“ und einer kaum gekannten Polarisierung.

„Wenn man jemand beauftragen würde, den Worst Case für eine Wahl zu zeichnen, dann wäre das Drehbuch wahrscheinlich nicht so heftig wie das, was wir jetzt in der Realität erleben“: Mit diesen Worten brachte der damalige SPÖ-Abgeordnete Hannes Jarolim das Wahldrama des Jahres 2016 auf den Punkt. Damals war die politische Realität Österreichs noch eine andere. Regiert hat eine rot-schwarze Koalition unter SPÖ-Kanzler Werner Faymann, die Türkiswerdung der ÖVP lag noch in der Zukunft – ebenso wie „Ibiza“ und alle Folgeaffären.

Die Innenpolitik war ruhiger, und ein besonderer Hort der Kontinuität war die Hofburg. Zwei Perioden lang war Heinz Fischer (SPÖ) die Nummer eins im Staat. Das Amt des Bundespräsidenten: eine politische Konstante mit geringem Skandalpotenzial. Doch die Kür von Fischers Nachfolger brachte diese Beschreibung ordentlich ins Wanken.

Das Ende des Dramas: Die entscheidende Hochrechnung

Die letzte Hochrechnung der Bundespräsidentschaftswahl 2016 ließ keinen Spielraum mehr.

Ein Wahlzettel wie nie zuvor

Bereits im Anlauf hatte sich eine Ausnahmewahl angekündigt. Der Stimmzettel war mit sechs Kandidaten und einer Kandidatin so lange wie nie zuvor. Und auch die Auswahl war bemerkenswert. Amtsinhaber Alexander Van der Bellen – damals noch eher mit dem Image des grünen Uniprofessors als jenem des „Elder Statesman“ ausgestattet – ließ sich lange bitten, bevor er per YouTube seine Kandidatur als Unabhängiger mit Unterstützung der Grünen antrat.

Runde der Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl 2016 zeigt Alexander Van der Bellen, Rudolf Hundstorfer, Richard Lugner, Norbert Hofer, Irmgard Griss, Andreas Khol
ORF/Milenko Badzic
Die Kandidaten Van der Bellen, Hundstorfer, Lugner, Hofer, Griss und Khol

Die FPÖ, dank der Flüchtlingskrise auf einem Höhenflug, schickte Norbert Hofer ins Rennen. Er konnte damals als einziger Kandidat aus dem rechten Spektrum die Wählerstimmen bündeln – ein deutlicher Gegensatz zur jetzigen Wahl.

Als Unabhängige mit NEOS-Unterstützung trat die Juristin Irmgard Griss an, die als Vorsitzende des Hypo-U-Ausschusses an öffentlichem Profil gewonnen hatte. SPÖ und ÖVP setzten mit dem 2019 verstorbenen Gewerkschafter Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol (Erwin Pröll hatte abgesagt) auf zwei Politiker des Typus „Urgestein“, doch gezündet hat diese Strategie nicht. Für einen Sturm im Wasserglas sorgte schließlich das Antreten von Baumeister Richard Lugner, der unter andauernder Beteuerung der Ernsthaftigkeit seiner Kampagne für sich werben musste (gleichzeitig Lugners Auffassung: „Der Kasperl gewinnt immer“).

„Würden Sie die Regierung entlassen?“

Der Wahlkampf fiel in eine Zeit der politischen Beben, der aufkeimenden Nationalismen und der Polarisierung – mit der Flüchtlingskrise, dem Brexit und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten als deutlichste Manifestation. Diese Tendenzen begleiteten die mitunter außerordentlich dreckig ausgefochtene Auseinandersetzungen der Kandidaten und der Kandidatin wie ein Grundrauschen. Hitzig diskutiert wurden die Themen Flucht und Migration, aber auch Österreichs Verhältnis zur EU. Und kaum eine Frage wurde im Wahlkampf so oft gestellt wie: „Würden Sie als Bundespräsident oder Bundespräsidentin die Regierung entlassen?“.

