Bundespräsidentschaftskandidat Michael Brunner (MFG) während einer Wahlkampfveranstaltung in Neunkirchen
ORF.at/Christian Öser
Lokalaugenschein

Brunner im Wahlkampf

Kein anderer Kandidat absolviert derart viele klassische Wahlkampftermine: Michael Brunner, Chef der MFG, tourt durch ganz Österreich. Anfang der Woche war Neunkirchen im südlichen Niederösterreich an der Reihe. Es sind düstere Schilderungen, die Brunner dem erschienenen Publikum von einigen Dutzend Menschen an einem kühlen September-Abend serviert. Doch überzeugen muss er hier kaum jemanden.

„Festplatz“ heißt der Ort etwas außerhalb des eigentlichen Zentrums der Stadt mit rund 12.500 Einwohnerinnen und Einwohnern. Es ist ein größerer Park mit Kinderspielplatz, ein Imbissgasthaus grenzt an. Man hat eine kleine Bühne aufgebaut, die aber im Laufe des Abends nicht genutzt wird, ein kleiner Infostand mit Werbematerial wurde mit einigen Luftballons geschmückt. Hinten brummt ein Stromaggregat für die kleine Soundanlage.

Laufpublikum gibt es hier kaum. Wer zur Veranstaltung kommt, will das auch. Die Grenzen zwischen jenen, die in der Partei engagiert sind, den „Helfern und Helferinnen“ und dem Publikum verschwimmen. Viele kennen einander. Dass zu Beginn das Team der Partei im Bezirk Neunkirchen vorgestellt wird, wäre für die meisten Anwesenden nicht nötig gewesen. Vieles wirkt wie eine Veranstaltung, die eher dazu gedacht ist, die Parteibasis zu besuchen – und zu erweitern.

Für die Politik näher am Menschen

Durch die Veranstaltung, die kurz nach 18.00 Uhr beginnt, führt Johannes Durst, der in Waidhofen an der Ybbs für die MFG in den Stadtsenat eingezogen ist. Er umreißt die Werte der Partei, spricht von Menschen, Grundrechten und direkter Demokratie. Dass es wichtig sei, das Wahlrecht auszuüben, und wie die Politik näher an den Menschen sein sollte. Klassischen Politikersprech kann man ihm sicherlich nicht vorwerfen, vieles wirkt improvisiert. Und er spricht auch für die Partei untypischere Themen an, etwa Bodenversiegelung als Problem in Niederösterreich. Die politischen Kernthemen der MFG lässt er eher aus.

Bundespräsidentschaftskandidat Michael Brunner (MFG) während einer Wahlkampfveranstaltung in Neunkirchen
ORF.at/Christian Öser
Brunner beim Eintreffen zu seiner Wahlveranstaltung

Schreckensbotschaften am laufenden Band

Dafür ist dann Brunner zuständig, der in seinem Vortrag das Publikum mit seinen Themen abholt: In todernstem Ton wiederholt er seine bekannten Standpunkte. Er spricht von Zehntausenden angeblichen Impftoten (mit Verweis auf die EMA-Datenbank, in der jeder Verdachtsfälle einmelden kann), einer sinkenden Geburtenrate, die er auf die Impfung zurückführt, und von angeblich toxischen Antigentests. Erst auf Nachfrage aus dem Publikum gibt er an, dass es dabei um zwei Inhaltsstoffe in der Pufferlösung geht, in die die Proben getaucht werden und mit der es bei sachgemäßer Anwendung keinen Kontakt gibt.

Ein in sich geschlossenes Konstrukt

Seine Rede ist gespickt mit Paragrafenangaben, Daten und Zahlen, die er alle besonders prononciert. Sie ist symptomatisch für die Logik der radikalisierten Impf- und Maßnahmenkritiker: Er setzt an oft tatsächlich erklärungsbedürftigen Punkten an und baut daraus ein in sich geschlossenes Zerrbild. Studien und Statistiken werden aus ihrem Kontext gerissen und missinterpretiert, um sie passend ins Bild zu fügen.

Zitiert werden die ewig gleichen und einschlägig bekannten angeblichen Experten. Kritik wird nicht angenommen, der Politik, Expertinnen und Experten und Medien wird Bösartigkeit gegenüber „den Menschen“ unterstellt. Nur man selbst kennt die ganze „Wahrheit“. Es ist ein hermetisch abgeriegeltes, selbstreferenzielles Gedankenkonstrukt, das in einem – abgezäunten – Park präsentiert wird.

