Tänzerinnen mit Wasserkübeln
Vladimir Lupovsky
Eröffnung

Pina Bausch und der Wasserrausch

Wenn es einen Gradmesser für die Gültigkeit von Institutionen gibt, dann war die Eröffnung des ImPulsTanz-Festivals am Donnerstag im Burgtheater ein solcher. Das Stück „Vollmond“ von Pina Bausch, ein Nachtrausch zur Liebe mit endlosen Wasserspielen auf der Bühne, wurde bei der Österreich-Premiere 13 Jahre nach dem Tod der Ausnahmechoreografin gefeiert, als wäre statt Wasser Manna zu Boden gegangen.

Das ImPulsTanz-Festival stellt sich heuer besonders seiner eigenen Geschichte und huldigt den Mentoren dieses Ausnahmefestivals, das weit über die Grenzen des Landes strahlt, wie sich auch am Donnerstagabend im Wiener Burgtheater zeigte. Dem verstorbenen Ismail Ivo ist heuer ein Tribut gewidmet. Und dass man mit dem Tanztheater Wuppertal Pina Bausch und dem mittlerweile 16 Jahre alten Stück „Vollmond“ das Festival eröffnete, darf man als Verbeugung vor den Großen – auch in der eigenen Geschichte – lesen.

Tänzer mit Wasserkübeln
Vladimir Lupovsky
Ein Felsen, zwölf Akteure – und viel Wasser auf der Bühne des Wiener Burgtheaters

Sechs Tänzerinnen und Tänzer entführen im klassischen Pina-Bausch-Stil zwischen Ausdruckstanz, Theater und einem kleinen Hauch von Slapstick in die Triebkräfte einer Vollmondnacht: Männer kämpfen und balzen um Frauen, Frauen locken, ziehen sich zurück – und zeigen den Männern auch ihre eigenen Grenzen auf, wenn sie selbstbewusst signalisieren, dass sie schneller im nächtlichen Feld unterwegs sind als ihre Gegenüber.

Alles wird als Traum- und Trancezustand ausgeleuchtet, manchmal auch nur angedeutet, was in einer Liebesnacht und im Danach passieren kann. Die Vollmondnacht ist der Boden des Traumwandelns – und auch der Liebestod ist bei Bausch und ihren Weggefährtinnen und -gefährten so ausgestaltet, dass das Sterben anmutig, poetisch, ja fast schön erscheint.

Hinweis

„Vollmond“ ist beim ImPulsTanz noch am 8., 9. und 10. Juli zu sehen.

Energie im dunklen und kargen Raum

Die Landschaft ist dunkel und karg auf der Bühne, ein Felsen, auf dem rauf- und runtergeklettert wird, die einzige Form von Bezug auf mögliche Welten draußen. Schon im ersten Teil regnet es vom Schnürboden – und nicht nur Schnürl-, sondern auch Starkregen werden eine Rolle spielen. Neben Poesie ist hier viel auf den Effekt ausgerichtet. Durch das Wasser im Hintergrund lassen sich die Menschen ziehen und gleiten – und am Schluss steht das furiose Finale des energiegeladenen Wettpritschelns.

Das Tanztheater Wuppertal spielt souverän mit der Dynamik aus poetischen und energetischen Abschnitten. Immer wieder, so lernt man aus der Vollmondnacht, werden sich Männer und Frauen in die gleichen Situationen begeben, die sie schon durchlebt haben. So weit, so menschlich. Die Ästhetik des Abends interpretiert die Anziehungskräfte im Leben primär und ausschließlich als Spiel zwischen Mann und Frau. Und auch wenn man alles mit Lacan und Co. gegen den Strich bürsten und als Hinterfragung von Rollen lesen darf, wenn man sich bemüht, bleibt die Frage, ob diese Ästhetik ins Jahr 2022 passt. Das Festival hat sich dezidiert den selbstgewählten Lebens-, Gender- und Liebesentwürfen gewidmet. Doch fluid ist auf dieser Bühne hauptsächlich das Wasser.