Voguing

Tanztrend zurück zu den politischen Wurzeln

Netflix, Reality-Shows und Popstars haben den Tanz auf die große Bühne geholt, selbst eine österreichische Werbefamilie übt sich mittlerweile im Möbelhaus in den Moves: Dass Voguing trendet, ist kaum zu bezweifeln – auch bei ImPulsTanz. Seit 2019 gibt es gleich mehrere Kurse im Trainingsprogramm des größten zeitgenössischen Tanzfestivals Europas. Anna Gaberscik und Ina Holub stechen hervor. Sie wollen emanzipatorischen Tanz wieder zu den Wurzeln zurückbringen.

Die beiden Tänzerinnen sind in Wien derzeit omnipräsent. Ihre Gesichter strahlen von den Litfasssäulen und Plakatwänden der Stadt, Gaberscik mit strengen Zöpfen und silbernem Riesenohrring, Body-Positivity- und Fat-Acceptance-Aktivistin Holub mit rosagelbem Lidschatten und einer schwebenden Miniweltkugel über dem langen Fingernagel. Die Kampagne steht für einen gesellschaftlichen Wandel, der sich im letzten Jahrzehnt auch im Tanz langsam, aber doch vollzieht. Anstelle von ausschließlich weißen, dünnen sollen vielfältige Körper abgebildet und gefeiert werden. Und Menschen so auf die Bühne gehoben werden, wie sie eben sind.

Sichtbarkeit nach außen schaffen ist das eine, Empowerment nach innen das andere: Erstmals beim ImPulsTanz-Festival, bei dem heuer 230 Workshops unterschiedlichster Stilrichtungen in Programm stehen, halten Holub und Gaberscik einen Kurs ab, der sich explizit an Tanzbegeisterte mit unterschiedlicher Diskriminierungserfahrung richtet. Sie tanze sehr gerne, so Holub, sei aber bei der Suche nach einer passenden Richtung viel auf Fettphobie und Homophobie gestoßen.

Ina Holub und Anna Gaberscic
Karin Cheng
Ina Holub und Anna Gaberscik unterrichten für alle – allerdings mit eindeutigem Fokus auf Menschen mit Diskriminierungserfahrungen

Akzeptanz und echtes Zuhause

Dass es nun genau Voguing ist, mit dem speziell ein sicherer Ort des Austauschs und gemeinsamen Tuns geschaffen werden soll, hat einen guten Grund. Voguing hat seinen Ursprung im Stadtteil Harlem, in der schwarzen Schwulen- und Transgender-Community der 60er Jahre. Organisiert in „Houses“ mit einer jeweiligen „Housemother“ fanden die zumeist mehrfach Diskriminierten Akzeptanz und ein echtes Zuhause. Und einen Platz, wo sie ihre Leidenschaft für Tanz und Mode ausleben konnten.

Der Name Voguing stammt vom Modemagazin „Vogue“. Er rührt daher, dass sich die Tanzrichtung die Posen der Covermodels der Modemagazine zu eigen machte. Zackige Handbewegungen, weiches Armschwingen oder selbstbewusst gesetzte Dehnungen werden dabei in schneller Abfolge gezeigt und zu Beats rhythmisiert.

„Strike a Pose“

Schillernder Höhepunkt der Szene waren die extravaganten Tanzwettbewerbe, die in Kellerlokalen versteckt abgehalten wurden, intim und hoch beeindruckend dokumentiert etwa von der US-Low-Budget-Doku „Paris is burning“, die in den 1990er Jahren die Szene breiteren Schichten bekannt machte. Auf den „Bällen“ der Ballroom-Szene performten Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf einer Art Laufsteg. Nicht nur das tänzerische Können stand und steht heute noch auf Events dieser Art im Vordergrund, sondern auch die „Attitude“: Es geht um Blicke, Handhaltung, das Zusammenspiel von Schulterdrehung und Kopfneigung.

Und es geht um Kostümierung: Zu verschiedenen Kategorien (etwa „Vogue Fem“, „Body“, „Sex Siren“) wird oft ein selbst zusammengestelltes, oft auch opulentes Outfit präsentiert, begleitet von Rufen wie „Strike a Pose“ („Halte eine Pose“) durch einen Kommentator oder eine Kommentatorin. Von einer Jury gibt es dann Bewertungen für Outfit und Bewegung, für die „Realness“ der Darstellung.

Ort, „an dem ich für meinen Körper gefeiert werde“

„Für mich bedeutet Voguing, dass ich einen Space gefunden habe, wo ich zum ersten Mal auch für meinen Körper gefeiert werde, zum ersten Mal auch für meine lesbische Identität, ohne Angst haben zu müssen, dafür abgewertet zu werden“, erzählt Holub im ORF.at-Gespräch zu ihrer eigenen Erfahrung. Das wolle sie weitervermitteln.
Voguing sei ein „Raum, wo ich laut und stolz sein kann“, ergänzt ihre Kollegin. „Wo ich eine Form Weiblichkeit ausdrücken kann, ohne die Angst, übersexualisiert zu werden als schwarze Frau.“

Dieses zu Tanz gemachte „laut und stolz sein“ griff in den letzten Jahren immer mehr auf die Popkultur über – meist ohne Bewusstsein über den ursprünglichen Hintergrund: Die breite Bevölkerung nahm erstmals von Voguing Notiz, als Madonna 1991 im „Vogue“-Video schwarze und lateinamerikanische Ballroom-Tänzer auftreten ließ und diese anschließend auch bei ihrer Tour engagierte.

Von Rihanna bis zur Dramaserie „Pose“

Der erste Popularitätsschub ebbte bald wieder ab – bis zur Wiederentdeckung vor einigen Jahren. Rihanna und Beyonce waren mit Voguing-Tänzerinnen und -Tänzern auf Tour, FKA Twigs interpretiert den Stil passend zu ihrem R ’n’ B-Sound. Die emmyprämierte Dramaserie „Pose“, in der es um die Ballroom-Szene der 80er geht, ist auf Netflix höchst erfolgreich. Auch die Reality-TV-Show „Legendary“ hat das Phänomen in den letzten Jahren immer bekannter gemacht.

Auch in Wien ist die Szene mittlerweile sehr lebendig, immer wieder gibt es „Balls“, abgehalten etwa im Dschungel Wien, veranstaltet von Kiki House of DIVE, jenem von „Housemother“ Karin Cheng geführten „House“, in dem auch Holub und Gaberscik organisiert sind. Kiki House of DIVE halte den emanzipatorischen, einander bestärkenden Anspruch hoch, betonen die beiden. Das sei in anderen Houses oft nicht der Fall. In der Gemeinschaft lerne und praktiziere man nicht nur den Tanz, sondern tausche sich etwa auch über den Hass aus, der ihrem Körper entgegengebracht wird, so Holub.

„Ich glaube, es ist immer wichtig zu verstehen, dass Visibilität nicht für alle dasselbe bedeutet. Für marginalisierte Personen bedeutet Visibilität immer, immer, immer auch Hass“, so Holub dazu. Sie macht trotzdem weiter als Fat Acceptance-Aktivistin. Um Sehgewohnheiten zu verändern, das ist die – mitunter kräftezehrende – Zielrichtung. Beim ORF.at-Voguing-Dreh trägt sie selbstbewusst ein Shirt mit der Aufschrift „Fat Feminist Homo“. Eine Linie, die sie selbst designt hat.