Hofer siegte in erster Runde

Zum ersten Mal an die Urnen trat Österreich in dieser aufgeheizten Stimmung am 24. April. Die Wahl endete mit einem Knall: FPÖ-Kandidat Hofer landete mit rund 35 Prozent und einem deutlichen Vorsprung auf Platz eins. Van der Bellen erreichte 21 Prozent, Griss knappe 19. Haarscharf verlief das Rennen zwischen SPÖ und ÖVP, mit 11,28 und 11,12 Prozent hatten sie annähernd gleich schlechte Ergebnisse. Eine historische Niederlage, denn der Kandidat für die Stichwahl war bisher immer entweder aus der SPÖ oder ÖVP gekommen. Baumeister Lugner ergatterte rund zwei Prozent.

Es war ein Ergebnis, das viele einstige Gewissheiten umwarf. Die FPÖ feierte ihr historisch bestes Wahlergebnis und bereitete den Boden für die spätere Regierungsbeteiligung, grüne Positionen schienen endgültig im Establishment angekommen und ÖVP und SPÖ mussten eine schwere Niederlage einstecken. Zum ersten Mal stellte keine der beiden einstigen Großparteien den Kandidaten für das höchste Amt im Staat.

Polarisierung – zwischen Stadt und Land, zwischen Jung und Alt, zwischen den sozialen Schichten und den politischen Rändern – wurde zum Schlagwort der Stunde. Sichtbar wurde das in der Stichwahl zwischen zwei Kandidaten, die unterschiedlicher kaum sein konnten. Viel wurde über eine Spaltung des Landes gesprochen, das Wort „Richtungswahl“ war in aller Munde und auch international sorgte vor allem die Befürchtung eines Rechtsrucks für Schlagzeilen.

Ex-FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache und FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer jubeln 2016 nach dem ersten Wahldurchgang
APA/Herbert Pfarrhofer
Für die FPÖ war Hofers Wahlsieg im ersten Durchgang ein großer Triumph – der Rest ist Geschichte

Zweiter Wahlgang mit hauchdünnem Ergebnis

Nach vier Wochen Wahlkampf schritten die Österreicherinnen und Österreicher dann am 22. Mai an die Urnen. Ein zweitägiger Krimi folgte. Hofer startete in den Hochrechnungen mit starkem Vorsprung, den die Städte aber wieder zusammenschmelzen ließen. Es stand ein Wochenende lang Spitz auf Kopf, viele Nervenkostüme wurden dank einer Auszählungspause auf die Probe gestellt.

Die Briefwahlstimmen brachten Van der Bellen schließlich einen hauchdünnen Sieg. Am Ende zeigten die Balken 50,35 zu 49,65 Prozent – Van der Bellen wurde mit gerade einmal 30.863 Stimmen Vorsprung zum Sieger erklärt.

Das wollte die FPÖ nicht hinnehmen. Bei den Briefwahlstimmen werde „immer ein bisschen eigenartig ausgezählt“, ließ Hofer schon am Wahlabend verlauten. Wenig später machte die FPÖ ihre Andeutungen wahr und ließ die Wahl anfechten. Während vor allem in den sozialen Netzwerken Gerüchte über Wahlmanipulation strapaziert wurden, bemängelte die 150 Seiten starke Beschwerde von FPÖ-Anwalt Dieter Böhmdorfer de facto vor allem formale Fehler bei der Briefwahl. Teils wurden etwa Kuverts zu früh geöffnet, manche Auszählungen fanden ohne Beisitzer oder durch Unbefugte statt.