Bundespräsidentschaftskandidat Michael Brunner (MFG) während einer Wahlkampfveranstaltung in Neunkirchen
ORF.at/Christian Öser
Die aufgebaute Bühne braucht Brunner nicht

Politik und EU als Feindbilder

Er genieße die Auftritte, sagt er am Rande der Veranstaltung gegenüber ORF.at. Rund 25 habe er bisher absolviert – und es stünden bis zur Wahl noch etliche an. In persönlichen Gesprächen nach dem „offiziellen“ Teil zeigt Brunner ein ganz anderes Gesicht. Der ernste, schmetternde Tonfall ist gewichen, es wird auch in Kontakt mit den Besucherinnen und Besuchern gelächelt und gelacht. „Volksnähe“ liege ihm, meint er, er genieße die „Energie“ solcher Veranstaltungen, das Lächeln der Menschen.

Hofburg-Wahl: Michael Brunner (MFG) in Neunkirchen

Der Bundespräsidentschaftswahlkampf geht ins Finale. In Neunkirchen ist am Montagabend Michael Brunner aufgetreten. Der Rechtsanwalt ist Spitzenkandidat der impfkritischen Bewegung MFG.

Doch in seiner Rede gibt es nichts zu lachen. Brunner schlägt vom Coronavirus-Thema ansatzlos den Bogen zum Ukraine-Krieg. Mit Menschen, die sich das Heizen ihrer Wohnung nicht leisten werden können, zeichnet er die düsteren Bilder weiter. Italien gratuliert er zum Wahlergebnis: Am Vortag war die postfaschistische Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgegangen. Genau dieses Statement erntet den ersten Applaus seiner Rede – wohl weniger aus Bewunderung für Meloni, wie die anschließende Fragerunde offenbart, sondern weil das Wahlergebnis als Kampfansage gegen die EU und Brüssel gedeutet wird.

Immer wieder das Impfthema

Es gibt keine Graustufen mehr – obwohl Brunner das umgekehrt konkret beklagt. Er will – mit Verweis auf seine Befürwortung von Cannabisfreigabe und Übergewinnsteuer – nicht ins rechte Eck gestellt werden. Er sei, so sagt er, „im Herzen Sozialdemokrat mit liberalen Grundsätzen“. Doch die Rede des Rechtsanwalts kippt ab und zu ins Autoritäre: All jene Parteien, die beim Gesetz zur – mittlerweile aufgehobenen – Impfpflicht mitgestimmt haben, seien für die „Bevölkerung“ erst dann wieder wählbar, wenn „alle Funktionäre ausgetauscht“ würden.

Bundespräsidentschaftskandidat Michael Brunner (MFG) während einer Wahlkampfveranstaltung in Neunkirchen
ORF.at/Christian Öser
Die Zahl der Besucherinnen und Besucher blieb überschaubar

Mit Verlauf der Rede wird der Zwischenapplaus häufiger. 50 bis 60 Menschen haben sich mittlerweile versammelt – inklusive der Parteifunktionäre. Es sind viele Ehepaare im mittleren Alter, ein paar ältere Männer und Frauen, ein paar Junge. In der anschließenden Fragerunde geht es häufig darum, wie man als Ungeimpfter mit der erfahrenen und empfundenen Ausgrenzung umgehen soll. Ein Teenager, der mit seinen Eltern gekommen ist, wird gelobt, als er Brunner nach seiner Vorstellung von Österreich in der Zukunft fragt.

Wahlreportagen

ORF.at nimmt von jedem Kandidaten der Bundespräsidentenwahl eine Veranstaltung im Wahlkampf in Lokalaugenschein. Bisher erschienen sind die Artikel zu
Michael Brunner
Alexander Van der Bellen
Dominik Wlazny
Tassilo Wallentin
Heinrich Staudinger
Walter Rosenkranz

Fit für die Zukunft

Irgendwann wird Brunner auch gefragt, wie „fit“ die Partei für weitere Wahlkämpfe sei. Dass am Vortag die MFG in Tirol gerade einmal 2,8 Prozent erreicht hat, erwähnt Brunner in einem Nebensatz. Personelle Probleme habe es gegeben. Man stelle sich für die weiteren Landtagswahlen im nächsten Jahr gerade auf, für eine Nationalratswahl werde wohl er als Spitzenkandidat fungieren. Und alle seien ja noch jung, bringt Brunner seine einzige Pointe des Abends an.

Mittlerweile ist es noch kühler geworden, die meisten Besucher haben sich in der beginnenden Dämmerung auf den Heimweg begeben. Auch der Klassiker jeder Wahlkampfveranstaltung darf nicht fehlen: Ein kurz aufheulendes Kind hat seinen Heliumluftballon losgelassen, der in den Abendhimmel fliegt.

In kleinen Grüppchen unterhalten sich noch ein paar Gäste. Dass diese Tests giftig seien, das schlage dem Fass den Boden aus. Zu Brunners Chancen am 9. Oktober äußern sich seine Anhänger weniger optimistisch. An Wahlerfolge der Partei glauben sie trotzdem: „Vielleicht nächstes Jahr. Oder das Jahr darauf.“