Schlamperei und „Schlendrian“

Der VfGH gab der FPÖ nach einem raschen Verfahren recht und ordnete die Wiederholung der Wahl an. VfGH-Präsident Gerhart Holzinger monierte Schlampereien und "Schlendrian“ im Umgang mit den Auszählungsvorschriften, Manipulation wurde nicht bestätigt. Zu wiederholen war die Wahl laut VfGH auch, weil Wahlteilergebnisse von Behörden vorzeitig an Medien und Meinungsforscher weitergegeben wurden. Die Wiederholung der Stichwahl wurde angeordnet.

„Unjuristisch ausgedrückt“: VfGH-Präsident Holzinger sprach Klartext

Der Verfassungsgerichtshof entschied sich für eine Aufhebung der Wahl.

Stattfinden sollte diese am 2. Oktober. Doch die nächste Panne folgte auf dem Fuße – nämlich mit dem „Klebergate“. Ein Produktionsfehler in der Druckerei sorgte dafür, dass der Kleber bei den Wahlkartenkuverts nicht hielt. Die Karten wären aufgegangen, das Wahlgeheimnis damit nicht gewahrt – und dem Innenministerium blieb nichts über, als den Urnengang erneut zu verschieben. „Im Endeffekt ist es keine Behördenfrage, sondern eine Schuld des Klebers“, kommentierte der damalige Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) die Causa lapidar.

„Der Grund ist ein defektes Wahlkuvert“: Sobotka erklärt „Klebergate“

Die letzte Panne war die Verschiebung aufgrund defekter Wahlkuverts.

Als neuer Wahltermin wurde der 4. Dezember festgelegt. Spätestens diese neuerliche Verschiebung ließ eine gewisse Wahlmüdigkeit aufkommen, auch den Kandidaten schien langsam der Atem auszugehen. Der Ausgang galt nach fast einjährigem Wahlkampf als völlig offen.

Wohl kaum jemand hatte damit gerechnet, dass bereits kurz nach der ersten Hochrechnung ein Sieger feststehen würde. Van der Bellen holte sich dank besserer Mobilisierung deutlicher als erwartet, was er bereits einmal gewonnen hatte. Er lag nach Auszählung aller Stimmen schließlich mit 53,79 Prozent vor Hofer (46,21 Prozent).

„Werde ein überparteilicher Präsident sein“

Statements von Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen nach dem endgültigen Wahlausgang.

„Etwas ganz und gar Ungewöhnliches“

Welche Schatten wirft diese Ausnahmewahl 2016 nun auf den 9. Oktober? „Die letzte Hofburg-Wahl war sehr, sehr einschneidend. Die Situation war in zweifacher Hinsicht besonders: Einerseits, dass die Kandidaten von SPÖ und ÖVP, die sich das Amt ja sonst immer ausgemacht haben, bereits im ersten Wahlgang ausgeschieden sind. Andererseits, dass ein Kandidat links der Mitte und ein Kandidat rechts der Mitte in die Stichwahl gekommen sind. Dass sich der Grünen- und der FPÖ-Kandidat gegenübersitzen, war zum damaligen Zeitpunkt etwas ganz und gar Ungewöhnliches“, so Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik von der Universität Graz gegenüber ORF.at.

„Außergewöhnlich war auch, dass der politische Wahlkampf und die Debatte sehr zugespitzt wurden. Sehr schnell hat es geheißen: Es ist alles so polarisiert.“ Dazu habe maßgeblich die Konstellation FPÖ – Grüne beigetragen. „Normal“ sei mittlerweile, dass es keinen SPÖ- oder ÖVP-Kandidaten mehr gebe. Das entspreche dem allgemeinen Trend zu mehr Parteien im Gegensatz zur einstigen Dominanz von SPÖ und ÖVP.

Ein direktes Nachspiel erwartet die Politologin aber nicht. „Vielleicht wird hinter den Kulissen noch besser aufgepasst, dass nichts schiefgeht, dass wir nicht nochmals in eine Wahlwiederholung schlittern. Seitens der Bevölkerung glaube ich nicht, dass es Nachwehen gibt. Das ist sechs Jahre her. Inzwischen ist schon so viel passiert.“